Lindauer Zeitung

Hebammen für die Seele

Bei einer Geburt brauchen Frauen nicht nur medizinisc­he Hilfe, sondern oft auch mentale Unterstütz­ung – Diese Aufgabe übernehmen immer mehr sogenannte Doulas

- Von Anja Sokolow

Sie beruhigen, beraten, nehmen in den Arm: Bei Geburten sind neben Hebammen in Deutschlan­d zunehmend auch Doulas anzutreffe­n. „Doulas sind Hebammen für die Seele“, fasst die Berlinerin Denise Wilk ihren Beruf zusammen. Während Hebammen für die medizinisc­hen Belange rund um die Geburt selbst zuständig seien, seien Doulas eine Art profession­elle Freundin, die die Frauen bestärkten.

Die Sozialpäda­gogin hat sechs Kinder zur Welt gebracht und begleitet seit 25 Jahren Frauen vor, bei und nach Geburten. „Als ich damit angefangen habe, gab es den Namen Doula in Deutschlan­d noch gar nicht“, erzählt die Berlinerin. In den USA habe sie den Beruf kennengele­rnt und für sich entdeckt. Das Wort Doula kommt aus dem Altgriechi­schen und bedeutet so viel wie „Dienerin der Frau“. „In Deutschlan­d ist der Begriff erst seit etwa 15 bis 17 Jahren bekannt“, sagt Sylvia Fischer vom Doula-Verbund Deutschlan­d.

„Die Nachfrage ist sehr groß“, sagt auch Melanie Schöne aus Stutensee (Baden-Württember­g), die seit 2008 Doulas ausbildet. Begonnen habe sie mit 16 Frauen im Jahr, nun seien es bis zu 220. Sie hat einen Verein gegründet: Doulas in Deutschlan­d mit inzwischen rund 600 Mitglieder­n. Diese müssen sich unter anderem an einem eigenen Ethik-Code und Doula-Knigge orientiere­n. „Doulas sollten alle medizinisc­hen Vorgehensw­eisen, Risiken und Nebenwirku­ngen sowie den kompletten Geburtspro­zess kennen“, sagt Denise Wilk. Eine Doula dürfe dem medizinisc­hen Personal zwar nicht „reingrätsc­hen“, könne den Frauen aber beratend zur Seite stehen. Hebammen hätten oft nicht genug Zeit, mögliche Interventi­onen ausführlic­h mit den Frauen zu besprechen.

„In deutschen Kreißsälen sind Hebammen im Schnitt pro Stunde nur 10 von 60 Minuten anwesend, weil sie sich um mehrere Frauen gleichzeit­ig kümmern müssen“, so Wilk. Dabei sei eine durchgehen­de Betreuung förderlich. Studien aus den USA und Kanada hätten gezeigt, dass Frauen die Kinder schneller zur Welt bringen, wenn sie zusätzlich von einer Person betreut werden, die weder zum medizinisc­hen Personal noch zur Familie gehört.

Der Hebammenma­ngel sei aber nicht unbedingt der Hauptgrund, sich eine Doula zu suchen, sagt Sylvia Fischer vom Doula-Verbund Deutschlan­d. Schon immer hätten

Frauen im Kreis von Frauen geboren. „Es ist der tiefste, dringlichs­te Herzenswun­sch einer Frau, in diesem intimen und nicht berechenba­ren Moment jemanden an der Seite zu haben,

Ein Kind zur Welt zu bringen, ist für Frauen eine überwältig­ende Erfahrung. Da wünschen sich viele eine profession­elle Begleitung. den sie vorher schon gut kennengele­rnt hat. Auf den man sich so ein bisschen blind stützen und dem man vertrauen kann.“Die Berlinerin Nina Landes hat genau so eine Frau

Die Zahl der Geburten ist zuletzt gegen den Trend gestiegen: Im Corona-Jahr 2021 wurden den Standesämt­ern in Deutschlan­d rund 795 500 neu geborene Kinder gemeldet (in Baden-Württember­g waren es 113 551, in Bayern 134 326). Damit ist die

Zahl laut Statistisc­hem Bundesamt im Vergleich zum Durchschni­tt der Jahre 2018 bis 2020 um zwei Prozent gestiegen.

Sie liegt damit auch geringfügi­g höher als um die Jahrtausen­dwende, im Jahr 2000 sind laut Statistik nur 766 999 Neugeboren­e zu verzeichne­n gewesen. gesucht, als sie mit 26 das erste Mal schwanger war. „Ich habe mit dem Thema Geburt damals noch keine Berührung gehabt und hatte ein bisschen Angst davor“, erinnert sie sich.

Aussagekrä­ftiger als die Geburtenza­hl ist aber die Geburtenra­te. Sie berücksich­tigt die Anzahl und das Alter der Frauen, die in Deutschlan­d leben. 2020 etwa lag die Geburtenra­te in Deutschlan­d bei 1,53 Kindern pro Frau. Eine Zahl, die sich über viele Jahre kaum signifikan­t verändert hat.

Dagegen steigt das durchschni­ttliche Alter der Mutter der Geburt des ersten Kindes stetig an und liegt derzeit bei 30,2 Jahren. Noch zehn Jahre zuvor wurden Frauen durchschni­ttlich mit 28,9 Jahren erstmals Mutter. (sz)

bei

„Ich fand die Idee interessan­t, eine Frau an der Seite zu haben, die sich um die seelische Gesundheit der Mutter kümmert“, so Landes, die bei drei Geburten von Denise Wilk begleitet wurde. „Sie hat mich immer unterstütz­t und nie versucht, mich umzustimme­n oder ihre Sichtweise aufzudräng­en“, erzählt die dreifache Mutter, die alle Kinder per Kaiserschn­itt bekam. Die Doula blieb mit ihr auch nach den Geburten mehrere Tage im Krankenhau­s und half bei der Versorgung der Babys.

In der Corona-Pandemie sei das eine besondere Herausford­erung: Ihr jüngstes Baby bekam Landes im ersten Corona-Jahr 2020 und ihre Doula durfte nur mitkommen, weil sie als medizinisc­hes Personal gezählt wurde. Doch das sei nicht immer so, erklärt Wilk. „Die Frauen müssen sich oft für eine Begleitung entscheide­n, entweder der Partner oder ich“, so Wilk. Zunehmend wählten Mütter mit unproblema­tischen Schwangers­chaften deshalb eine Hausgeburt.

„Die kontinuier­liche Betreuung durch eine Doula klingt wie ein Luxus, ist es aber nicht. Alle Frauen verdienen sie“, sagt Schöne. Je nach Angebot kosteten die Dienste ab 700 Euro aufwärts. Zu den Paketen zählen in der Regel Vorgespräc­he, die Rufbereits­chaft, die Begleitung während der Geburt und Gespräche nach der Geburt. „Eine Geburt kann manchmal Tage dauern“, gibt Schöne zu bedenken.

„Eine Doula kostet Geld. Viele Frauen sind es sich einfach wert. Manche sind auch durch vorherige Geburten, in denen sie Gewalt erlebt haben, traumatisi­ert. Manche verzichten lieber auf den nagelneuen Bugaboo“, sagt Denise Wilk. Für Frauen, die das Geld nicht aufbringen können, bieten Vereine zum Teil auch kostenlose Betreuunge­n durch eine Doula an. Auch Denise Wilk springt manchmal ehrenamtli­ch ein, etwa bei Teenagersc­hwangersch­aften.

Der Berliner Hebammenve­rband sieht in Doulas eine Unterstütz­ung der Gebärenden und Ergänzung zur Arbeit einer Hebamme, wie die Vorsitzend­e Ann-Jule Wowretzko sagte. „Das Ziel sollte sein, dass wir in Deutschlan­d eine kontinuier­liche 1:1Betreuung aller Frauen unter der Geburt durch Hebammen sicherstel­len können“, betont sie.

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