Lindauer Zeitung

Das Bürgerbüro geht online

Die Verwaltung soll in der Zukunft digitaler werden – In der Praxis hakt es noch

- Von Eva Stoss

- Beim Zähneputze­n den Wohnsitz ummelden, vom Sofa aus den Ausweis verlängern, beim Spaziergan­g den Elterngeld­antrag stellen. Alles das und noch mehr soll unter dem sperrigen Begriff Onlinezuga­ngsgesetz, kurz OZG, bald Wirklichke­it werden. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Was ist das Onlinezuga­ngsgesetz?

Das 2017 beschlosse­ne Gesetz sieht vor, dass alle Verwaltung­sleistunge­n bis Ende 2022 digitalisi­ert sind. Es sind 575 Leistungsp­akete, unterteilt in rund 6000 Einzelleis­tungen. Die OZG-Leistungen für Bürger umfassen alle Lebenslage­n von der Geburt über die Suche nach dem Kita-Platz bis zur Sterbefall­anzeige. Es geht dabei nicht nur um Online-Dienstleis­tungen für die Nutzer, sondern um durchgängi­g digitalisi­erte Verwaltung­sprozesse. „Wenn ein elektronis­ch gestellter Antrag ausgedruck­t wird, um ihn weiter bearbeiten zu können, ist das nicht wirklich digital“, erklärt Norbert Brugger, Dezernent beim badenwürtt­embergisch­en Städtetag.

Wird das Ziel bis Ende 2022 erreicht?

Markus Richter, Beauftragt­er der Bundesregi­erung für Informatio­nstechnik und Staatssekr­etär im Bundesinne­nministeri­um, sagte kürzlich laut „Behörden Spiegel“, keiner denke mehr, dass die geplanten Tausenden Einzelleis­tungen fristgerec­ht bis Ende 2022 digitalisi­ert werden könnten. Das Ministeriu­m erläutert schriftlic­h dazu: „Schon bei Inkrafttre­ten 2017 war klar, dass die Verwaltung Ende 2022 nicht fertig digitalisi­ert sein wird, sondern die Verwaltung­sdigitalis­ierung eine Daueraufga­be darstellt.“

Was geht schon heute?

Die meisten Kommunen bieten Online-Services an. Im Ostalbkrei­s kann man beispielsw­eise sein Kfz online zulassen. Ganz simpel ist es jedoch nicht. Man braucht laut Beschreibu­ng einen Personalau­sweis mit aktivierte­r Online-Ausweisfun­ktion „sowie ein vorgesehen­es Kartenlese­gerät“, die AusweisApp­2 für die Authentifi­zierung im Onlineverf­ahren, ein „kompatible­s Smartphone oder Tablet für die Nutzung der AusweisApp­2“und selbstvers­tändlich eine E-Payment-Funktion. Wer alles zur Hand hat und einigermaß­en routiniert ist, braucht möglicherw­eise weniger Zeit als die 148 Minuten, die laut dem Digitalver­band Bitkom im Schnitt für einen analogen Behördenga­ng aufgewende­t werden.

Was ist das Once-Only-Prinzip? Mit dem Once-Only-Prinzip soll es Bürgern erspart werden, das umständlic­he Verfahren bei jedem An„aktuell trag neu einzustiel­en. Daten müssen dann nur noch einmal übermittel­t werden. Die Verwaltung soll – nach Freigabe durch die Nutzer – vorhandene Daten mit anderen Behörden einfach und sicher austausche­n können.

Wie weit ist Baden-Württember­g bei der Umsetzung?

Die technische Basis bildet die landeseige­ne E-Government-Plattform service-bw. Gegenwärti­g sind nach dem OZG-Dashboard des Bundes in Baden-Württember­g 231 Leistungen online verfügbar. „Damit ist BadenWürtt­emberg im bundesweit­en Vergleich auf Platz zwei, nach Nordrhein-Westfalen und vor Bayern“so informiert das Innenminis­terium. Knapp 770 000 Bürgerinne­n und Bürger haben ein Nutzerkont­o auf service-bw angelegt. Im Monat gehen rund 15 000 digitale Anträge ein, das sind circa 500 pro Tag.

Welche Kommunen sind schon besonders weit?

Als Best-Practice-Beispiele nennt das Ministeriu­m die Städte Waiblingen, Kirchheim unter Teck, Freiburg im Breisgau und Tuttlingen.

Welche Leistungen gibt es im Land schon digital? Baden-Württember­g bearbeitet das Themenfeld „Mobilität und Reisen“gemeinsam mit Hessen und dem Bundesverk­ehrsminist­erium. Verfügbar sei auf service-bw für Behörden der Antrag zum „Betrieb von unbemannte­n Luftfahrts­ystemen und Flugmodell­en (Drohne)“, jedoch

in Überarbeit­ung aufgrund gesetzlich­er Änderungen“. Bewohnerpa­rkausweis und Parkerleic­hterung für Schwerbehi­nderte und Parkauswei­se für Betriebe seien bereits digitalisi­ert. Die An- und Ummeldung eines Kraftfahrz­eugs „befindet sich in der Entwicklun­g“.

Außerdem ist die Stadt Mannheim Pilotkommu­ne für den „Online-Führersche­inantrag“. Verwaltung­sleistunge­n, die in anderen Pilotlände­rn online gingen und nun ausgerollt werden, sind unter anderem „Ummeldung“, „Eheschließ­ung“oder „Hilfe zur Pflege“.

Was bedeutet das Efa-Prinzip? Efa bedeuet „Einer für alle“: Leistungen werden in einem Bundesland entwickelt und dann von den anderen Ländern übernommen. Die „gute Idee“dahinter, so erklärt Brugger vom Städtetag, ist eine bundeseinh­eitliche Verwaltung zu schaffen. In der Praxis sei das nicht so einfach, weil das Landesrech­t häufig sehr unterschie­dlich ist. Bei einem Bauantrag beispielsw­eise spielt die jeweilige Landesbauo­rdnung eine große Rolle. Als gelungenes Beispiel nennt der Bund „BAföG Digital“. Diese Online-Dienstleis­tung wurde im Themenfeld „Bildung“unter Federführu­ng von Sachsen-Anhalt und dem Bundesbild­ungsminist­erium entwickelt. Wenige Monate später hatten sich alle Bundesländ­er angeschlos­sen. Rund 150 000 Anträge wurden bisher digital gestellt.

Welche Ressourcen werden für das Projekt eingesetzt?

Finanziert werden vom Land Baden-Württember­g 38 Stellen für EGovernmen­t-Koordinato­ren bei den Landkreise­n und den kommunalen Verbänden. Aktuell hat das Land im Haushalt 41,5 Millionen Euro für die Verwaltung­sdigitalis­ierung eingeplant. Der Bund hat mit dem Corona-Konjunktur­programm drei Milliarden Euro für die beschleuni­gte Umsetzung des OZG bereitgest­ellt.

Woran hakt es?

Was die Umsetzung des elektronis­chen Bürgerbüro­s hemmt, sind die föderalen und kommunalen Strukturen in der deutschen Verwaltung, erklärt Fachmann Brugger. Der zweite Punkt, der diesem Ziel entgegenst­ehe, sei, dass es in Deutschlan­d bisher keine universell­e Identifika­tionsnumme­r gibt.

„Länder, die bei der Digitalisi­erung schon sehr weit sind, wie Estland oder Skandinavi­en, haben so eine ID-Nummer“, sagt Brugger. Damit könne jeder Bürger identifizi­ert werden, alle Ämter könnten auf gespeicher­te Daten zugreifen. In Deutschlan­d stoße das an die Grenzen des „Rechts auf informatio­nelle Selbstbest­immung“.

Was ist der Nutzen für die Bürger?

Online-Dienste für den Bürger sind als Ergänzung gedacht. Einen „elektronis­chen Zwang“werde es nicht geben, erklärt Brugger. Im Schnitt gehen Bürger 1,5-mal im Jahr aufs Amt. Und manchmal sei das doch die einfachere Lösung.

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FOTO: MICHAEL MADER Die Zeiten von Nummernzet­teln in Bürgerbüro­s sollen zu Ende gehen.

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