Weniger Aufträge für Gerichtsvollzieher in Pandemie
Warum Pfändungen seit Jahren rückläufig sind und wie sich die Arbeit von Inkasso-Büros unterscheidet
- Ein Mann im schwarzen Anzug verschafft sich Zugang zu einer Wohnung und pfändet dort alles, was noch ein paar Cent wert sein könnte: Dieses von Hollywood geprägte Bild ihres Berufs gefällt Sascha Petrul aus Bad Waldsee und Manuel Schunger aus Ehingen nicht. Die beiden oberschwäbischen Obergerichtsvollzieher erklären im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“was ihren Beruf wirklich ausmacht, wie er sich durch die Pandemie verändert hat – und was die Arbeit des Gerichtsvollziehers von Inkasso-Büros unterscheidet.
„Wir sind natürlich das zentrale Vollstreckungsorgan in der Zwangsvollstreckung“, sagt Manuel Schunger, stellvertretender Landesvorsitzender des Deutschen Gerichtsvollzieherbundes. Pfändungen gehören zu ihren Aufgaben. „Wobei die schon seit Jahren sehr sehr stark rückläufig sind und eigentlich keine Rolle mehr spielen.“Dafür gibt es verschiedene Gründe: Wenn Menschen etwa viel auf Pump kaufen, dann könne das nicht gepfändet werden, weil es nicht ihr Eigentum ist. Und: Elektronische Geräte seien inzwischen ab dem Moment des Auspackens kaum noch etwas wert. „Die Pfändung spielt also eine sehr untergeordnete Rolle im Leben eines Gerichtsvollziehers“, erklärt Schunger. „Das ist in meinem Bezirk ähnlich“, sagt der Bad Waldseer Obergerichtsvollzieher Sascha Petrul. Zu seinem
Bezirk gehören neben der Großen Kreisstadt und ihren Teilorten auch Aulendorf, und Bergatreute.
Die überwiegende Arbeit der Gerichtsvollzieher sei die Abnahme der Vermögensauskünfte. Hinter dem Begriff steckt das, was einmal Offenbarungseid und später eidesstattliche Versicherung hieß. Sprich: Wenn jemand die Finger dafür hebt, dass er nichts mehr hat. „Im Zuge dieser Verfahren müssen Gerichtsvollzieher immer auf eine gütliche Erledigung abzielen“, so Schunger.
Gütliche Erledigung wiederum bedeutet: Die Gerichtsvollzieher gehen in den Verfahren nicht wie eiskalte Eintreiber vor. Vielmehr seien sie, so der Ehinger, Vermittler zwischen Schuldner und Gläubiger. „Wenn der Schuldner sagt, er kann die Forderung nur in Raten bezahlen, dann zahlt er die Raten an uns und wir leiten sie weiter.“
Dem Gläubiger soll also zu seinem Recht verholfen werden, ohne den Schuldner zu ruinieren. „In der breiten Öffentlichkeit wird unterschätzt, dass wir immer einen gangbaren Weg für alle Parteien suchen“, findet Schunger, der seinen Vollstreckungsberuf gar als „Brückenbauer“ansieht. Trotz allem: „Wenn jemand sich nie meldet und keine unserer Angebote annimmt, müssen wir auch Daumenschrauben anziehen.“Sprich: Ultima ratio ist dann doch die sogenannte Wohnungsöffnung.
Wohnungsräumungen, etwa wegen Mietschulden, habe er in diesem Jahr schon unüblich viele vollzogen, berichtet der Ehinger Gerichtsvollzieher. Der Grund ist ein Anstau: „In den vergangenen anderthalb, zwei Jahren haben die Gerichte teilweise nicht darüber geurteilt, in einem kurzen Zeitraum durften Wohnungen wegen Mietrückständen ja gar nicht gekündigt werden.“In Bad Waldsee ist das genauso. „Die Räumungen werden ganz klar mehr, das ist scheinbar überall im Land so“, erklärt Petrul. Wobei er keinen Hehl daraus macht, dass es durchaus regionale Unterschiede gibt. „Ich sag immer, in Oberschwaben ist die Welt ein Stück weit noch in Ordnung.“Hier würden Rechnungen bezahlt und die Leute seien nett. „Diese Gleichgültigkeit, die es in den Großstädten gibt, haben wir hier weniger.“
In der Pandemie sind mehr Wohnungsräumungen aber nicht der einzige Punkt, an dem sich die Arbeit der Gerichtsvollzieher verändert hat. „Überraschenderweise gab es einen Schnitt als Corona im März 2020 zugeschlagen hat. Da haben wir plötzlich fast keine Aufträge mehr bekommen“, erklärt Schunger. Und Petrul benennt einen einfachen Grund: Die Menschen hatten keine Möglichkeit mehr, Geld auszugeben. „Kneipen hatten zu, Urlaub war nicht möglich – da ist teilweise so viel Geld übrig geblieben, dass die Leute sich selbst konsolidiert haben“, ergänzt der Ehinger. Die harten Einschränkungen sind inzwischen zwar gefallen. Aber: Im Lauf der letzten zwei Jahre habe es bei den Gerichtsvollziehern einen Auftragsrückgang um etwa 20 Prozent gegeben. Auch Veränderungen im Insolvenzrecht spielen hierbei eine Rolle.
Ein weiterer Grund für den Auftragsrückgang bei den Gerichtsvollziehern ist laut Schunger die starke Zunahme von Inkasso-Unternehmen. „Die beschäftigen teilweise Außendienste und sind selber vor Ort. Ich sag zu meinen Schuldnern aber immer, dass sie kein Inkasso-Unternehmen in die Wohnung lassen müssen.“Im Unterschied dazu prüfe ein Gerichtsvollzieher, ob gestellte Forderungen überhaupt gerechtfertigt sind. „Es kommt sehr häufig vor, dass wir irgendwelche windigen Inkasso-Forderungen absetzen müssen, weil sie einfach nicht gerechtfertigt sind“, berichtet Schunger und wirbt: „In die Köpfe der Leute muss: Lieber kommt der Gerichtsvollzieher. Der vollstreckt sozialverträglich, so komisch es sich anhört.“Gläubiger, die sich vorgerichtlich an Inkasso-Unternehmen wenden, hoffen laut Schunger, dass sie sich die Gerichtskosten sparen.