Politik tut sich im Kampf gegen Alkoholmissbrauch schwer
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen erinnert bei Aktionswoche an die Problematik – Entsprechende Zahlen erscheinen alarmierend
- „Warum trinkst du denn nicht mit? Bist du etwa schwanger?“, „Nur ein Glas Sekt, sei doch nicht so ungesellig!“Viele Menschen, die keinen Alkohol trinken, kennen diese Sätze. Der Feierabenddrink im Biergarten, der Sekt zum Geburtstag, das Glas Wein zum Abendessen – das alles ist völlig normal. Wer nicht mitmacht, gilt als Spielverderber. Kein anderes Genussmittel ist in unserem Alltag so präsent wie Alkohol. Es ist Kulturgut, Volksdroge, akzeptiertes Rauschmittel. Dabei halten manche Forscher Alkohol für eines der gefährlichsten Suchtmittel überhaupt.
Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen sterben jährlich 74 000 Deutsche durch Alkoholkonsum allein oder bedingt durch den Konsum von Tabak und Alkohol. Das Rauschmittel sei mitverantwortlich für über 30 000 Verkehrsunfälle jährlich, heißt es. Bei Gewaltdelikten sei mehr als jeder vierte Täter alkoholisiert gewesen. Die Gesellschaft kostet Alkoholkonsum nach der Berechnung der Hauptstelle für Suchtfragen 57 Milliarden Euro pro Jahr, verursacht zum Beispiel durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit oder Krankenhausaufenthalte.
Alkohol kann eine Gefahr für den Einzelnen, sein Umfeld und die Gesellschaft sein. Wie gefährlich, zeigt auch die von Bundesregierung, Krankenkassen und Gesundheitsverbänden unterstützte „Aktionswoche Alkohol“, die am Freitag gestartet ist. Dabei geht es vor allem um vorbeugende Maßnahme und Suchtprävention. Doch ist Aufklärung das Einzige, was die Politik tun kann? Warum ist Alkohol in dieser Gesellschaft unantastbar und wie lässt sich der Konsum eindämmen?
„Wir haben eine gestörte Trinkkultur in Deutschland“, sagt Johannes Lindenmeyer. Er ist Professor für Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Rehabilitationspsychologie an der Medizinischen Hochschule Brandenburg, forscht zu Alkoholabhängigkeit und hat ein Präventionsprogramm für Jugendliche konzipiert. „Es gibt keine kulturellen Regeln, wie viel man trinkt und wann. Zudem haben wir ein negativ verzerrtes Bild von Alkoholikern“, sagt er. Dieses Bild entspricht dem von verwahrlosten Menschen mit geringem Bildungsniveau. Dabei sei übermäßiger Alkoholkonsum mitten in der Gesellschaft angekommen und mitnichten ein Problem unterer Bildungsschichten.
Umso wichtiger sei es, das Problem anzugehen, sagt Lindenmeyer. „Die Politik tut zu wenig“, meint er und sieht drei Ansatzpunkte: Der Preis für Alkohol muss erhöht, die Zugänglichkeit eingegrenzt und Werbung weiter eingeschränkt werden. „In Deutschland ist Alkohol zu billig. Es sollte eine gezielte Erhöhung der Preise abhängig vom Alkoholgehalt
Alkohol ist eine legale Droge, Cannabis soll es nach dem Willen der Ampel-Koalition bald werden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte vergangene Woche im Bundestag, es sei sein persönliches Ziel, dass im nächsten Jahr der erste legale Joint in Deutschland verkauft werden könne. Er habe darüber gemeinsam mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) intensiv mit Karl Lauterbach diskutiert. Der SPD-Gesundheitste
geben“, sagt der Psychologe und verweist auf Berechnungen, die auf Vergleichen mit anderen europäischen Ländern beruhen. Diese ergeben: „Wenn man den Preis in Deutschland auf das europäische Durchschnittsniveau anheben würde, dann würde sich der Alkoholkonsum unter Jugendlichen um 15 bis 20 Prozent reduzieren“, erläutert er. minister ist auf Regierungsebene federführend für die Legalisierung verantwortlich.
Kristine Lütke, drogenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, meint, dass „sich die Ampel-Fraktionen bei der CannabisLegalisierung in vielen Punkten einig“seien. „Aber es gibt noch einige offene Fragen“– zum Beispiel die Frage, wer Cannabis verkaufen darf. „Wir brauchen auf jeden Fall lizenzierte und qualifizier
Doch wie groß ist die Bereitschaft dazu in der Ampel-Koalition? Anrufe bei allen drei regierenden Fraktionen ergeben: Die Politiker sind zurückhaltend. Am aufgeschlossensten, die Preise auf Alkohol zu erhöhen, sind noch die Grünen. „Man muss sich jeden Alkohol einzeln angucken und schauen, ob das Erhöhen der Steuer jeweils zielführend ist“, sagt die grüne
Geschäfte, in denen Cannabis kontrolliert abgegeben werden kann und auch die Qualität sichergestellt ist“, sagt Lütke.
Äußerst umstritten ist die Frage, ob legales Cannabis im Online-Handel verkauft werden darf. Befürworter verweisen darauf, dass das entscheidend sei, um die Versorgung im ländlichen Raum zu gewährleisten. Kritiker äußern Bedenken beim Jugendschutz. Lütke kann sich ein zwei- oder mehrstufiges Verfahren Gesundheitspolitikerin Linda Heitmann. „Wo das Erhöhen der Steuer auf Alkohol in einzelnen Fällen sinnvoll ist, kann es anderswo dazu führen, dass ein Schwarzmarkt entsteht. Das gilt es zu verhindern“, sagt sie.
Die FDP hingegen lehnt höhere Preise ab. „Eine höhere Besteuerung von Alkohol ist nicht zielführend",
vorstellen, mit einem Altersnachweis bei der Bestellung und der Auslieferung, um den Jugendschutz zu gewährleisten.
Klärungsbedarf besteht auch beim Abgabepreis für Cannabis. „Der
Preis muss stimmig sein“, sagt Lütke. Wenn dieser ausreichend kompetitiv sei, bestehe kein Bedarf mehr, sich illegales Cannabis auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. Aktuell liegt der Preis dort bei etwa zehn Euro pro Gramm. (gug) sagt die sucht- und drogenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Kristine Lütke. Das habe man bei der höheren Besteuerung auf Alkopops gesehen. Diese hätte zwar dazu geführt, dass die süßen alkoholischen Getränke weniger konsumiert wurden, dafür sei der Konsum hochprozentigen Alkohols wie Wodka gestiegen.
Burkhard Blienert (SPD) ist seit diesem Jahr Bundessucht- und Drogenbeauftragter und kennt die schwierigen Diskussionen über alkoholpolitische Themen gut. Vor einigen Wochen war er mit dem Vorstoß gescheitert, Alkohol erst ab 18 Jahren zu verkaufen. „Man braucht einen langen Atem“, sagt er. Beim Thema Erhöhung der Preise sieht er wenig Gestaltungsspielraum. „Das gibt der Koalitionsvertrag aktuell nicht her.“Die Anforderungen an die Regierung derzeit seien immens. „Wir müssen also realistisch mit unserer Zielsetzung sein.“
Was also dann? Die Grüne Heitmann befürwortet, dass der Zugang von Alkohol für einen besseren Jugendschutz eingeschränkt wird. „Warum müssen kleine Schnapsflaschen an der Kasse stehen?“, fragt sie. Außerdem findet sie Werbeeinschränkungen sinnvoll. Im Koalitionsvertrag haben sich die AmpelPartner darauf verständigt, Werbung und Sponsoring von Alkohol zu reduzieren. Die Gespräche dazu laufen, konkrete Pläne gibt es noch nicht.
„Ich will, dass wir die Debatte über Alkohol neu und intensiver führen“, sagt der Drogenbeauftragte Blienert. Es gehe um ein Umdenken mit dem Umgang und den Gewohnheiten im Konsum von Bier, Wein und Sekt. Für die FDP-Politikerin Lütke gehört dazu, Jugendliche mehr über die Gefahren von Alkoholkonsum zu informieren und dabei auch Eltern zu schulen. „Das Wichtigste ist, dass man die Verbraucher mündig macht – durch Prävention und Aufklärung.“
Psychologe Lindenmeyer hält das für zu wenig: „Informationskampagnen wie ‚Kenn dein Limit' nützen erwiesenermaßen eher wenig.“Der erhobene Zeigefinger sei keine wirksame Methode, um den Alkoholkonsum bei Jugendlichen einzuschränken. Auch von einem Alkoholverbot hält er nichts. Stattdessen plädiert der Wissenschaftler für einen verantwortungsvollen Umgang, der in der Jugend erlernt werden müsse. „Es geht um einen vernünftigen, kulturell integrierten Konsum.“