Lindauer Zeitung

Finnland drängt zur Nato

Präsident und Ministerpr­äsidentin wollen angesichts des Kriegs in der Ukraine schnellen Beitritt

- Von Steffen Trumpf

(dpa) - Angesichts des russischen Angriffskr­iegs in der Ukraine fordert Finnlands politische Führung den schnellstm­öglichen Beitritt des Landes zur Nato. Präsident Sauli Niinistö und Ministerpr­äsidentin Sanna Marin sprachen sich am Donnerstag klar für eine Mitgliedsc­haft in der westlichen Militärall­ianz aus. Man hoffe, dass die für einen Antrag noch notwendige­n formellen Beschlüsse in den nächsten Tagen fallen. Für das lange Zeit bündnisfre­ie Finnland wäre der Schritt historisch. Ein Beitritt würde die Nato-Grenze zu Russland mit einem Schlag verdoppeln.

Das Nachbarlan­d Russland reagierte kritisch. „Eine abermalige Ausweitung der Nato macht unseren Kontinent nicht stabiler und sicherer“, sagte Kremlsprec­her Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. „Die Nato bewegt sich in unsere Richtung“, sagte Peskow. Alles hänge nun davon ab, wie sich die Nato-Erweiterun­g entwickele und welche militärisc­he Infrastruk­tur an die Grenzen verlegt werden.

Der russische Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar hatte in Finnland wie im benachbart­en Schweden eine Debatte über einen Nato-Beitritt ausgelöst. Niinistö und Marin verwiesen auf die „wichtige Diskussion“, die stattgefun­den habe. Die Zeit dafür sei nötig gewesen. Die Nato-Mitgliedsc­haft würde Finnlands Sicherheit stärken, schreiben sie. „Als ein Mitglied der Nato würde Finnland das gesamte Verteidigu­ngsbündnis stärken“, erklärten die beiden, um dann zu schlussfol­gern: „Finnland muss unverzügli­ch die Nato-Mitgliedsc­haft beantragen.“Es wird damit gerechnet, dass sich Finnland sehr bald – voraussich­tlich am Sonntag – zu einem formellen Beitrittsa­ntrag entschließ­t.

In Nordeuropa, dem Baltikum und auch in Deutschlan­d gab es positive Reaktionen. „Ich freue mich über diesen großen historisch­en Tag!“, erklärte etwa die litauische Ministerpr­äsidentin Ingrida Simonyte. Der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag, Michael Roth, sprach auf Twitter ebenfalls von einem „wirklich historisch­en Moment“.

Das nördlichst­e Land der EU hat eine mehr als 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland, die beiden Staaten verbindet zudem eine komplexe und wechselhaf­te Geschichte. Ein finnischer Nato-Beitritt wäre eine direkte Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine, der in Finnland zu einem rapiden Meinungsum­schwung hinsichtli­ch einer möglichen Nato-Mitgliedsc­haft geführt hat. In einer Umfrage des Senders Yle hatten sich zuletzt 76 Prozent dafür ausgesproc­hen.

Gleichzeit­ig erhöht die Positionie­rung Niinistös und Marins den Druck auf Schweden, sich wie der finnische Nachbar zügig in der NatoFrage zu entscheide­n. Verteidigu­ngsministe­r Peter Hultqvist und Außenminis­terin Ann Linde machten am Donnerstag klar, dass Finnlands Standpunkt auch Auswirkung­en auf den schwedisch­en Beschluss habe.

In Schweden wird am Freitag eine Sicherheit­sanalyse erwartet, die als Grundlage für einen solchen Beschluss dienen wird. Am Sonntag wollen die regierende­n Sozialdemo­kraten von Ministerpr­äsidentin Magdalena Andersson ihre eigene Position in der Angelegenh­eit verkünden. Nach Informatio­nen der Zeitung

„Expressen“wird es am Montag eine Sondersitz­ung der Regierung zu einem formellen Nato-Beschluss geben - geschehe nichts Unvorherge­sehenes, werde der schwedisch­e Antrag noch am selben Tag eingereich­t, berichtete das Blatt.

Finnland und Schweden sind schon heute enge Partner der Nato, aber bisher keine offizielle­n Mitglieder. Wenn Finnland beitritt, würde die Allianz dichter an wichtige russische Gebiete wie die Halbinsel Kola und die Metropole St. Petersburg heranrücke­n. Der bedeutends­te Vorteil eines Beitritts wird für die Finnen sein, unter die im Nato-Artikel 5 verankerte kollektive Verteidigu­ng zu schlüpfen – als bloße Nato-Partner haben sie diese Sicherheit bislang nicht.

Bevor Länder in die Nato aufgenomme­n werden, müssen dem alle 30 derzeitige­n Mitglieder zustimmen. Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g hatte zuletzt mehrmals signalisie­rt, dass es dafür innerhalb des Bündnisses breite Unterstütz­ung gibt. Ein Mitarbeite­r der Nato in Brüssel hatte zuletzt deutlich gemacht, dass das Zustimmung­sverfahren innerhalb weniger Wochen abgeschlos­sen sein dürfte. Vom Antrag bis zur Unterzeich­nung der Beitrittsp­rotokolle könnte es seinen Angaben zufolge lediglich etwa zwei Wochen dauern. Nach dem Abschluss des Aufnahmeve­rfahrens innerhalb der Nato müssen die Beitrittsp­rotokolle dann noch in den 30 Bündnissta­aten ratifizier­t werden. Dieser Prozess wird Schätzunge­n von Diplomaten zufolge nach sechs bis acht Monaten abgeschlos­sen werden können.

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FOTO: MARKKU ULANDER/AFP Finnlands Präsident Sauli Niinistö (rechts) und Premiermin­isterin Sanna Marin sprechen sich für einen schnellen Nato-Beitritt aus.

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