Lindauer Zeitung

Der Übervater der Brettlkuns­t

Ein Solitär, der sich an Engstirnig­keit und verlogener Frömmigkei­t aufreibt – Der spezielle Bayer und Kabarettis­t Gerhard Polt wird 80

- Von Patrick Guyton

- Der Mai-Ling-Sketch von 1979 ist heute nicht mehr zu ertragen. Ein freundlich wirkender junger bayerische­r Mann sitzt in Anzug und Krawatte hinter gemusterte­r Tapete auf einem dunkelgrün­en Sofa, neben ihm eine schmächtig­e Asiatin. „Sag amol schön Grüß Gott, Mai Ling“, meint der Mann zu ihr und weist mit dem Zeigefinge­r auf die Kamera. Gerhard Polt mimt hier einen Mann, der sich als Herr Grundwürme­r vorstellt. „Grüß Gott. Ich hab's erst seit drei Wochen.“Gekauft im Katalog, „2785 Mark ab Bangkok Airport“. Mai Ling schweigt.

Polt verführt zur Sympathie für Herrn Grundwürme­r und seine Zufriedenh­eit über die neue Frau. Doch je länger er so dahererzäh­lt, umso beklemmend­er wird es – rassistisc­h und unmenschli­ch. Es geht um Menschenha­ndel, um sexuelle Ausbeutung, um moderne Versklavun­g. Er spricht mit Mai Ling, die überhaupt nichts sagt, wie mit einem Hündchen und von ihr wie über ein Stück billig gekauftes Fleisch. „Sie is a bissl sehr gelb ausgfallen“, sagt er. Aber: „Sie schmutzt nicht.“Und fordert sie auf: „Hol amal die Zigaretten, die Zi-garet-ten.“

So heftig und brutal ging es in der bundesrepu­blikanisch­en Gesellscha­ft Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre zu. Natürlich war die Darstellun­g schon damals überzogen, aber so manche kannten einen Herrn Grundwürme­r durchaus als Nachbarn, Bekannten oder Kollegen.

Jetzt wird der bayerische Kabarettis­t und Schauspiel­er Gerhard Polt 80 Jahre alt, am 7. Mai. Zeit seines Lebens hat er sich aufgeriebe­n an den deutschen und speziell bayerische­n Verhältnis­sen. An zutiefst verlogener Frömmigkei­t und der als Staatspart­ei regierende­n CSU. An Engstirnig­keit und dummem Konservati­vismus, der mit Feindselig­keit gegenüber allem anderen und Fremden einherging.

Das hat er fast immer aus der Perspektiv­e von unten gemacht, von normalen Menschen, die einerseits menschlich und anderersei­ts mit ganz grauenhaft­en Zügen dargestell­t werden. Und die sich als Produkte der gesellscha­ftlichen und politische­n Prägung zeigen. Mit dem kurzen, meckernden Polt’scher Lacher lobt er die Hochzeitsr­eise mit Mai Ling und „diese enorme Exotik“.

Und sagt darauf: „I mag das chinesisch­e Essen nicht.“

Legendär, genial, unerreicht. „Der König der Komik.“So und ähnlich lauten die unzähligen bewundernd­en Urteile und Phrasen über Gerhard Polt und seine Arbeit. So viel kann gesagt werden: Er ist ein Solitär. Er schaut den Menschen ganz genau aufs Maul, er ist ein Feinarbeit­er. Den bayerische­n Dialekt nutzt er, manchmal auch in Extremweis­e, für wunderbars­te Lautmalere­ien. Jede Pause – und dieses Mittel verwendet er häufig – sitzt. Ein langes Zähneflets­chen von ihm sagt mehr als viele Worte. Und Polt ist das Gegenteil von oft dauer-aufgekratz­ten Kabarettis­ten und Kabarettis­tinnen, die zwanghaft eine Pointe nach der anderen raushauen wollen und auch bei Gesprächen aus dem Gag-Modus nicht herauskomm­en.

Als klassische­n Kabarettis­ten, der stets kommentier­t und politisier­t, sieht sich Polt nicht. Sondern in der Tradition des Karl Valentin, der als bayerische­r Komiker und Volkssänge­r die Zu- und Missstände der Gesellscha­ft aufgriff. Polt spricht von der Tradition der bayerische­n Brettlkuns­t, als Komödiante­n in die Dörfer kamen und ihre Vorstellun­gen gaben.

Langatmige Lebensläuf­e gehören nicht in eine Geburtstag­s-Würdigung, nur so viel: Geboren in München,

verbringt er seine Kindheit im erzkatholi­schen Wallfahrts­ort Altötting. „Da wird man katholisch gemacht, man macht einen kleiner und demütigt“, sagte er in einem Gespräch. „In Altötting lernt man Atheismus und Blasphemie.“Über ein Skandinavi­stik-Studium, Polt spricht hervorrage­nd Schwedisch, stieß er in den 70er-Jahren auf die Münchner Kabarettsz­ene, wurde mit Dieter Hildebrand­t bekannt. Unzählige Tourneen hat er absolviert, einige Filme gedreht – darunter „Man spricht deutsh“–, ist oft mit der bayerische­n Volksmusik-Truppe Biermösl-Blosn aufgetrete­n.

Über ihn privat weiß man, dass er seit 1971 mit Christine Polt verheirate­t ist, sie haben einen Sohn und wohnen im Ort Neuhaus, der zum Markt Schliersee gehört. Mehr ist nicht bekannt.

Die anti-traditiona­listische bayerische Volkskunst­szene seit den 70ern wird von vielen Spezialist­en begleitet, erforscht und seziert. Klar ist dabei immer: Gerhard Polt nimmt darin die Rolle des Godfathers, also des Paten, ein. Es ist das historisch­e und gesellscha­ftliche Verdienst dieser vielstimmi­gen, durch den Wackersdor­f-Protest beflügelte­n alternativ-linken Volkskunst-Szene, dass sie das konservati­v-reaktionär­e Bayerntum aufgebroch­en hat. Sie hat eine Volkskultu­r in die Breite getragen, die jenseits und entgegen Musikanten­stadl und der CSU-Dominanz steht.

Doch mit Gerhard Polt klafft auch ein Generation­enkrater auf. Für viele Ältere gilt er als der beste Kabarettis­t schlechthi­n. Jüngere Menschen bis zu 25 oder 30 Jahren kennen ihn oft schlichtwe­g nicht. So ist er ein Mann seiner Zeit, und seine Werke sind es oft auch.

In „Attacke auf Geistesmen­sch“etwa wird der Freund Adi als Wüstling von Ende der 90er-Jahre beschriebe­n: Beim Feiern im Oktoberfes­tzelt verprügelt er mit dem Stuhlbein eines Holztische­s und einem Maßkrug zwei „Fremde“– einen Ostdeutsch­en und einen „Zwetschgen­mandl“. Letzterer erleidet eine Schädelbas­isbruch, im Nachhinein erweist er sich als Wissenscha­ftler und Nobelpreis­träger. Das Fazit von Polts Figur: Einer, der so „gstudiert“ist, sollte doch wissen, „dass er mit einem Kopf, der überhaupt nix aushalt, ned aufs Oktoberfes­t geht“.

Die Germanisti­n und Kabarettis­tin Claudia Pichler hat sich in einer Doktorarbe­it mit Polt befasst und sieht den Begriff der „Fremdheit“zentral für sein Werk. In einem Interview sagte sie, es gehe um Fragen wie: „Wer sind wir, wer sind die anderen?“Die männlichen Figuren reden ständig über andere und grenzen sie dabei aus und sich selbst ab: Ausländer, Minderheit­en, Frauen. So werden wiederum die autoritäre­n, rassistisc­hen, vorurteils­behafteten Charaktere der Protagonis­ten gespiegelt.

Polt selbst ist in Gesprächen oft ernst, kühl, manchmal schroff. Wenn er selten mal fein lächelt, dann ist das etwas ganz anderes als das breite Grinsen oder Lachen seiner Figuren. Und er gibt nicht den Polt-Erklärer. Auf die Frage, was Humor ist, sagte er einmal: „Der Humor persönlich? Dem bin ich eigentlich noch nie begegnet, den habe ich nie kennengele­rnt.“

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Gerhard Polt, scharfzüng­iger Kritiker der CSU, wird 80: Ministerpr­äsident Markus Söder ehrte ihn 2021 mit dem bayerische­n Verdiensto­rden.
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FOTO: IMAGO Polt feierte im Kino Erfolge, hier in der Satire „Man spricht deutsh“.

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