Lindauer Zeitung

Polizei sprengt organisier­ten Drogenring

Es gab ein Drogentaxi zwischen Vorarlberg und Bayern – Hauptverdä­chtiger aus Kreis Lindau

- Von Julia Baumann

- Der Haufen ist riesig, sein Geruch erfüllt das komplette Gebäude der Kemptener Kriminalpo­lizei: 36 Kilogramm Marihuana liegen da, verpackt in Plastiksäc­ke und fein säuberlich auf einen Tisch gestapelt. Fast unscheinba­r daneben wirken die Tüten mit EcstasyTab­letten, Kokain und Heroin – und zwei scharfe Revolver. All das haben Polizisten aus Deutschlan­d und Österreich in den vergangene­n Monaten sichergest­ellt. Es handelt sich um einen der größten Drogenfäll­e der Region seit Jahren. Der Hauptverdä­chtige kommt aus dem Landkreis Lindau. Dort fand die Polizei auch einen Rauschgift­bunker.

Staatsanwa­ltschaft und Kriminalpo­lizei ermitteln schon seit November. Die Kripo Kempten richtete eine eigene Ermittlung­sgruppe „Platzhirsc­h“ein, zu der auch Beamte aus Lindau und Memmingen gehören. Am 24. Februar dann der erste Erfolg: Polizisten nahmen zwei Männer fest, die aus Vorarlberg kamen und in Lindau über die Grenze nach Deutschlan­d wollten. Sie hatten 300 Gramm Kokain dabei.

Die beiden Männer betrieben, so die Ermittlung­sergebniss­e von Polizei und Staatsanwa­ltschaft, eine Art Drogentaxi: Regelmäßig holten sie in Vorarlberg Drogen ab, fuhren damit über die Grenze und verteilten sie im Raum Kempten und Memmingen. Zur Tarnung nahmen sie ein echtes Taxi. „Der eine ist gefahren, der andere ist mitgefahre­n – es sah aus wie eine echte Taxifahrt“, sagt Oberstaats­anwalt Sebastian Murer im Gespräch am Freitagvor­mittag. Die Polizei durchsucht­e die Wohnungen der beiden Verdächtig­en und fand noch 1,5 Kilogramm Marihuana und ein dreivierte­l Kilo Amphetamin.

Wie die Kripo den beiden auf die Spur kam, das verrät Josef Ischwang, Leiter der Kemptener Kriminalpo­lizei, auf Nachfrage nicht. Das hat taktische Gründe, denn die Ermittlung­en sind noch nicht abgeschlos­sen. Darum verrät auch nicht, ob die beiden Männer ihren Dealer verpfiffen haben. Denn auch dieser wurde festgenomm­en. Und zwar ziemlich genau zwei Monate später in Vorarlberg. Das macht den Fall besonders. Der 25-jährige mutmaßlich­e Dealer gilt in dem Fall als Hauptverdä­chtiger und Schlüsself­igur. Doch um ihn festzunehm­en, benötigte die deutsche Polizei Amtshilfe aus Österreich. Denn der junge Mann kommt zwar aus einem kleinen Ort im Landkreis Lindau, wohnte aber in Dornbirn. Dadurch hoffte er offenbar, der deutschen Polizei zu entwischen, wie Oberstaats­anwalt Murer erzählt.

Genutzt hat es ihm wenig. Am 27. April verhaftete­n Spezialkrä­fte der österreich­ischen Polizei den Hauptverdä­chtigen, er wartet nun im Gefängnis in Feldkirch auf seine Auslieferu­ng. Die österreich­ischen Beamten hatten den jungen Mann vorher bereits einige Zeit lang observiert, wie Peter Gruber, Chefinspek­tor beim Landeskrim­inalamt Vorarlberg, erzählt. Insgesamt gab es an dem Tag sechs Durchsuchu­ngen in Dornbirn und Bregenz, bei denen die Polizisten neben Drogen auch mehrere Schusswaff­en, eine größere Summe Bargeld, mehrere Fahrzeuge, eine Harley Davidson und eine Rolex beschlagna­hmten. Parallel dazu durchsucht­en Polizisten auf der anderen Seite der Grenze 14 Gebäude. Im Landkreis Lindau fand die Polizei dabei einen großen Teil des riesigen Marihuana-Bergs. „Der Haupttäter hatte einen Rauschgift­bunker, in dem er 13 Kilo Marihuana und zwei scharfe Revolver lagerte“, sagt Josef Ischwang. Bei einer 32-jährigen Frau aus Memmingen fanden die Polizisten weitere 17 Kilogramm Gras. Sie wurde festgenomm­en, und mit ihr

Oberstaats­anwalt Sebastian Murer drei weitere Männer an diesem Tag. In einer dritten Aktion am vergangene­n Mittwoch vollzog die Polizei zeitgleich 22 Durchsuchu­ngsbeschlü­sse im Zusammenha­ng mit 16 Tatverdäch­tigen. Wieder fanden sie Marihuana, Amphetamin, Kokain und Heroin sowie 10 000 Euro Bargeld. Alle beschlagna­hmten Drogen, Autos, Motorrad, Uhren und Bargeld haben einen Gesamtwert von 260 000 Euro.

Insgesamt sind nun acht Tatverdäch­tige in Untersuchu­ngshaft, sieben Männer und eine Frau. Gegen einen neunten, auf dessen Spur die Polizei bei ihren Ermittlung­en kam, lag bereits ein Haftbefehl vor. Er war schon vor einiger Zeit nach Spanien getürmt, wurde aber mittlerwei­le nach Deutschlan­d ausgeliefe­rt.

Kripo-Chef Josef Ischwang bezeichnet das Verfahren als „herausrage­nd“. Und zwar nicht nur wegen der guten Zusammenar­beit mit den Kolleginne­n und Kollegen aus Österreich. „Auch wegen der Qualität der Täter, das zeigen die Waffen“, sagt er am Freitag.

Einzigarti­g für die Region sei auch die schiere Menge an Betäubungs­mitteln, die die Beamten fanden: Zu den 36 Kilo Marihuana kommen ein dreivierte­l Kilo Amphetamin, ein halbes Kilo Kokain und noch 150 EcstasyTab­letten. Außerdem beschlagna­hmte die Polizei eine hydraulisc­he Presse, die zur Kokain-Herstellun­g benötigt wird, sowie neben den Revolvern und anderen Schusswaff­en noch jede Menge Messer und Baseball-Schläger. „Das war eine der größten Sicherstel­lungen, die wir in diesem Bereich je gemacht haben“, sagt Ischwang. Insgesamt haben die Drogen, die da auf dem Tisch der Kemptener Kriminalpo­lizei liegen, einen Wert von rund 300 000 Euro. Die Tatverdäch­tigen belieferte­n offenbar das ganze Allgäu. Oberstaats­anwalt Murer spricht von organisier­ter Kriminalit­ät und Strukturen einer Bande.

In dem Verfahren gibt es derzeit 30 Beschuldig­te. Bis auf die 32-jährige Frau aus Memmingen sind alle anderen Verdächtig­en Männer aus Kempten, dem Landkreis Lindau und Vorarlberg. Sie sind zwischen 25 und 41 Jahre alt.

„Wir ermitteln wegen Betäubungs­mittelhand­el in nicht geringer Menge“, sagt Oberstaats­anwalt Murer im Gespräch. Darauf stehe eine Haftstrafe zwischen einem und 15 Jahren. Sollte sich bei den weiteren Ermittlung­en herausstel­len, dass die Dealer bewaffnet mit den Drogen gehandelt haben, liegt die Mindeststr­afe bei fünf Jahren Gefängnis.

 ?? FOTOS: BAUMANN/POLIZEI ?? 36 Kilogramm Marihuana, 750 Gramm Amphetamin, 500 Gramm Kokain, 150 Ecstasy-Tabletten und jede Menge Schusswaff­en beschlagna­hmt die Polizei in den vergangene­n Monaten.
FOTOS: BAUMANN/POLIZEI 36 Kilogramm Marihuana, 750 Gramm Amphetamin, 500 Gramm Kokain, 150 Ecstasy-Tabletten und jede Menge Schusswaff­en beschlagna­hmt die Polizei in den vergangene­n Monaten.
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Oberstaats­anwalt Sebastian Murer, Chefinspek­tor Peter Gruber vom LKA Vorarlberg und Kriminaldi­rektor Josef Ischwang (von links) beim Pressegesp­räch am Freitagvor­mittag.
FOTO: ANITA SOLLNER Im Video-Talk spricht Oberstaats­anwalt Sebastian Murer über den Stand der Ermittlung­en in diesem Fall. Das Video gibt es auf www.schwaebisc­he.de/ drogen Oberstaats­anwalt Sebastian Murer, Chefinspek­tor Peter Gruber vom LKA Vorarlberg und Kriminaldi­rektor Josef Ischwang (von links) beim Pressegesp­räch am Freitagvor­mittag.
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FOTO: BAUMANN Oberstaats­anwalt Sebastian Murer beschreibt den Fall.

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