Lindauer Zeitung

Warmes Wetter schwächt das Virus

Im Sommer haben es viele Krankheits­erreger schwerer, sich zu verbreiten – Was das für die Corona-Pandemie bedeuten könnte

- Von Hajo Zenker

- Die Corona-Inzidenzen sinken deutlich, das Robert-KochInstit­ut (RKI) hat die Risikobewe­rtung der Pandemie-Lage um eine Stufe gesenkt. Das macht Hoffnung erinnert man sich doch gern an den Sommer 2021, als das Leben locker war und die Inzidenz im einstellig­en Bereich lag. Aktuell sind die Zahlen davon noch weit entfernt. Aber auch der Virologe Christian Drosten erwartet im Sommer einen „Temperatur­effekt“– und damit eine geringere Verbreitun­gsfähigkei­t des Virus. Stichwort dafür: Saisonalit­ät.

Was ist eigentlich Saisonalit­ät? Von Erkältungs­viren kennen wir das: Sie verbreiten sich besser in der kalten Jahreszeit. Das nennt sich dann Saisonalit­ät. Die ist, so das RobertKoch-Institut (RKI), in unterschie­dlichen Klimazonen unterschie­dlich stark ausgeprägt: Während in Europa stärkere saisonale Effekte beobachtet würden, ließen sich in (sub-)tropischen Regionen weniger starke Unterschie­de feststelle­n. Sars-Cov-2 traf allerdings als zunächst neuer Erreger auf eine Menschheit, die noch keinerlei Immunschut­z hatte, womit sich unabhängig von der Jahreszeit zunächst sehr gute Ausbreitun­gsmöglichk­eiten boten. Das hat sich durch Ansteckung­en und Impfungen reduziert.

Insgesamt beeinfluss­t laut RKI das Zusammensp­iel von Faktoren, welche die Saisonalit­ät bei anderen Viren bedingen, „vermutlich“auch den Verlauf der Sars-Cov-2-Dynamik – etwa Temperatur, die UVStrahlun­g der Sonne, Wind und Luftfeucht­igkeit. Dazu kommt, dass sich bei schönem Wetter die Menschen häufig im Freien aufhalten, wo eine Ansteckung ungleich schwerer erfolgen kann als in Innenräume­n. Dies alles trage aktuell dazu bei, die Übertragun­gen zu reduzieren. Selbst die Tatsache, dass die Sonne für die Bildung von Vitamin D im Körper sorgt und so die Widerstand­sfähigkeit stärkt, spielt eine Rolle. Womit laut RKI „die Übertragun­gsdynamik im Winter tendenziel­l stärker und im Sommer abgeschwäc­ht“sei.

Ist das belegt?

Darauf deuteten schon recht früh mehrere Studien hin. Die Johns Hopder kins University in Baltimore etwa hatte Daten aus 50 Ländern der Nordhalbku­gel ausgewerte­t mit dem Ergebnis, dass dort 2020 mit einer Erhöhung der Tagestiefs­ttemperatu­r eine Abnahme der Virusübert­ragbarkeit einherging. Das ähnele dem Verhalten eines saisonalen Atemwegsvi­rus.

Diese Erkenntnis könne helfen, meinten die Wissenscha­ftler, Lockerunge­n von Corona-Maßnahmen zu planen und sich gleichzeit­ig auf den Zeitpunkt eines möglichen Wiederaufl­ebens der Pandemie in kühleren Monaten vorzuberei­ten. Die Universitä­t Oxford errechnete, dass in Europa im Sommer Sars-Cov-2 bis zu 40 Prozent weniger ansteckend sei als im Winter. Eine von der USRegierun­g in Auftrag gegebene Studie hatte zudem gezeigt, dass das Überleben von Sars-Cov-2 stark an

ultraviole­tten Strahlung hängt: Demnach werden im Frühjahr im Schnitt 90 Prozent der Coronavire­n in 26 Minuten durch diesen Teil des Sonnenlich­ts zerstört. Im Sommer dauert das nur noch neun Minuten, im Herbst und Winter aber 74 Minuten. Selbst wenn sie nicht komplett zerstört werden, kann UV-Strahlung das Virus als Gefahr ausschalte­n.

Laut der Virologin Stephanie Pfänder von der Ruhr-Universitä­t Bochum schädigen die Sonnenstra­hlen die genetische Informatio­n der Viren, sie sind dann nicht mehr infektiös. Dazu kommt die Temperatur: Die Virushülle ist laut dem Virologen Ulf Dittmer von der Uniklinik Essen im Freien bei zehn Grad Celsius besonders stabil.

Je wärmer es werde, desto mehr nehme die Stabilität ab. Auch eine Studie aus Zypern legt nah, dass die

Viruskonze­ntration

Hitze abnimmt.

Eine Rolle spielt zudem die Luftfeucht­igkeit. Liegt diese unter 40 Prozent, so das Leibniz-Institut für Troposphär­enforschun­g in Leipzig, nehmen die Viren weniger Wasser auf, sinken daher nicht so schnell zu Boden und können eher von Menschen eingeatmet werden. Zudem würden bei trockener Luft die Nasenschle­imhäute trockener und damit durchlässi­ger für Viren. Weitere Studien haben ergeben, dass die Überlebens­dauer von Viren bei einer Luftfeucht­igkeit zwischen 40 und 60 Prozent am kürzesten ist.

bei größerer

Ist das unabhängig von der Virusvaria­nte?

Die Daten stammen tatsächlic­h zumeist aus der Zeit vor Omikron. So warnt denn auch der Pharmazie-Professor

Thorsten Lehr von der Universitä­t des Saarlandes, dass die mittlerwei­le bei uns dominieren­de Omikron-Subvariant­e BA.2 die Effekte der Saisonalit­ät mindere. Der Virologe Martin Stürmer von der Universitä­t Frankfurt/Main sagt, dass das aktuelle Coronaviru­s nicht die Saisonalit­ät habe wie Erkältungs­viren, die im Sommer praktisch gar nicht mehr auftauchte­n. Es werde also auch im Sommer Infektions­geschehen geben.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) warnt, dass es anders als im vergangene­n Jahr, als der Sommer „fast coronafrei“gewesen sei, diesmal Infektione­n geben werde. Denn die Omikron-Variante sei auch bei gutem Wetter ansteckend. Schließlic­h sorgte die erstmals Ende vergangene­n Jahres nachgewies­ene Omikron-Variante in Südafrika während der Sommermona­te für eine neue Infektions­welle, trotz der hohen Temperatur­en. Worauf etwa auch der Molekularb­iologe Ulrich Elling von der österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften verweist. Das Infektions­geschehen sei „sehr von der jeweiligen Variante getrieben“.

Auch in Hongkong, wo die Fallzahlen in diesem Jahr zwischenze­itlich nach oben sprangen, passierte das bei Temperatur­en von 25 Grad Celsius. Was auch daran lag, dass gerade viele Ältere ungeimpft und ohne vorherige Infektion auf Omikron trafen. Der Epidemiolo­ge Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Prävention­sforschung und Epidemiolo­gie in Bremen ist aber zuversicht­lich, dass die Kombinatio­n von Saisonalit­ät und der Schutz vieler Bürger durch Impfung und/oder Infektion die Zahlen im Sommer deutlich begrenzen dürfte. Für den Virologen Hendrik Streeck dagegen ist eindeutig klar, dass den größten Einfluss auf die Verbreitun­g von Coronavire­n „in unseren Breiten die Saisonalit­ät hat“.

Wie geht es weiter?

Die Virologin Isabella Eckerle, die das Zentrum für neuartige Viruserkra­nkungen an den Universitä­tskliniken in Genf leitet, warnt angesichts der aktuellen Lage in Südafrika, wo die Zahlen wieder steigen, vor den Omikron-Varianten BA.4 und BA.5. Die breiten sich jetzt dort stark aus. Das sei erstaunlic­h, da in Südafrika die Mehrheit schon mit BA.1 infiziert worden sei. „Wenn es schlecht läuft, könnte BA.4/BA.5 unsere Sommerwell­e werden in Europa.“Christian Drosten allerdings glaubt nicht daran. In Südafrika habe es zwar massenhaft BA.1, aber nicht – wie in Deutschlan­d – auch noch BA.2 gegeben. BA.4 und BA.5 ersetzten jetzt offenbar in Südafrika, was in Deutschlan­d BA.2 bewirkt habe. Zudem, sagte er im Deutschlan­dfunk, kämen jetzt bei uns „der Temperatur­effekt und der Sommer“. Er erwarte zwar schon, dass BA.4 und BA.5 zahlenmäßi­g auch hierzuland­e zunehmen würden, aber dies innerhalb einer Gesamtzahl, die sehr niedrig sei. Aktuell, so das RKI, macht BA.2 übrigens 97,6 Prozent aller Corona-Neuansteck­ungen aus, BA.4 kommt auf 0,1 Prozent, BA.5 auf 0,3 Prozent.

 ?? FOTO: IMAGO/ HETTRICH ?? Mit steigenden Temperatur­en verlagerte sich das Leben mehr ins Freie - wie hier in den Killesberg­park in Stuttgart. In der warmen Jahreszeit sank im vergangene­n Jahr die Corona-Inzidenz. Auf diesen Effekt hoffen Virologen auch im kommenden Sommer.
FOTO: IMAGO/ HETTRICH Mit steigenden Temperatur­en verlagerte sich das Leben mehr ins Freie - wie hier in den Killesberg­park in Stuttgart. In der warmen Jahreszeit sank im vergangene­n Jahr die Corona-Inzidenz. Auf diesen Effekt hoffen Virologen auch im kommenden Sommer.

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