G7-Agrarminister verstecken sich vor Protest-Bauern
Cem Özdemir will weltweit Kleinbauern fördern – Zu den Landwirten vor Ort geht er lieber auf Abstand
- Die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Welternährung, Artensterben, Klimawandel – Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sieht die Landwirtschaft in einem „Transformationsprozess“. Angesichts der großen Aufgaben verliert er als Gastgeber des G7Agrarministertreffens im Stuttgarter Schloss Hohenheim die Bauern vor Ort aus dem Blick und flüchtet sogar vor einer Trecker-Demonstration.
Özdemir hätte sich kaum einen passenderen Ort aussuchen können, um als deutscher Agarminister seine Amtskollegen der sieben wichtigsten Industrieländer und den ukrainischen Landwirtschaftsminister Mykola Solskyj zu empfangen. Die Gründung der im Schloss Hohenheim beheimateten Universität geht zurück auf eine Hungersnot im 19. Jahrhundert, ausgelöst durch einen Vulkanausbruch auf Indonesien. Die Agrarforschung folgte dem Ziel, die Ernährung sicherzustellen. Schon damals waren die globalen Zusammenhänge sichtbar.
Dennoch entschied sich der aus Baden-Württemberg stammende Minister, die Zusammenkunft am zweiten Tag ins Waldhotel Degerloch zu verlegen. Er habe sicherstellen wollen, dass seine „Gäste rechtzeitig wegkommen“, begründete Özdemir bei der Abschlusspressekonferenz die Entscheidung. Deren Abreise hätten die Schlepper demonstrierender Bauern behindern können, die Özdemir am Freitag als „radikale Ränder“bezeichnet hatte, mit denen er nicht sprechen wolle. Dagegen verwahrten sich die Bauern und rollten mit 21 Traktoren am Samstag erneut an, fanden den Tagungsort
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jedoch verwaist. Vom sicheren Waldhotel aus erklärte der Bundesminister, er werde nun doch mit der Vereinigung „Land schafft Verbindung“reden, wenn er „mal wieder“in seinem Wahlkreis sei.
Dabei liegen Özdemir die Kleinproduzenten, als deren Vertreter sich die Vereinigungen „Land schafft Verbindung“und „Freie Bauern“verstehen, besonders am Herzen. 60 Prozent der Nahrungsmittel weltweit würden von Kleinbauern produziert, die demzufolge besonders unterstützenswert seien, erklärte der Minister bei dem zweitägigen Treffen. Durch mangelndes Wissen, falsche Lagerhaltung oder Fehler beim Transport ginge in einigen Regionen rund die Hälfte der Ernte verloren.
Im Fokus des Treffens standen indessen andere Themen, vorrangig der Ukraine-Krieg und dessen Folgen für die globale Ernährungslage in der Welt. Die wichtigsten Punkte:
Hilfen für die Ukraine: Laut Özdemir sollen für Güter aus der Ukraine alle Exportbeschränkungen fallen. Mit dieser Maßnahme wollen die Agrarminister die ukrainische Landwirtschaft auch nach Kriegsende unterstützen. Aktuell sollen die G7Staaten die Versorgung der ukrainischen Bevölkerung sicherstellen. Den Landwirten wird zudem der Zugang zu Saatgut und anderen Betriebsmitteln
erleichtert. Özdemir strebt außerdem eine Annäherung der Ukraine an die EU an.
Offene Märkte: Funktionierende Märkte sind nach Ansicht der Minister die Voraussetzung, um den aktuellen Versorgungsengpass nicht weiter zu verschärfen. Die G7-Agrarminister verpflichten sich in ihrem Kommuniqué dazu, „Maßnahmen zu ergreifen“. Konkret fordern sie laut Özdemir, es dürfe keine Exportstopps und keine „übermäßige Vorratshaltung“geben.
Die größten Weizenproduzenten, China und Indien, praktizieren allerdings genau das Gegenteil. China will bei der Versorgung unabhängig sein und hortet große Mengen des Getreides. Schätzungen zufolge lagern dort rund 150 Millionen Tonnen. Weltweit wurden 2020 laut der UN-Ernährungsorganisation FAO rund 770 Millionen Tonnen geerntet. Der zweitgrößte Produzent, Indien, hat schon bisher vorwiegend für den eigenen Bedarf angebaut und kündigte nun ausgerechnet während des Ministertreffens am Samstag einen Exportstopp an. Dabei hatte das Land noch im März erklärt, mehr Weizen zu liefern. Özdemir kommentierte umgehend: „Ich sehe das sehr kritisch.“Indien möge seine Entscheidung nochmal überdenken.
Derzeit fehlen die Weizenlieferungen aus der Ukraine auf dem Weltmarkt. Dort lagern nach Angaben des ukrainischen Agrarministers Mykola Solskyj rund 20 Millionen Tonnen Weizen, die wegen des Kriegs nicht verschifft werden können. Außerdem rechnet Solskyj damit, dass die nächste Ernte deutlich geringer als in den Jahren zuvor ausfallen könnte. Bisher trägt die Ukraine
laut Destatis neun Prozent zum weltweiten Weizenexport bei. Beim Mais sind es 14 Prozent und beim Sonnenblumenöl 44 Prozent.
Kontrolle der Märkte: Angesichts der stark steigenden Preise für Nahrungs-, Futter- und Düngemittel verpflichten sich die Agrarminister in ihrem Abschlusskommuniqué dazu, die Preise zu überwachen. Dazu sollen das Agrarmarktinformationssystem der G20-Länder, kurz: AMIS, die UNOrganisation FAO und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Analysen und Empfehlungen zur Verfügung stellen. Allerdings bleibt die Finanzierung von AMIS durch die Staaten freiwillig und auch der deutsche Beitrag, mit dem Özdemir „vorangehen“will, ist mit rund 76 000 Euro eher bescheiden und lässt an der Ernsthaftigkeit des Vorhabens zweifeln.
Ernährung und Klimaschutz: Ernährungssicherung, Klimaschutz und Biodiversität müssen Hand in Hand gehen. Da sind sich laut Özdemir die Agrarminister alle einig. In ihrer Abschlusserklärung ist dazu jedoch kaum Konkretes zu lesen. Die Bemühungen um „nachhaltige und widerstandsfähige Agrar- und Ernährungssysteme“sollen fortgesetzt werden, steht in dem Bericht. Über mehrere Seiten bekennen sich die sieben Minister dazu, „das Recht auf angemessene Nahrung“, „Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels“, die „Erhaltung der biologischen Vielfalt“und einen „verantwortungsvollen Einsatz von Düngemitteln“verwirklichen zu wollen. Zu quantifizierbaren und nachprüfbaren Zielformulierungen ließen sie sich nicht hinreißen.