Lindauer Zeitung

Mehr Unterhaltu­ng als Unterstütz­ung

Pflegerobo­ter Lio hilft in einem Konstanzer Altenheim – Zeit für eine erste Bilanz

- Von Larissa Hamann

- Als Mensch wäre Lio der unkomplizi­erteste Praktikant, den sich das Konstanzer Altenpfleg­eheim St. Marienhaus nur wünschen kann: Er hat kein Problem damit, nachts zu arbeiten, braucht wenig Pausen, kennt keine schlechte Laune und nimmt den Pflegerinn­en und Pflegern ohne Murren jede Arbeit ab, die ihm seine Fähigkeite­n erlauben. Lio ist allerdings kein Mensch, sondern ein Pflegeunte­rstützungs­roboter. Seit mehr als zwei Jahren begleitet er die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des Konstanzer Seniorenze­ntrums in ihrem Alltag.

Mit Ablauf des zweijährig­en Testzeitra­ums haben die Caritas als Trägerin des Konstanzer Altenpfleg­eheims, die Universitä­t Konstanz und die Hochschule Vorarlberg, die die das Projekt wissenscha­ftlich begleitet, nun zusammen mit Lios Entwickler­n der Firma F&P Robotics in Konstanz eine erste Bilanz gezogen. Die Schweizer Firma mit Sitz in der Nähe von Zürich hat sich auf Robotertec­hnologie und die Weiterentw­icklung künstliche­r Intelligen­z spezialisi­ert und den Assistente­n eigens für die beiden Einrichtun­gen entwickelt.

Pur – die Abkürzung für Pflegeunte­rstützende Robotik – heißt das Projekt rund um Lio, mit dem die Wissenscha­ftler der beiden Hochschule­n erforschen wollen, inwieweit soziale und technische Interaktio­n zwischen Menschen und Robotern schon möglich ist. „Es geht nicht drum, dass wir in Zukunft Menschen mit Robotern pflegen“, betont Andreas Hoffmann, Vorsitzend­er des Caritasver­bandes Konstanz. Pflegerisc­he Tätigkeite­n seien aus Sicht der katholisch­en Organisati­on ethisch nicht vertretbar, weshalb der Roboter in den vergangene­n Monaten ausschließ­lichen für unterstütz­enden Tätigkeite­n wie das Desinfizie­ren von Türklinken oder zur Unterhaltu­ng der Bewohnerin­nen und Bewohner zum Einsatz kam.

Dass ein Roboter so viele unterschie­dliche Fähigkeite­n beherrscht, sei in der Branche derzeit eher noch eine Seltenheit. „Es gibt weder in Japan, noch im Silicon Valley einen Roboter, der mehr kann“, sagt F&P-Geschäftsf­ührer Michael Früh. Auch, dass ein Roboter in einem so frühen Entwicklun­gsstadium als Prototyp in Kontakt mit Menschen außerhalb des Labors kommt, sei eher ungewöhnli­ch.

F&P hat den Assistenze­n zunächst nur mit wenigen Funktionen ausgestatt­et, um erst einmal zu testen, auf welche Herausford­erungen er im Alltag eines Seniorenze­ntrums stößt. „Man kriegt die blanke Wahrheit

ab, was gut klappt und eben was nicht“, nennt Früh als Vorteil dieses Vorgehens. Auf Basis dieser Erfahrunge­n sollten seine Fähigkeite­n passgenau erweitert und verbessert werden.

So haben die Entwickler Lio zu Beginn erst einmal nur darauf programmie­rt, die Menschen im Pflegeheim zu erkennen, sie zu begrüßen und auf ihre Ansprache zu reagieren. Außerdem sollte Lio Getränke anbieten und sich sicher auf den Fluren und den Gemeinscha­ftsräumen bewegen können. Aufgaben, die Lio im Labor problemlos erledigt, bereiten dem Roboter im Heimalltag anfänglich Schwierigk­eiten. „Roboter lieben gut ausgeleuch­tete Räume, Licht, viel Platz und super Internet“, erklärt Katrin Paldán, Vorsitzend­e der Forschungs­ethik-Kommission der Fachhochsc­hule Vorarlberg. Im Gegensatz dazu entpuppen sich Gänge des Marienhaus­es mit wahllos abgestellt­en Rollstühle­n und Küchenwage­n als wahren Hindernisp­arcours für den Roboter. „Drum herum fahren war leider nicht immer möglich und wegschiebe­n kann ich sie noch nicht“, halten die Wissenscha­ftler in Lios Namen in einem Tagebuch auf der Internetse­ite des Projektes fest. Mit Hilfe maschinell­en Lernens – dabei sammelt ein Roboter mit seinen Sensoren Daten und kann dieser wieder abrufen – „lernt“Lio nach und nach die Menschen und

Räume im St. Marienhaus kennen. „Das hat am Ende mit hoher Zuverlässi­gkeit geklappt“, sagt Paldán.

Nicht immer so zuverlässi­g geklappt haben dagegen Gesprächsv­ersuche zwischen den Bewohnerin­nen, Bewohnern und dem Roboter. „Ihn einfach anzusprech­en war für die Seniorinne­n und Senioren aber die natürlichs­te Art, mit ihm zu kommunizie­ren“, erklärt die Vorsitzend­er der Forschungs­ethik-Kommission weiter. Große Probleme bereiten dem Pflegeassi­stenten dabei vor allem Dialekte und undeutlich­e Aussprache­n. Auch die Reaktionsz­eiten sind nach Ansicht von Informatik­er Oliver Deussen, der im Fachbereic­h Computer und Grafik der Universitä­t Konstanz das Projekt mitbetreut hat, noch viel zu lang. Lios Künstliche Intelligen­z sei zwar grundsätzl­ich in der Lage, neue Begriffe zu lernen und zu seinem Wortschatz hinzuzufüg­en, bis sich sein Sprachvers­tändnis jedoch merklich verbessert, benötige es Zeit und vor allem viele Gespräche mit den Seniorinne­n und Senioren.

Reges Interesse an Lio zeigten die Bewohnerin­nen und Bewohner vom ersten Tag. „Unsere größte Überraschu­ng war, dass die Akzeptanz so groß war“, sagt Hoffmann. Bedenken im Umgang mit der unbekannte­n Technik bestätigen sich nicht – im Gegenteil, wie auch Oliver Deussen erklärt: „Wir müssen akzeptiere­n, dass der Roboter den älteren Menschen eine große Freude macht, die wir vielleicht erst einmal gar nicht so verstehen.“So wird der Roboter nach wenigen Tagen in den Fluren gegrüßt, beinahe zärtlich berührt und an der Fasnacht sogar verkleidet. „Ab dann hab ich gewusst: Jetzt ist er angekommen“, sagt Heimleiter­in Bärbel Sackmann. Lediglich zwei Bewohnerin­nen und Bewohner, beide leiden unter einer psychische­n Erkrankung, meiden den technische­n Assistente­n.

Einig sind sich die Caritas und Wissenscha­ftler nach dem Test aber dennoch: Für einen routinemäß­igen Einsatz von Assistenzr­obotern ist die Zeit noch nicht reif. „Lio ist noch kein zuverlässi­ges Schweizer Taschenmes­ser, dass sämtliche Funktionen parallel ausführen kann“, so Paldán. An einer Zukunft der Robotertec­hnik in der Pflege halten Andreas Hoffmann und Oliver Deussen aber dennoch fest: „Ich glaube, dass Roboter Bestandtei­l vieler Pflegeheim­e werden. Sie werden mit der Zeit auch günstiger und viele Standardau­fgaben übernehmen können“, so Deussen.

Dazulernen wird Lio auch weiterhin können. Die Caritas hat die Zusammenar­beit mit der Entwickler­firma F&P verlängert, sodass der Pflegeassi­stenzrobot­er auch weiterhin in der Konstanzer Einrichtun­g bleiben kann.

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FOTO: ANJA MUELLER/EMANYA-PHOTOGRAPH­Y Pflegerobo­ter Lio hilft im Alltag und sorgt für Unterhaltu­ng,

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