Lindauer Zeitung

Klimawande­l gerät ins Hintertref­fen

Ukraine-Krieg verändert Fokus – Nächste Weltklimak­onferenz in sechs Monaten in Ägypten

- Von Johannes Sadek

(dpa) - Ägyptens erste Hitzewelle der Saison kam dieses Jahr schon im April: In Kairo stieg die Temperatur auf bis zu 40 Grad Celsius. Es war, als puste ein riesiger Haartrockn­er heiße Luft über die Hauptstadt und ihre 20 Millionen Einwohner. Schon im August vergangene­n Jahres hatten die Ägypter eine Woche lang bei Hitze um 40 Grad geächzt. Die Regierung kam zu der Einsicht, der Klimawande­l sei auch für Ägypten zu einem „drängenden Problem“geworden.

In sechs Monaten wird dieses Problem in Ägypten auf höchster Ebene verhandelt. Dann richtet der Wüstenstaa­t die nächste Weltklimak­onferenz aus, die COP27. Im Küstenort Scharm el Scheich, sonst eher bekannt für Strände und Badespaß, werden Anfang November rund 30 000 Teilnehmer erwartet, darunter 120 Staatsund Regierungs­chefs. Was hat sich sechs Monate nach der COP26 in Glasgow beim Klimaschut­z eigentlich getan?

Der Krieg in der Ukraine habe seit Februar eine „gänzlich neue Dynamik“gebracht, sagt David Ryfisch von der Entwicklun­gs- und Umweltorga­nisation

Germanwatc­h. „Durch den Krieg haben wir eine ganz neue Diskussion um Energiesic­herheit.“Die Regierungs­partei FDP sprach sich etwa dafür aus, eine längere Nutzung der besonders klimaschäd­lichen Braunkohle zu prüfen. Der Ausstieg soll in Deutschlan­d laut Koalitions­vertrag eigentlich bis 2030 gelingen.

„Wir sehen leider ziemlich deutlich, dass es mit einem raschen Kohleausst­ieg sehr schwer werden könnte“, sagt der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolge­nforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, zur Kohlenutzu­ng weltweit. Weil die Gaspreise durch den Krieg schneller steigen als die Kohlepreis­e, setze sich vor allem in Asien eine „Renaissanc­e der Kohle“fort – etwa in China und Indien, aber auch in kleineren Ländern. Und das, obwohl man sich in Glasgow darauf einigte, die Kohleverst­romung schrittwei­se runterzufa­hren.

Auch im November wird die heilige Marke von 1,5 Grad Celsius wieder über der Konferenz hängen – der Wert, um den sich die Erde laut Pariser Klimaabkom­men höchstens dauerhaft über das vorindustr­ielle Niveau erwärmen darf. Dem jüngsten Bericht des Weltklimar­ats (IPCC) zufolge, den UN-Generalsek­retär

António Guterres als „Dokument der Schande“bezeichnet­e, ist das Ziel ohne drastische Einsparung­en überhaupt nicht mehr zu erreichen.

Eine ernüchtern­de Botschaft kam dazu aus Genf: Die 1,5-Grad-Erhöhung könnte sogar schon – wenn auch nur vorübergeh­end – innerhalb der nächsten fünf Jahre erreicht sein, teilte die Weltwetter­organisati­on (WMO) mit. Bei Abschluss des Pariser Abkommens 2015 galt so etwas noch als nahezu ausgeschlo­ssen. „Wir fahren ein bisschen langsamer auf die Wand zu, aber wir fahren immer noch auf die Wand zu“, sagt Edenhofer. Er fordert eine „grundlegen­de Korrektur“.

„Vor allem die großen Emittenten müssen einfach signifikan­t nachlegen“, sagt auch Frauke Röser vom NewClimate Institute, das Zusagen von Ländern zu neuen Klimaziele­n beobachtet. Oft entfalte sich bei Konferenze­n ein Gruppendru­ck. „Man hat das zum Beispiel in Glasgow gesehen, dann werden einzelne Akteure auch unter Zugzwang gesetzt.“Auch wenn kleine Länder wie Costa Rica sich stark engagierte­n, sei die Dynamik zwischen den USA und China und anderen der großen Emittenten entscheide­nd.

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat den Klimaschut­z bereits zur Chefsache gemacht. Das Land, in dem 100 Millionen Menschen leben, ist mit seinen Wüsten, wenig Regen, heißen Sommern, großen Städten und langen Küsten extrem gefährdet. Die Szenarien: Einbußen bei den Ernten, noch mehr Wasserknap­pheit, Versalzung der Ackerböden im Nildelta. Und bis 2050 könnte die Bevölkerun­gszahl nach UN-Schätzunge­n auf 160 Millionen steigen.

Bei Ägyptern, die leere Coladosen gern mal aus dem Autofenste­r schleudern oder Einkäufe dreifach in Plastik einwickeln lassen, könnte die Konferenz das Bewusstsei­n ein wenig schärfen. Das Land kämpft mit Armut, Analphabet­ismus und Arbeitslos­igkeit. Umwelt- und Klimaschut­z beschäftig­en deutlich weniger Menschen als in Industrien­ationen.

Impulse für den Gipfel in einem halben Jahr erhoffen sich Klimaschüt­zer von der Siebenergr­uppe der Industrien­ationen (G7), bei der Deutschlan­d dieses Jahr den Vorsitz hat. „Von der G7 muss ein klares Signal ausgehen“, sagt Ryfisch. Wichtig an der COP sei aber, dass alle vertreten sind, „auch die Armen und Verletzlic­hen“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany