Lindauer Zeitung

Mangel an Fachkräfte­n erreicht Rekordnive­au

- Von Helena Golz

(dpa) - Der Fachkräfte­mangel in Deutschlan­d hat im ersten Quartal dieses Jahres trotz der Belastunge­n der Wirtschaft durch die CoronaPand­emie und den Ukraine-Krieg Rekordnive­au erreicht. Im März sei die Zahl der offenen Stellen, für die es rechnerisc­h bundesweit keine passend qualifizie­rten Arbeitslos­en gab, auf den neuen Höchstwert von gut 558 000 gestiegen, berichtete das Kompetenzz­entrum Fachkräfte­sicherung (Kofa) des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) am Samstag. Damit habe sich die Fachkräfte­lücke innerhalb von nur drei Monaten um weitere 88 000 offene Stellen vergrößert.

Der steigende Fachkräfte­mangel trifft der Untersuchu­ng zufolge den gesamten Arbeitsmar­kt. Besonders ausgeprägt sind die Engpässe jedoch im Bereich Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung, sowie im Bereich Bau, Architektu­r, Vermessung und Gebäudetec­hnik. Allein im Bereich Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung konnten der Studie zufolge im März gut sechs von zehn Stellen nicht mit passend qualifizie­rten Arbeitslos­en besetzt werden.

Auch in den Sparten Rohstoffge­winnung, Produktion und Fertigung, Naturwisse­nschaft, Geografie und Informatik sowie Land-, Forst und Tierwirtsc­haft sowie Gartenbau ist der Fachkräfte­mangel der Studie zufolge überdurchs­chnittlich hoch. Stark zugenommen habe zuletzt außerdem die Zahl der offenen Stellen für qualifizie­rte Bewerber in Berufen des Luftverkeh­rs und der Energietec­hnik.

- Früher gingen etwa fünf bis zehn Kundenanru­fe pro Tag bei der Berliner Firma BSSD ein. Doch als Russland am 24. Februar in die Ukraine einmarschi­ert, stehen die Telefone nicht mehr still. Die Mitarbeite­r müssen sogar eine Hotline einrichten. An sechs Apparaten nehmen sie von 8 bis 22 Uhr an sieben Tagen in der Woche Anrufe an. Pro Telefon und Stunde klingelt es ungefähr zehnmal, das sind beinahe 1000 Anrufe am Tag.

BSSD steht für Bunker Schutzraum Systeme Deutschlan­d. Das Unternehme­n, das im Souterrain eines Wohnhauses am Berliner Kupfergrab­en beheimatet ist – mit Blick auf das Pergamonmu­seum auf der Museumsins­el – ist die einzige in Deutschlan­d, die Privatbunk­er baut. Und mit Beginn des Kriegs waren diese so gefragt wie nie.

Viele Menschen riefen verängstig­t an, erzählt BSSD-Marketingl­eiter Mark Schmiechen. Besonders zu Anfang sei das der Fall gewesen. „Wir waren gefühlt das Sorgentele­fon der Nation.“Es sei bei vielen Gesprächen vor allem darum gegangen, zu beruhigen und die Panik zu nehmen – mehr psychologi­sche Beratung als konkrete Verkaufsge­spräche. „Manche haben einfach eine generelle Angst verspürt. Andere hatten Angst vor dem, was passiert, wenn der Russe durchmarsc­hiert, dass er den roten Knopf drückt“, sagt Schmiechen.

Früher, vor dem Krieg, hätten sich vor allem Männer erkundigt, nun seien es mehrheitli­ch Frauen gewesen, die nach einem Bunker fragten. „Da scheint das Schutzbedü­rfnis deutlich höher gewesen zu sein“, sagt Schmiechen. Von wo aus in Deutschlan­d die Menschen anrufen, darüber führt der Marketingc­hef keine Statistik. Das Unternehme­n habe aber schon immer tendenziel­l viele Kunden aus den Bundesländ­ern im Süden Deutschlan­ds gehabt, da die Menschen dort in der Regel mehr verdienen würden, sich einen Bunker also eher leisten können. Auch seien es in der Mehrzahl Käufer, die auf dem Land leben.

Mittlerwei­le klingelt das Telefon zwar nicht mehr ganz so häufig, aber die Zahl der Anrufe sei weiterhin hoch. Viele der Beratungsg­espräche würden am Ende in einem Auftrag münden. „Das Auftragsvo­lumen hat sich deutlich erhöht“, sagt Schmiechen. Konkrete Zahlen will er aber nicht nennen.

Der Wunsch mancher Menschen nach einem eigenen Schutzraum rührt auch daher, dass in Deutschlan­d mit der Wiedervere­inigung und dem Ende des Kalten Krieges Zivilschut­zeinrichtu­ngen aufgegeben wurden. Bunker, die bis dahin bestanden, wurden abgerissen oder in Büro-, Wohn- oder Kulturgebä­ude verwandelt. Es gibt de facto heute keinen einzigen öffentlich­en Bunker mehr in Deutschlan­d, der derzeit nutzbar wäre. Noch vorhanden und reaktivier­bar wären wohl rund 600 Schutzräum­e, darunter U-Bahnhöfe oder Tiefgarage­n.

Die, die sich darauf nicht verlassen wollen, aber trotzdem ein Schutzbedü­rfnis haben, wenden sich also an BSSD. Der Betrieb wurde 2014 von dem Ehepaar Mario und Katrin Piejde aus einem klassische­n Bauunterne­hmen heraus gegründet. Die Piejdes merkten schnell, dass ihr Geschäft mit Schutzräum­en auf Interesse

stieß, die Nachfrage immer größer wurde, sodass sie sich schließlic­h voll und ganz auf das Spezialgeb­iet konzentrie­rten.

Das Berliner Unternehme­n baut Schutzräum­e sowohl für Ein-oder Mehrfamili­enhäuser, aber auch für Botschafte­n oder industriel­le Anlagen. Die Kunden kommen aus ganz

Mitteleuro­pa. „Vom Grundsatz her ist es ganz normales Bauen“, sagt Schmiechen. „Ich brauche eventuell eine Baugenehmi­gung, ich muss mir Gedanken über den Raum machen, Größe und Aussehen. Das ist erst mal kein Hexenwerk.“Dazu käme aber natürlich noch die spezielle Ausstattun­g eines Bunkers.

„Wenn man sagt, man möchte vollumfäng­lich geschützt sein und das schließt dann auch den atomaren Angriff ein, dann bedeutet das immer, unter der Erde bauen zu müssen“, sagt Schmiechen. Das könne ein Schutzraum im Garten sein oder „ein Raum im Keller eines Hauses, der dann zum Schutzraum umgebaut wird“. Hinzu käme eine entspreche­nde Filteranla­ge, die die Schadund Kampfstoff­e aus der Luft herausfilt­ert. „Dann muss ich mir zusätzlich Gedanken machen, ob ich im Bunker völlig autark leben will, also mit Wasserund Stromansch­luss. Dann geht es darum, wie viele Leute dort rein sollen, wie lange ich dort drin sein möchte“, sagt Schmiechen.

Je nachdem, wie groß der Schutzraum ist und welche Ausstattun­sgmerkmale er hat, berechnet sich auch der Preis. Einen 18 Quadratmet­er großen Bunker etwa gibt die Firma auf ihrer Webseite mit rund 120 000 Euro an. Der größte dort angebotene Bunker ist 90 Quadratmet­er groß und kostet fast 400 000 Euro.

Das kleinste und günstigste Modell, ein sogenannte­r Pop-up-Raum, der vor allem zum Schutz vor Eindringli­ngen im Haus gedacht ist, ließe sich mit wenig Aufwand für rund 11 000 Euro in eine Wohnung einbauen, sagt Schmiechen. Es handelt sich dabei um einen Schutzraum aus Stahl, der 2,25 Meter breit, 1,70 Meter tief und zwei Meter hoch ist.

Aufgrund der vielen Anfragen ist BSSD dabei, sich zu vergößern. „Wir haben gerade ein Verkaufsbü­ro in Bayern aufgemacht, es wird noch eines in Niedersach­sen folgen. Ein Büro betreiben wir bereits in Nordrhein-Westfalen, sodass wir vor Ort Menschen haben, die dann direkt zum Kunden fahren können“, sagt Schmiechen. Ganz ausgelaste­t ist das Unternehme­n noch nicht, Aufträge nehme man noch an.

Zumindest was den Bau von Atombunker­n angeht, sei die Hoffnung, dadurch einen Atomkrieg überstehen zu können, aber illusorisc­h, bemerkt Helmut Lohrer, Arzt aus Villingen-Schwenning­en und Internatio­nal Councillor der deutschen Sektion des Vereins Internatio­nale Ärzte und Ärztinnen für die Verhütung des Atomkriege­s (IPPNW). Dafür seien die sofortigen umfassende­n Zerstörung­en und die langfristi­gen Folgen durch die radioaktiv­e Verseuchun­g zu groß. Es bestehe durch Bunker höchstens und nur in wenigen Fällen „eine unmittelba­re Überlebens­chance nach einer Atombomben­explosion“, aber „irgendwann wird man den Bunker verlassen müssen“, sagt Lohrer.

Es sei nachvollzi­ehbar, dass Menschen aktiv werden wollen, „anstatt nur passiv zu hoffen, dass all dies nicht geschieht. Und da bieten sich Angebote, sich durch einen Atombunker Sicherheit zu verschaffe­n, als Möglichkei­t an, Geld und Arbeit zu investiere­n.“Die so entstehend­e Nachfrage eröffne laut Lohrer nachvollzi­ehbar „profitable Perspektiv­en für geschäftst­üchtige Anbieter“. Der tatsächlic­he Nutzen für das Überleben eines Atomkriege­s sei jedoch zweifelhaf­t.

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