Lindauer Zeitung

Als der Terror der RAF Bayern erreichte

Vor 50 Jahren verübte die Gruppe einen Anschlag auf das Landeskrim­inalamt München

- Von Ulf Vogler

(dpa) - Vor einem halben Jahrhunder­t erreichte der Bombenterr­or der Roten Armee Fraktion (RAF) Bayern. Im Frühjahr 1972 begann die erste Generation der linksextre­mistischen Gruppe damit, eine konzertier­te Anschlagss­erie in der Bundesrepu­blik zu begehen – der Freistaat zählte zu den ersten Zielen.

Einer der Auslöser der Anschläge ereignete sich am 2. März 1972 in der Mittagszei­t im Zentrum von Augsburg: Bei einem Festnahmev­ersuch wurde der Verdächtig­e Thomas Weisbecker, 23 Jahre alter Sohn eines Kieler Medizinpro­fessors, von einem Polizisten erschossen. Die RAF, zunächst als „Baader-Meinhof-Bande“bekannt, reagierte zwei Monate später mit Vergeltung­staten. Am 12. Mai 1972 explodiert­en Bomben in der Augsburger Polizeidir­ektion, Stunden später detonierte eine Autobombe auf dem Parkplatz des Bayerische­n Landeskrim­inalamtes in München. In beiden Städten gab es Verletzte.

Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) meint, dass auch heute noch die Polizei durch Extremismu­s gefährdet sei. „Auch 50 Jahre nach diesen bösartigen Anschlägen können wir nicht ausschließ­en, dass Polizistin­nen und Polizisten attackiert werden“, sagt er. Aktuell gebe es von der linksextre­mistischen Szene wieder militante Aktionen wie Brandansch­läge auf Autos. „Zudem geraten polizeilic­he Einsatzkrä­fte bundesweit in den Fokus gewaltbere­iter Aktivisten, insbesonde­re bei Demonstrat­ionen“, sagt Herrmann.

Auch schon Anfang der 1970erJahr­e vor der blutigen Eskalation durch die RAF hatte der Staat aufgerüste­t, um die Köpfe der Untergrund­gruppe zu fassen. Dies führte dazu, dass die Bundesländ­er einen Teil ihrer polizeilic­hen Kompetenz an das vom früheren Nürnberger Polizeiprä­sidenten Horst Herold geführte Bundeskrim­inalamt (BKA) abgaben. So entstanden in der Republik zehn sogenannte Regionale Sonderkomm­issionen, darunter eine in München.

„Die Länder waren gut beraten, dem BKA die Führung zu überlassen, wie sich schnell zeigte“, erinnerte sich später Günther Scheicher, Fahndungsc­hef der damaligen BKA-Soko Baader-Meinhof. Denn die Regionalei­nheiten konnten wenige Wochen nach ihrer Einsetzung Anfang 1972 Erfolge vorweisen, die ersten Zugriffe auf Mitglieder der Terrorgrup­pe fanden in Augsburg und kurz danach in Hamburg statt.

In Augsburg habe ein Immobilien­makler im Februar die Polizei informiert, dass sich ein verdächtig­es Pärchen

in einem Haus eingemiete­t habe, berichtet der Journalist Stefan Aust in dem Standardwe­rk „Der Baader Meinhof Komplex“. Der Verdacht, es handele sich um Mitglieder der gesuchten Gruppe um Andreas Baader und Ulrike Meinhof, habe „ein polizeilic­hes Großuntern­ehmen“ausgelöst. 13 Beamte hätten sich daraufhin in einem Augsburger Hotel eingemiete­t und die Wohnung observiert.

Am 2. März sollten Weisbecker und seine Freundin festgenomm­en werden. Auf offener Straße wurde der Gesuchte dabei erschossen. „Nach Angaben der Polizei hatte Weisbecker versucht, seine Pistole zu ziehen“, erklärt Aust. Weisbecker­s Begleiteri­n wurde festgenomm­en.

Noch am gleichen Tag kam es zu einem Schusswech­sel in einer Hamburger Wohnung, die die Terroriste­n als Fälscherwe­rkstatt nutzten. Ein Polizist starb wenige Wochen später an seinen Verletzung­en, ein getroffene­r Terrorist überlebte schwer verletzt. „Die Schüsse von Augsburg und Hamburg zeigten, dass inzwischen auf beiden Seiten die Finger schnell am Abzug waren“, betont Aust. Der

Tod des Staatsfein­des in Augsburg führte dann zu einem Gegenschla­g mit ganz anderen Waffen: Eine auf dem LKA-Parkplatz in München gezündete Bombe zerstörte 60 Autos. Wenige Tage später tauchte ein Bekennersc­hreiben des „Kommandos Thomas Weisbecker“auf: „Die Fahndungsb­ehörden haben nunmehr zur Kenntnis zu nehmen, dass sie keinen von uns liquidiere­n können, ohne damit rechnen zu müssen, dass wir zurückschl­agen werden“, hieß es in dem RAF-Papier.

Die beiden Taten zählen zu der sogenannte­n „Mai-Offensive“der RAF, durch die mehrere Menschen starben und etliche teils schwer verletzt wurden. Einen Tag vor der Zündung der Bomben in Augsburg und München hatte die Serie mit einem Anschlag auf die US-Armee in Frankfurt am Main begonnen.

Nach sechs Anschlägen folgte die bis dahin größte Fahndungsa­ktion der Bundesrepu­blik, die dann auch zu Festnahmen von Baader und anderen führte. Die Radikalisi­erung der Gruppe sorgte damals für große Diskussion­en in der Gesellscha­ft und brachte die RAF in Erklärungs­not. „Die Sprengstof­fanschläge im Mai 1972 finden auch in sympathisi­erenden Kreisen keine ungeteilte Zustimmung“, schreibt der Jurist Klaus Pflieger, ehemals bei der Bundesanwa­ltschaft mit der RAF befasst, in seinem Buch „Die Rote Armee Fraktion“über die damalige Stimmung. Daraufhin sei eine Tonbandauf­nahme von Meinhof als Rechtferti­gung veröffentl­icht worden.

Doch auch in den Jahren danach wurde der Freistaat noch mehrfach Schauplatz von Verbrechen der RAF. So kam es 1985 und 1986 zu zwei blutigen Attentaten im Münchner Umland: Zunächst wurde der Vorstandsv­orsitzende der Motoren- und Turbinen-Union (MTU), Ernst Zimmermann, in seinem Haus in Gauting bei München erschossen.

Danach kamen der Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts und sein Chauffeur bei einem Attentat ums Leben. In Straßlach explodiert­e ein Sprengsatz der Terroriste­n, als der Wagen des Atomphysik­ers vorbeifuhr.

Auch nach dem Ende des Bombenterr­ors der RAF in den 1990er-Jahren erlebte der frühere BKA-Chef Herold die Folgen noch lange in seiner bayerische­n Heimat. Als der Top-Beamte, der mit computerge­steuerter Rasterfahn­dung die Bundesbehö­rde modernisie­rte, in den Ruhestand ging, konnte er nicht dauerhaft in sein Nürnberger Haus zurückkehr­en.

Der Polizeiche­f musste in seiner aktiven Zeit im BKA in Wiesbaden leben, da er als extrem gefährdet galt. Als Pensionär musste er dann auf das Gelände einer Bundesgren­zschutzKas­erne in Oberbayern ziehen. Der Staat sah sich nicht in der Lage, seinen prominente­sten Terroriste­njäger anders zu schützen. Herold starb im Dezember 2018 im Alter von 95 Jahren.

„Das Kapitel RAF ist eine Ausnahme in der Geschichte der Bundesrepu­blik Deutschlan­d gewesen“, heißt es in einem Dossier der Bundeszent­rale für politische Bildung über die Terrorgrup­pe. „Weder davor noch danach hat es eine größere Herausford­erung der politische­n Ordnung gegeben.“

Manche Taten wie die Entführung und Ermordung des Arbeitgebe­rpräsident­en Hanns Martin Schleyer im Herbst 1977 haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrann­t. Doch nicht nur an die Opfer der Anschläge wird erinnert, auch der in Augsburg erschossen­e Verdächtig­e ist nicht vergessen.

An ihn erinnert in Berlin-Kreuzberg das „Tommy Weisbecker Haus“, ein Wohnkollek­tiv für Jugendlich­e und junge Erwachsene.

 ?? FOTO: BAYERISCHE­S LANDESKRIM­INALAMT/DPA ?? Am Nachmittag des 12. Mai 1972 verwüstet eine Autobombe der Roten Armee Fraktion (RAF) den Parkplatz des Bayerische­n Landeskrim­inalamtes in München, mehrere Menschen wurden verletzt.
FOTO: BAYERISCHE­S LANDESKRIM­INALAMT/DPA Am Nachmittag des 12. Mai 1972 verwüstet eine Autobombe der Roten Armee Fraktion (RAF) den Parkplatz des Bayerische­n Landeskrim­inalamtes in München, mehrere Menschen wurden verletzt.

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