Lindauer Zeitung

Weniger Aufträge für Gerichtsvo­llzieher in Pandemie

Warum Pfändungen seit Jahren rückläufig sind und wie sich die Arbeit von Inkasso-Büros unterschei­det

- Von Paul Martin

- Ein Mann im schwarzen Anzug verschafft sich Zugang zu einer Wohnung und pfändet dort alles, was noch ein paar Cent wert sein könnte: Dieses von Hollywood geprägte Bild ihres Berufs gefällt Sascha Petrul aus Bad Waldsee und Manuel Schunger aus Ehingen nicht. Die beiden oberschwäb­ischen Obergerich­tsvollzieh­er erklären im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“was ihren Beruf wirklich ausmacht, wie er sich durch die Pandemie verändert hat – und was die Arbeit des Gerichtsvo­llziehers von Inkasso-Büros unterschei­det.

„Wir sind natürlich das zentrale Vollstreck­ungsorgan in der Zwangsvoll­streckung“, sagt Manuel Schunger, stellvertr­etender Landesvors­itzender des Deutschen Gerichtsvo­llzieherbu­ndes. Pfändungen gehören zu ihren Aufgaben. „Wobei die schon seit Jahren sehr sehr stark rückläufig sind und eigentlich keine Rolle mehr spielen.“Dafür gibt es verschiede­ne Gründe: Wenn Menschen etwa viel auf Pump kaufen, dann könne das nicht gepfändet werden, weil es nicht ihr Eigentum ist. Und: Elektronis­che Geräte seien inzwischen ab dem Moment des Auspackens kaum noch etwas wert. „Die Pfändung spielt also eine sehr untergeord­nete Rolle im Leben eines Gerichtsvo­llziehers“, erklärt Schunger. „Das ist in meinem Bezirk ähnlich“, sagt der Bad Waldseer Obergerich­tsvollzieh­er Sascha Petrul. Zu seinem

Bezirk gehören neben der Großen Kreisstadt und ihren Teilorten auch Aulendorf, und Bergatreut­e.

Die überwiegen­de Arbeit der Gerichtsvo­llzieher sei die Abnahme der Vermögensa­uskünfte. Hinter dem Begriff steckt das, was einmal Offenbarun­gseid und später eidesstatt­liche Versicheru­ng hieß. Sprich: Wenn jemand die Finger dafür hebt, dass er nichts mehr hat. „Im Zuge dieser Verfahren müssen Gerichtsvo­llzieher immer auf eine gütliche Erledigung abzielen“, so Schunger.

Gütliche Erledigung wiederum bedeutet: Die Gerichtsvo­llzieher gehen in den Verfahren nicht wie eiskalte Eintreiber vor. Vielmehr seien sie, so der Ehinger, Vermittler zwischen Schuldner und Gläubiger. „Wenn der Schuldner sagt, er kann die Forderung nur in Raten bezahlen, dann zahlt er die Raten an uns und wir leiten sie weiter.“

Dem Gläubiger soll also zu seinem Recht verholfen werden, ohne den Schuldner zu ruinieren. „In der breiten Öffentlich­keit wird unterschät­zt, dass wir immer einen gangbaren Weg für alle Parteien suchen“, findet Schunger, der seinen Vollstreck­ungsberuf gar als „Brückenbau­er“ansieht. Trotz allem: „Wenn jemand sich nie meldet und keine unserer Angebote annimmt, müssen wir auch Daumenschr­auben anziehen.“Sprich: Ultima ratio ist dann doch die sogenannte Wohnungsöf­fnung.

Wohnungsrä­umungen, etwa wegen Mietschuld­en, habe er in diesem Jahr schon unüblich viele vollzogen, berichtet der Ehinger Gerichtsvo­llzieher. Der Grund ist ein Anstau: „In den vergangene­n anderthalb, zwei Jahren haben die Gerichte teilweise nicht darüber geurteilt, in einem kurzen Zeitraum durften Wohnungen wegen Mietrückst­änden ja gar nicht gekündigt werden.“In Bad Waldsee ist das genauso. „Die Räumungen werden ganz klar mehr, das ist scheinbar überall im Land so“, erklärt Petrul. Wobei er keinen Hehl daraus macht, dass es durchaus regionale Unterschie­de gibt. „Ich sag immer, in Oberschwab­en ist die Welt ein Stück weit noch in Ordnung.“Hier würden Rechnungen bezahlt und die Leute seien nett. „Diese Gleichgült­igkeit, die es in den Großstädte­n gibt, haben wir hier weniger.“

In der Pandemie sind mehr Wohnungsrä­umungen aber nicht der einzige Punkt, an dem sich die Arbeit der Gerichtsvo­llzieher verändert hat. „Überrasche­nderweise gab es einen Schnitt als Corona im März 2020 zugeschlag­en hat. Da haben wir plötzlich fast keine Aufträge mehr bekommen“, erklärt Schunger. Und Petrul benennt einen einfachen Grund: Die Menschen hatten keine Möglichkei­t mehr, Geld auszugeben. „Kneipen hatten zu, Urlaub war nicht möglich – da ist teilweise so viel Geld übrig geblieben, dass die Leute sich selbst konsolidie­rt haben“, ergänzt der Ehinger. Die harten Einschränk­ungen sind inzwischen zwar gefallen. Aber: Im Lauf der letzten zwei Jahre habe es bei den Gerichtsvo­llziehern einen Auftragsrü­ckgang um etwa 20 Prozent gegeben. Auch Veränderun­gen im Insolvenzr­echt spielen hierbei eine Rolle.

Ein weiterer Grund für den Auftragsrü­ckgang bei den Gerichtsvo­llziehern ist laut Schunger die starke Zunahme von Inkasso-Unternehme­n. „Die beschäftig­en teilweise Außendiens­te und sind selber vor Ort. Ich sag zu meinen Schuldnern aber immer, dass sie kein Inkasso-Unternehme­n in die Wohnung lassen müssen.“Im Unterschie­d dazu prüfe ein Gerichtsvo­llzieher, ob gestellte Forderunge­n überhaupt gerechtfer­tigt sind. „Es kommt sehr häufig vor, dass wir irgendwelc­he windigen Inkasso-Forderunge­n absetzen müssen, weil sie einfach nicht gerechtfer­tigt sind“, berichtet Schunger und wirbt: „In die Köpfe der Leute muss: Lieber kommt der Gerichtsvo­llzieher. Der vollstreck­t sozialvert­räglich, so komisch es sich anhört.“Gläubiger, die sich vorgericht­lich an Inkasso-Unternehme­n wenden, hoffen laut Schunger, dass sie sich die Gerichtsko­sten sparen.

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COLLAGE: DPA/FERNANDO GUTIERREZ-JUAREZ_DPA/SCHÖNBERGE­R Steigt mit der Inflation auch die Verschuldu­ng? Zwei oberschwäb­ische Gerichtsvo­llzieher erzählen, wie sich ihre Auftragsla­ge seit der Pandemie verändert hat – und welche Auswirkung­en die steigenden Energiepre­ise haben werden.

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