Mit einer Hymne an die Mutter zum Sieg
Das Kalush Orchestra aus der Ukraine gewinnt Eurovision Song Contest – Deutschlands Beitrag landet auf dem letzten Platz
- Die Ukraine hat den diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) gewonnen – letztlich wie erwartet, nach dem Zwischenstand aber doch wiederum etwas überraschend. Am anderen Ende der Tabelle fand sich der deutsche Beitrag auf dem 25. Platz. Bei der Publikumsabstimmung landete Malik Harris mit „Rockstars“auf dem auch nicht gerade ruhmreichen 20. Platz, aufgrund der Jurywertungen, bei denen es keinen einzigen Punkt für Deutschland gab, reichte es in der Gesamtwertung aber nur für den letzten Platz. Wer sich davon nicht den Abend verderben ließ, erlebte ein spannendes Rennen und einen abwechslungsreichen Wettbewerb, der so politisch ausfiel wie selten zuvor.
Wer in den vergangenen Tagen einen besonders unoriginellen Kommentar zum diesjährigen ESC abgeben wollte, sagte in der Regel „Die Ukraine hat ja eh schon gewonnen“, gerne kombiniert mit dem Nachschub „und Deutschland wird ohnehin wieder Letzter“. Es lässt sich nicht bestreiten, dass beide Vorhersagen am Ende auch so eingetreten sind – allerdings erwecken sie den Eindruck, als seien solche Ergebnisse vorbestimmt. Tatsächlich bot die Abstimmung dieses Jahr so viele Überraschungen wie seit langem nicht mehr.
Denn nachdem die Jurys der 40 teilnehmenden Länder ihre Stimmen abgegeben hatten, fand sich die Ukraine nur auf dem vierten Platz. Davor stand mit Schweden auf Rang zwei eine klassisch starke ESC-Ballade (Cornelia Jakobs „Hold Me Closer“) – aber Platz eins und drei belegten mit Großbritannien und Spanien zwei Länder, die in den vergangenen Jahren meist mit Deutschland um die hinteren Ränge rangen. Sam Ryder presste für Großbritannien seinen Power-Popsong „Space Man“mit dem Feingefühl eines Dampfhammers heraus und der spanische Beitrag sorgte für noch mehr Kopfschütteln: Vom eigentlichen Lied „SloMo“der kubanisch-spanischen Sängerin Chanel Terrero blieb wenig in Erinnerung, dafür gab es reichlich Verrenkungen im Stile eines leicht bekleideten Aerobic-Kurses. Das sonst oft der Oberflächlichkeit gescholtene Publikum rückte hier zum Glück einiges zurecht. In einem Großteil der Länder, Deutschland eingeschlossen, gaben die Zuschauer der Ukraine die Höchstwertung von zwölf Punkten und katapultierten diese damit auch auf Platz eins. Darauf folgte der gutgelaunte Folk-Punksong „Trenuletul“von Zdob si Zdub & Advahov Brothers aus Moldau. Überraschend gut schnitt auch Serbien ab, das eine bizarr inszenierte Nummer mit ernster Botschaft im Angebot hatte: Konstrakta
sang mit „In corpore sano“den wohl ersten lateinisch betiteln Song des Wettbewerbs und behandelte darin das unzureichende Gesundheitssystem ihres Heimatlandes.
Sicherlich waren die Punkte für die Ukraine auch als ein starkes Signal der Solidarität zu verstehen – aber eben nicht nur: Der Song des beim ESC traditionell stark abschneidenden Landes konnte auch für sich genommen überzeugen. Das Kalush Orchestra bot mit „Stefania“eine Hymne an die Mutter des Sängers Oleh Psiuk, die Rap, eindringliche Folklore-Elemente, eine schräge Inszenierung und eine auf der Obertonflöte Telenka gespielte Melodie gekonnt miteinander verband.
Die Band zeigte sich angesichts des Sieges sehr bewegt, der aus einem Bunker sendende Moderator des ukrainischen Fernsehens brach bei der Verkündung des Ergebnisses in Tränen aus. Präsident Wolodymyr Selenskyj schrieb auf dem Nachrichtenkanal Telegram „Unser Mut beeindruckt die Welt, unsere Musik erobert Europa!“und ergänzte „Wir tun alles dafür, damit eines Tages das ukrainische Mariupol die Teilnehmer und Gäste der Eurovision empfängt. Ein freies, friedliches, wieder aufgebautes!“Was der Sieg für die
Ausrichtung des Wettbewerbs im kommenden Jahr bedeutet, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich beurteilen. Für die Bandmitglieder geht es in dieser Woche zunächst einmal zurück an die Front.
Auch über den ukrainischen Auftritt hinaus gab es im Laufe des Wettbewerbs zahlreiche politisch zu verstehende Momente – ganz offensichtlich bereits zu Anfang, als zahlreiche Musiker auf der Piazza Turins John Lennons „Give Peace a Chance“anstimmten – Gib dem Frieden eine Chance. Auch der im Finalwettbewerb direkt nach der Ukraine startende Malik Harris zeigte nach seinem Auftritt auf der Rückseite seiner Gitarre den Schriftzug „Peace“auf den Farben der ukrainischen Flagge. Das könnte ihm einiges an Sympathien eingetragen haben, Punkte gab es dennoch so
Der Eurovision Song Contest (ESC) ist beim deutschen TVPublikum am Samstagabend auf viel Interesse gestoßen. Im Schnitt 6,54 Millionen Zuschauer sahen ab 21 Uhr in der ARD das Finale aus Turin mit dem Sieg des Kalush Orchestra aus der Ukraine. Die Einschaltquote lag bei 32,7 Prozent. Hinzu kamen noch 0,76 Millionen (3,8 Prozent) beim ARD-Spartensender One, wo die Übertragung mit Tweets von Usern versehen war. Die Gesamtzahl summierte sich damit auf 7,3 Millionen.
Die Zuschauerzahl in der ARD entsprach exakt dem Wert aus dem Vorjahr, als ebenfalls 6,54 Millionen das ESC-Finale aus Rotterdam sahen. Die Quote war damals niedriger (26,7 Prozent), die Zahl der zusätzlichen Zuschauer beim ARDKanal One dagegen höher (1,2 Millionen). In den Jahren zuvor war die Sehbeteiligung beim ESC-Finale teils noch deutlich stärker gewesen: 2019 schauten 7,56 Millionen (33,8 Prozent) zu, 2018 waren es 7,87 Millionen (33,4 Prozent) und 2016 sogar 9,38 Millionen (36,7 Prozent). (dpa)
gut wie keine. Nur die Zuschauer aus Österreich, der Schweiz und Estland vergaben jeweils zwei Punkte. Woran könnte es gelegen haben? Beim diesjährigen Vorentscheid waren die „jungen Wellen“der öffentlich-rechtlichen Sender stark involviert. Das sorgte zwar für die Auswahl eines angenehm im Radio anzuhörenden Songs – für die große Bühne des ESC war er aber wohl zu unauffällig. Inszenierung ist bei dem Wettbewerb nicht alles, aber bei diesem Aspekt sollten die meist recht reduziert daherkommenden deutschen Beiträge dennoch künftig einen drauflegen. Und vielleicht bekommt die Metalcore-Band Electric Callboy im nächsten Jahr doch noch mal eine Chance – der wurde dieses Jahr die Teilnahme am Vorentscheid erwehrt, obwohl sie sich in Turin sicher lautstark Gehör verschafft hätte.
Ukraines Wolodymyr Selenskyj nach
dem Sieg des Kalush Orchestra