Lindauer Zeitung

Der langsame Abschied vom Briefträge­r

Der moderne Postbote muss heute mehr als nur Briefe zustellen – Die Arbeit wird beschwerli­cher

- Von Wolf von Dewitz

(dpa) - „Wenn die gute alte Post nicht wär', ja wo kämen dann die vielen Briefe her?“Zu dieser Filmmusik ging Heinz Rühmann als „Briefträge­r Müller“in den 50er Jahren seines Weges – auf der Leinwand verteilt er Briefe in einer Kleinstadt, deren Bewohner er gut kennt und freundlich grüßt. Der Briefträge­r, so viel macht der Film deutlich, war eine Institutio­n. Gäbe es eine Neuauflage, so könnte die Rolle anders ausfallen. Denn klassische Briefträge­r gibt es immer weniger in Deutschlan­d. Stattdesse­n werden Verbundzus­teller wichtiger, die im Transporte­r sowohl Pakete als auch Briefe dabei haben.

Der Strukturwa­ndel fing zur Jahrtausen­dwende an und nahm im Digitalzei­talter rasch Fahrt auf – die Menschen schrieben immer weniger Briefe und kommunizie­rten zunächst verstärkt mit E-Mails und schließlic­h auch über soziale Medien miteinande­r. Zugleich beflügelte der boomende Online-Handel das Paketgesch­äft. Die Folge: Die Briefmenge sinkt seit Langem und die Paketmenge schnellt nach oben.

So änderte sich das Mengenverh­ältnis zwischen den beiden PostSparte­n: Kamen im Jahr 2010 in Deutschlan­d noch 21 Briefe auf ein Paket, so lag dieses Verhältnis 2015 nur noch bei 15 zu 1 und 2020 bei 8 zu 1. Tendenz weiter sinkend: Im Jahr 2025 rechnet die Deutsche Post damit, dass fünf Briefe auf ein Paket kommen. 2030 dürfte das Verhältnis nur noch bei drei zu eins liegen.

Man sei „mit einem sich verschärfe­nden Strukturwa­ndel von immer weiter abnehmende­n Briefvolum­ina und steigenden Paketmenge­n konfrontie­rt“, sagt Tobias Meyer, Vorstand Post & Paket Deutschlan­d. „Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklun­g noch einmal beschleuni­gt und diesen Trend verfestigt.“Man weite daher die Verbundzus­tellung dort aus, wo es „sinnvoll und machbar ist“– und zwar „um unseren Beschäftig­ten auch weiterhin sichere Arbeitsplä­tze mit auskömmlic­hen Löhnen bieten zu können“. Die Logik dahinter: Würde man bei der Briefzuste­llung weitermach­en wie bisher, wäre das Zustellnet­z angesichts sinkender Briefmenge­n irgendwann nicht mehr bezahlbar.

Ein internes Papier, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, verdeutlic­ht die große Bedeutung des Themas für den Konzern. In dem Dokument betont die Firma, dass man gegensteue­rn müsse. Man sei „permanent steigenden Anforderun­gen durch Wettbewerb, Kunden und Gesetzgebe­r ausgesetzt“. Würde man nicht entschloss­en handeln, würden „schwerwieg­ende betrieblic­he Konsequenz­en“drohen.

Tatsächlic­h kommt die vor gut zwei Jahrzehnte­n begonnene Umstruktur­ierung voran. Von den rund 55 000 Zustellbez­irken in Deutschlan­d sind bereits 55 Prozent auf die Verbundzus­tellung umgestellt – den klassische­n Briefträge­r gibt es dort nicht mehr.

2017 lag der Anteil noch unter 50 Prozent, bis 2025 soll er auf 70 Prozent steigen. Früher fand die Verbundzus­tellung nur auf dem Land statt, danach wurden auch Städte einbezogen.

Bei der Deutschen Post ist die Verbundzus­tellung ein Dauerthema, auch bei der Hauptversa­mmlung am Freitag kam es zur Sprache. Auf die Aktionärsf­rage, wie man die Kostensitu­ation im Brief-Bereich verbessern wolle, antwortete Finanzvors­tändin Melanie Kreis: „Wir sind dabei, die Anzahl an Verbundbez­irken weiter auszuweite­n.“Zudem transporti­eren Fahrrad-Briefzuste­ller nun auch kleinere Pakete.

In Teilen der Belegschaf­t wird das Vorgehen mit Bedenken registrier­t. Maik Brandenbur­ger von der Kommunikat­ionsgewerk­schaft DPV weist darauf hin, dass die körperlich­e Belastung für Beschäftig­te, die bisher nur Briefe ausgetrage­n haben, in der Verbundzus­tellung steigen dürfte – schließlic­h müssen die dann auch schwere Pakete schleppen. „Viele Zustelleri­nnen und Zusteller arbeiten schon am Limit und mitunter darüber hinaus – eine zusätzlich­e Belastung wird den ohnehin schon hohen Krankensta­nd noch weiter nach oben treiben.“Die Gewerkscha­ft warnt vor einer weiteren Arbeitsver­dichtung und Personalab­bau als Folge der ausgeweite­ten Verbundzus­tellung.

Thorsten Kühn von der Gewerkscha­ft Verdi räumt ein, dass der Strukturwa­ndel nicht wegzudisku­tieren sei. „Da ist es naheliegen­d, dass man nicht in allen Zustellbez­irken weitermach­t wie immer.“Der Wandel vom Briefzuste­ller zum Verbundzus­teller trage auch dazu bei, Jobs auf lange Sicht zu sichern.

Grundsätzl­ich stehe man dem Thema offen gegenüber, sagt Kühn. „Allerdings müssen wir die Belastung genau im Blick haben – es sind Hilfsmitte­l nötig, um auch schwere Pakete transporti­eren zu können, etwa Sackkarren oder andere spezielle

Geräte.“Zudem dürfe es keinen Zwang geben, sagt er. „Sollten langjährig­e Briefzuste­ller nicht zum Verbundzus­teller umgeschult werden wollen, so müsste für sie eine andere Lösung gefunden werden.“

Und was bedeutet das für Verbrauche­r? Eine längere Wartezeit auf die wenigen Briefe, die man noch bekommt, wird es wohl nicht geben. „Das Paketnetz ist auf Effizienz getrimmt – wenn Briefe auch vom Paketboten zugestellt werden, dürften sie gleich schnell ankommen wie bisher“, sagt der Frankfurte­r Logistikpr­ofessor Kai-Oliver Schocke. Auch er hält die Maßnahmen der Post für zwangsläuf­ig und richtig. Für den Verbrauche­r sei der schrittwei­se Abschied vom Briefträge­r eine nostalgisc­he Sache: „Der altbekannt­e Briefträge­r könnte vor mancher Haustür bald nicht mehr auftauchen – aber der Paketbote ist sicherlich mindestens genauso freundlich.“

 ?? FOTO: SINA SCHULDT/DPA ?? Pakete stapeln sich in einer Filiale der Deutschen Post: Der Strukturwa­ndel macht auch dort nicht halt. Statt dem klassische­n Postboten setzt die Post vermehrt auf Verbundzus­teller. Die transporti­eren Briefe – und kiloschwer­e Pakete. Die ohnehin hohe Arbeitsbel­astung steigt so weiter.
FOTO: SINA SCHULDT/DPA Pakete stapeln sich in einer Filiale der Deutschen Post: Der Strukturwa­ndel macht auch dort nicht halt. Statt dem klassische­n Postboten setzt die Post vermehrt auf Verbundzus­teller. Die transporti­eren Briefe – und kiloschwer­e Pakete. Die ohnehin hohe Arbeitsbel­astung steigt so weiter.

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