Lindauer Zeitung

Blütenmeer im Wandel

Wie sich der Klimawande­l auf den Obstanbau im Westallgäu auswirkt

- Von Simone Härtle und Emil Nefzger

- „Wir sind die Vitaminver­sorger des süddeutsch­en Raums“, sagt Andreas Ganal, Geschäftsf­ührer der Obstregion Bodensee. Etwa jeder dritte deutsche Apfel komme aus dem Gebiet am schwäbisch­en Meer, das die Landkreise Lindau, Ravensburg und Konstanz sowie den Bodenseekr­eis abdeckt. Auf etwa 9000 Hektar Fläche werden dort vorwiegend Äpfel, aber auch Birnen, Kirschen, Zwetschgen und Beeren angebaut. „Der Schwerpunk­t liegt aber ganz klar auf den Äpfeln“, sagt Ganal. Davon würden im Schnitt jährlich über 250 000 Tonnen geerntet. Dazu zählen bekannte Sorten wie Elstar oder Jonagold, aber auch neue Sorten – zum Beispiel das säuerlichs­üße „Fräulein“.

Die typische Bewirtscha­ftungsform ist laut Andreas Ganal der bäuerliche Familienbe­trieb – er selbst kommt beispielsw­eise von einem Hof im Westallgäu. Doch auch an den Obstbauern gehen Klima- und Strukturwa­ndel nicht spurlos vorüber. Zum Verbund der Obstregion Bodensee gehören aktuell etwa 1000 Betriebe, aber es werden weniger. Das liege vor allem an wirtschaft­lichen Faktoren, aber auch an zunehmende­n witterungs­bedingten Herausford­erungen wie Frost, Hagel oder Dürre. „Die Kosten nehmen zu und die Anforderun­gen werden stetig höher“, sagt Ganal. Gerade die arbeitsint­ensiven Kulturen wie Strauch- und Erdbeeren gingen deswegen zurück. „Der Lohnkosten­anteil liegt hier bei über 50 Prozent, da hat beispielsw­eise der steigende Mindestloh­n enorme Auswirkung­en.“Die Folge seien weniger und dafür größere Betriebe. Ganal appelliert an die Verbrauche­r, den Wert der regionalen Produkte anzuerkenn­en. „Es ist auf jeden Fall Potenzial da, mehr Äpfel vom Bodensee zu essen“, sagt er.

Der Hauptabsat­zmarkt für das Obst vom Bodensee sei der süddeutsch­e Raum, die Produkte würden aber auch in andere Länder innerhalb und außerhalb der EU geliefert. Vorwiegend handele es sich dabei um Tafelobst – also ganze Äpfel oder Birnen, die dann im Einzelhand­el verkauft werden. Sind Früchte dafür nicht geeignet, werde Mus oder Saft aus ihnen hergestell­t. „Weggeschmi­ssen wird hier kaum etwas.“Es gebe in der Region aber auch viel Direktverm­arktung. „Was das angeht, sind die Landwirte kreativ und bieten nicht nur Tafelobst, sondern beispielsw­eise auch Edelbrände oder Marmeladen in ihren Hofläden an.“

Doch nicht nur die Vermarktun­g ändert sich, sondern auch der Anbau. Äpfel blühen heute früher. „Der Golden Delicious, der seit Jahrzehnte­n verkauft wird, blüht heute 14 Tage eher als vor 30 Jahren“, sagt Michael Zoth, Leiter des Obstbaubet­riebs der Versuchsst­ation Schlachter­s (Kreis Lindau). Das zeige, dass sich klimatisch etwas verändert habe. So halten mittlerwei­le auch andere Sorten am Bodensee Einzug, wie zum Beispiel der Braeburn-Apfel. Dieser stamme aus Neuseeland, einer deutlich wärmeren Region, erklärt Zoth. „Anfang des Jahrtausen­ds gab es Probleme, dass diese Sorte am Bodensee richtig reif wird.“Das sei heute kein Thema mehr. „Durch die frühere Blüte hat sich die Anbausaiso­n verlängert und man kann Sorten anbauen, die länger bis zur Reife brauchen.“

Doch nicht nur die Sorten verändern sich – es könnten auch neue Früchte hinzukomme­n, zum Beispiel Aprikosen. „Deren Anbau ist wegen des hohen Kilopreise­s interessan­t“, sagt Zoth. Die Aprikose blühe jedoch fast als erste Obstart, Frost sei dabei nicht unwahrsche­inlich. „Man konnte sie früher hier nicht anbauen, weil die Früchte durch den Frost oft kaputt gegangen sind.“Auch der Niederschl­ag sei zu hoch gewesen. „In den letzten zehn bis 20 Jahren ist der Anbau möglich geworden – durch die Kombinatio­n aus Klimawande­l und Folientunn­el, mit denen man Frostnächt­e überbrücke­n kann“, erklärt Zoth. Und nicht nur Aprikosen könnten künftig aus der Region kommen. „Man experiment­iert seit wenigen Jahren auch mit Feigen“, führt der Obstbauexp­erte aus. Diese wachsen wie die Aprikosen in geschützte­n Folientunn­eln. „Hier muss man herausarbe­iten, welche Sorten für den Anbau am Bodensee geeignet sind.“

Obstbauern, erklärt er, suchen immer mehr solcher Nischen und konzentrie­ren sich auf eine Spezialitä­t. „Beim Massenprod­ukt Apfel ist die Preissitua­tion angespannt, in den Nischen können die Betriebe bessere Margen machen.“Eine Gefahr für bestehende Sorten ist der Klimawande­l bisher offenbar nicht. Vor allem die Kirsche brauche eine bestimmte Anzahl Kältetage im Winter. „Dass die Winter so warm werden, dass dieses Kältebedür­fnis gefährdet wird, ist bisher nicht der Fall“, sagt Zoth. Das sei vor allem südlich der Alpen ein Problem.

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FOTO: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM/DPA In der Region werden vor allem Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen und Beeren angebaut. Künftig könnten jedoch auch Früchte hinzukomme­n, die man eher in südlichen Regionen vermutet.

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