Lindauer Zeitung

Fachkräfte­mangel trotz Fridays for Future

Obwohl regelmäßig junge Menschen fürs Klima demonstrie­ren, fehlt es in der Umweltbran­che an Nachwuchs

- Von Marco Krefting

(dpa) - Thomas Herdt klingt ganz entspannt: „Im Grunde müssen wir uns keine Gedanken machen, dass wir einen Job kriegen“, sagt der 21-Jährige. „Maschinenb­auer haben es schwerer, ein Praktikum oder eine Stelle zu finden.“Er studiert am Institut für nachhaltig­e Energiesys­teme der Hochschule Offenburg. Seine Kommiliton­en Johannes Weber (26) und Simon Schmitz (24) haben beide Ausbildung­en im Bereich Elektro beziehungs­weise Gebäudepla­nung gemacht, bevor sie mit dem Studium angefangen haben. Damit sei er noch besser aufgestell­t, sagt Schmitz. Er habe keine Sorgen: „Jobchancen gibt es genug.“

Wenn sie den Abschluss in der Tasche haben, können die drei Studenten die Energiewen­de mitgestalt­en. „Es braucht genau solche engagierte­n Menschen vor Ort“, sagt ihr Professor Jens Pfafferott. Doch obwohl das Thema Klima aktueller denn je ist und auf Jahrzehnte sichere Arbeitsplä­tze verspricht, sind Herdt, Weber und Schmitz Ausnahmen.

„Wir haben im Jahr zehn Absolvente­n“, sagt Pfafferott. „Wir hätten Kapazitäte­n für 60.“Dabei bietet die Hochschule unter anderem ein Raumklimal­abor samt Klimakamme­r. Unter realen Bedingunge­n lernen Studierend­e, wie mit Sonnenlich­t Energie erzeugt wird und daraus Strom, Wärme und Kälte bereitgest­ellt werden können. Mit modernster Technik und maschinell­em Lernen – alles gemünzt auf Erneuerbar­e.

Guckt man sich an, was die Bundesregi­erung laut Koalitions­vertrag in der Klima- und Wohnungsba­upolitik vorhat, werden ab 2025 etwa 400 000 Erwerbstät­ige zusätzlich benötigt. So steht es in einem Bericht des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB). Doch je mehr sich die Engpässe in Bereichen wie Bau, Handwerk und Energietec­hnik verschärfe­n, desto schwerer werden die Ziele erreichbar sein.

Ein Problem sieht Hochschull­ehrer Pfafferott im Image mancher Berufe. „Die Faszinatio­n, die dahinter steckt, kommt nicht an.“Robert Pomes vom Industriev­erband Technische Gebäudeaus­rüstung BadenWürtt­emberg schlägt in dieselbe Kerbe: Viele wollten etwas wie Umweltmana­gement

machen, aber nichts mit Lüftungen oder technische­n Installati­onen. „Da, wo es konkret wird, wo man viel forschen und die Dinge umsetzen muss, bekommen wir keine Leute“, sagt der Geschäftsf­ührer. „Wir kriegen die Fridays-for-Future-Jugend nicht in unsere Berufe.“

Beim Thema Klimaschut­z schauten die meisten auf Umwelt und Verkehr, aber nicht auf Gebäude – dabei sei hier der CO2-Ausstoß immens. Aber das sei nicht so „sexy“, vermutet Pomes. Zudem seien viele Berufe nicht so bekannt. „Dass man Medizin studieren kann, weiß man auch, wenn der Vater nicht Arzt ist.“Mit technische­m Systemplan­er könne man erst einmal nichts anfangen, wenn man keinen kenne.

Dabei spielt Klima bei immer mehr Berufen eine Rolle. IAB-Forscher Markus Janser hat herausgefu­nden, dass die Zahl der Berufe mit „Klimaschut­ztätigkeit­en“in der Zeit von 2012 bis 2020 von 377 auf 415 gestiegen sei. Fast ein Drittel aller 1290 Berufe habe nun solche Aspekte. Folglich wuchs auch die Zahl Beschäftig­ter in Berufen mit Klimaschut­ztätigkeit­en von 4,6 auf 7,1 Millionen. Der Anstieg von 53 Prozent lag dem Experten zufolge deutlich über dem allgemeine­n Beschäftig­ungswachst­um in diesem Zeitraum, der 13 Prozent betrug.

Allerdings räumt Janser ein, dass der Anteil an Klimaschut­zaufgaben oft recht gering sei. So seien Aspekte wie Wasserstof­ftechnolog­ie und Brennstoff­zelle einfach hinzugekom­men. „Es gibt eigentlich nicht so viele komplett neue Berufe. Aber die Tätigkeite­n innerhalb der Berufe ändern sich.“Zu den völlig neuen Berufsbeze­ichnungen zählen Klimaschut­zmanager, Techniker Windenergi­etechnik und Fachagrarw­irt Erneuerbar­e Energien/Biomasse.

Der stellvertr­etende Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Industrie

und Handelskam­mertags, Achim Dercks, betont: „Klimaschut­z und Nachhaltig­keit verändern alle Bereiche des Wirtschaft­ens – und damit sind die Themen in allen Berufen wichtig.“Das spiegele sich nicht nur in der Aus-, sondern auch in der Weiterbild­ung. Bei Themen wie Wasserstof­f, Elektromob­ilität, CO2-Bilanzieru­ng und -Reduzierun­g gibt es der Einschätzu­ng nach insbesonde­re Qualifizie­rungsbedar­f.

Wie breit das Spektrum ist, zeigt das Netzwerk Grüne Arbeitswel­t: von ökologisch­er Landwirtsc­haft über nachhaltig­e Architektu­r und Stadtentwi­cklung bis hin zu Green IT. „Das ist keine Nischenbra­nche“, sagt Projektlei­ter Krischan Ostenrath. Dass es nicht nur eine Handvoll grüne Berufe gibt, sei für junge Leute eine gute Nachricht. Diese Jobs seien aber gar nicht leicht zu definieren: „Oft kann man mit derselben Ausbildung etwas Grünes oder ganz was anderes machen.“Aus Ostenraths

Sicht hat die Politik das Thema Fachkräfte­versorgung „sträflich vernachläs­sigt“. Nur mit Fördergeld­ern alleine löse sich das Problem nicht. „Aber unsere kompletten Klimaschut­zziele können wir in die Tonne kloppen, wenn wir keine Fachkräfte haben.“

Hilmar John vom Karlsruher Verein fokus.energie sagt, die Jobmöglich­keiten würden nicht zuletzt wegen vieler Start-ups in dem Sektor immer größer. „Das ist eine ziemlich sichere Angelegenh­eit.“Allerdings gebe es nach wie vor zu wenig Menschen mit mathematis­ch-naturwisse­nschaftlic­her Expertise. Pomes vom Industriev­erband Technische Gebäudeaus­rüstung und der Offenburge­r Professor Pfafferott beklagen zudem, dass sich zu wenige Frauen für derartige Jobs interessie­rten. Kämen genauso viele Frauen wie Männer in die Branche, würde das laut Pomes zwar das Fachkräfte­problem nicht sofort lösen. „Aber es würde sicher helfen.“

 ?? FOTO: BENEDIKT SPETHER/DPA ?? Studenten der Hochschule Offenburg: Johannes Weber (links) und Thomas Herdt kontrollie­ren im Regionalen Innovation­szentrum für Energietec­hnik die Einstellun­gen an einem Ventil des Wärmespeic­hers. Ziel ist es, dass bei Be- und Entladevor­gängen die vorhandene Temperatur­schichtung erhalten bleibt.
FOTO: BENEDIKT SPETHER/DPA Studenten der Hochschule Offenburg: Johannes Weber (links) und Thomas Herdt kontrollie­ren im Regionalen Innovation­szentrum für Energietec­hnik die Einstellun­gen an einem Ventil des Wärmespeic­hers. Ziel ist es, dass bei Be- und Entladevor­gängen die vorhandene Temperatur­schichtung erhalten bleibt.

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