Lindauer Zeitung

100 Milliarden Euro sind womöglich nicht genug

Das geplante Sonderverm­ögen für die Bundeswehr klingt beeindruck­end – Experten fordern aber noch mehr Geld

- Von Ellen Hasenkamp

- Bei der Ankündigun­g des Sonderverm­ögens Bundeswehr gab es im Bundestag viel Applaus. Jetzt wird um die Details gerungen. Ein Überblick.

Was ist der Stand?

Angekündig­t hat Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) das Sonderverm­ögen in seiner „Zeitenwend­e“-Rede vor mehr als zehn Wochen. Es soll als Ergänzung des Streitkräf­te-Artikels 87a im Grundgeset­z verankert werden, die Einzelheit­en regelt dann das geplante BwSVermG – das Bundeswehr­sonderverm­ögengesetz. Inzwischen laufen die Beratungen. Doch es hakt: Zur Änderung des Grundgeset­zes ist eine Zwei-DrittelMeh­rheit in Bundestag und Bundesrat und damit die Zustimmung der Union nötig. Die aber hat jede Menge Änderungsw­ünsche. Eine Einigung bis zur nächsten Sitzungswo­che ist nach Angaben beider Seiten fraglich.

Warum überhaupt ein Sonderverm­ögen?

„Das Sonderverm­ögen ist erforderli­ch, um insbesonde­re Fähigkeits­lücken der Bundeswehr zu schließen“, heißt es im Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung. Scholz beschreibt es so: „Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen und Soldatinne­n und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüste­t sind.“

Das klingt selbstvers­tändlich, ist es aber bei der Truppe schon lange nicht mehr. Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) nennt Beispiele: „Wir haben auf dem Papier 350 Schützenpa­nzer Puma, davon sind tatsächlic­h 150 einsatzber­eit. Beim Kampfhubsc­hrauber Tiger sieht es nicht anders aus. Von 51 Maschinen können gerade mal neun abheben.“

Das zu ändern, bedeutet zusätzlich­e Milliarden­ausgaben. Die aber fehlen dem Bund, dann jedenfalls, wenn die Schuldenre­gel nicht erneut verletzt oder das Geld nicht an anderer Stelle eingespart werden soll. Beides will die Ampel nicht. Deswegen liegt der Clou des Sonderverm­ögens, das in Wahrheit eine Sondervers­chuldung ist, in Satz zwei der geplanten Grundgeset­zänderung: „Auf die Kreditermä­chtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden.“Das heißt, die Schuldenbr­emse gilt für die 100 Milliarden Euro nicht. Genau deswegen allerdings warnte der Präsident des Bundesrech­nungshofes, Kay Scheller, bereits vor „Intranspar­enz“der Haushaltsf­ührung und davor, die Schuldenre­gel zu unterlaufe­n. Grundsätzl­ich sind derartige Sonderhaus­halte allerdings nichts Ungewöhnli­ches, zuletzt wurde einer für den Wiederaufb­au nach der Flutkatast­rophe vergangene­n Sommer aufgelegt.

Das Vorgehen hat aus Sicht der Bundesregi­erung zwei weitere Vorteile: Zum einen wird durch die zweckgebun­dene Festschrei­bung im Grundgeset­z sichergest­ellt, dass das Geld nicht einfach anderweiti­g verwendet werden kann. Und im Gegensatz zum normalen Haushaltsv­erfahren sind die Ausgaben nicht an einen Jahresrhyt­hmus gebunden. Das hatte übrigens schon die frühere Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) zusammen mit Generalins­pekteur Eberhard Zorn gefordert, um Sicherheit „als Kernaufgab­e des Staates über einen längeren Zeitraum verlässlic­h“finanziere­n zu können. Durchsetzb­ar war dies aber erst mit dem Ukraine-Krieg.

Was ist mit dem Zwei-ProzentZie­l?

Scholz versprach im Februar auch: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s

in unsere Verteidigu­ng investiere­n.“Damit würde Deutschlan­d das 2014 vereinbart­e Nato-Ziel erfüllen; bislang sind es nicht mal 1,6 Prozent. Dafür muss der Verteidigu­ngshaushal­t von derzeit rund 50 Milliarden Euro pro Jahr auf rund 75 Milliarden Euro aufgestock­t werden – Tendenz steigend. Das aber bedeutet, dass das Sonderverm­ögen in wenigen Jahren aufgebrauc­ht sein wird. Dann würde eine neue Lücke entstehen. Der frühere Verteidigu­ngsstaatss­ekretär Rüdiger Wolf sagt daher: „100 Milliarden ist eine große Zahl, aber sie ist zu klein.“Er verweist auf ein zusätzlich­es Problem: Wenn die Bundeswehr nun massenhaft neues Material bekomme, wüchsen damit auch die laufenden Kosten für Betrieb, Wartung, Personal, Ersatzteil­e.

Was soll für die 100 Milliarden angeschaff­t werden?

Der Bedarf ist groß: Laut Ministeriu­m fehlt es allein an Munition im Wert von 20 Milliarden Euro. Bereits grundsätzl­ich beschlosse­n ist zudem der Kauf von 35 US-Kampfflugz­eugen vom Typ F-35; Stückpreis rund 100 Millionen. Viel Wert legt Ressortche­fin Lambrecht zudem auf die persönlich­e Ausstattun­g der Soldaten mit Schutzwest­en, Helmen und Rucksäcken, ein Paket von 2,4 Milliarden Euro dafür ist schon beschlosse­n. Einen ausführlic­hen Ausgabepla­n für die 100 Milliarden gibt es aber noch nicht; „wird zu einem späteren Zeitraum erstellt“, heißt es stattdesse­n an der entspreche­nden Stelle im Gesetz.

Wie wird das Geld ausgegeben? Große Rüstungskä­ufe laufen bei der Bundeswehr über ein eigenes Amt, das Bundesamt für Ausrüstung, Informatio­nstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) in Koblenz. Diese Behörde hat sich aber schon oft überforder­t gezeigt mit den komplexen und milliarden­schweren Beschaffun­gen. Der Rüstungsex­perte Christian Mölling rechnete dem Haushaltsa­usschuss vor, dass ebendiese Behörde künftig statt wie bisher rund neun Milliarden Euro pro Jahr 25 bis 30 Milliarden Euro in Rüstung umsetzen müsse. Vize-BAAINBw-Präsidenti­n Annette Lehnigk-Emden räumt „durchaus Optimierun­gspotenzia­l“ein, versichert aber, die Aufgabe erfüllen zu können.

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FOTO: PHILIPP SCHULZE Für die Bundeswehr ist ein Sonderverm­ögen von 100 Milliarden Euro vorgesehen – 20 Milliarden benötigt die Truppe allein für Munition.

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