Heizöl hat noch nicht ausgedient
Nach Rekordpreisen im März kühlen sich die Gemüter wieder ab – obwohl ein Ölembargo droht. Ortstermin bei einem Händler.
- Im starken Regen lässt sie sich kaum erahnen, die bei gutem Wetter sicher idyllische Aussicht über den Muttelsee im Tettnanger Hinterland. Das Prasseln der Tropfen wird übertönt vom Motorengeräusch eines Tanklastwagens, der eben auf dem Hof des Heizöl-Lieferanten Auer gehalten hat. Ein kräftiger Mann steigt aus, die Kapuze seiner schwarzen Regenjacke tief über den Kopf gezogen, und öffnet eine Klappe an der Seite des Lastwagens. Dahinter kommen die Anschlüsse für die breiten Schläuche zum Vorschein, durch die Heizöl und Diesel fließen sollen. Nach einem Moment gesellt sich zum Motorengeräusch des LKWs das mechanische Brummen der Pumpe.
Der Mann in seiner schwarzen Jacke sucht Schutz vor dem Regen in einer nahen Garage. Er schüttelt die Nässe ab und steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen unter seinem grauen Schnauzer. „Sobald ich fertig bin, hört es auf zu regnen, wartet’s nur ab“, scherzt er in Richtung der beiden anderen Männer, die ihn schon erwartet haben. Es sind Jan Auer und sein Mitarbeiter, die an diesem Vormittag auch lieber im Trockenen ausgeharrt haben.
Jan Auer ist 32 Jahre alt und hat den Betrieb Mineralöle Auer vor wenigen Jahren von seinem Vater übernommen. Mit seinem Tanklastwagen beliefert er Kunden am Bodensee und im Allgäu mit Heizöl und Dieselkraftstoff. Unter seinen Abnehmern sind Industriebetriebe, aber auch Privatkunden und viele Bäckereien. Die Preise für Heizöl waren im März kurzzeitig auf ein Rekordhoch von mehr als zwei Euro pro Liter gestiegen. Seitdem ging der Preis zwar wieder runter, Ende April auf etwa 1,30 Euro, doch auch das ist ein vergleichsweise sehr hohes Niveau. Für Jan Auer sorgt das für eine Situation, die er nur als „nicht so prickelnd“beschreibt.
Der Preis für Heizöl unterlag schon immer großen Schwankungen und ändert sich manchmal mehrmals am Tag. Besonders hoch ist er in Krisenzeiten, wie aktuell, als Reaktion auf Russlands Krieg gegen die Ukraine. Russland ist nach Daten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) aus dem Jahr 2020 der weltweit zweitgrößte Förderer von Erdöl, hinter den USA und noch vor Saudi-Arabien.
Seit Beginn des Ukraine-Krieges will Deutschland unabhängiger von Russlands Öl werden und hat sich zum Ziel gesetzt, bis Ende 2022 nicht mehr auf Lieferungen aus Russland angewiesen zu sein. In der EU debattiert man über ein Ölembargo gegen Russland. „In den nächsten Tagen werden wir zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen – da bin ich sehr zuversichtlich“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Montag am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Bislang wird ein solches Embargo vor allem von Ungarn abgelehnt.
Deutschland hatte einen solchen Schritt zunächst ebenfalls abgelehnt, steht inzwischen aber auf der Seite der Befürworter: Schon am 26. April hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verkündet, dass
Deutschland seine Öl-Abhängigkeit von Russland bereits von 35 auf zwölf Prozent reduziert habe und es nur noch Tage dauern würde, bis die komplette Unabhängigkeit erreicht sei.
Der Hinterhof, auf dem die Lagertanks von Jan Auer stehen, scheint weit weg von solch großen politischen Entscheidungen. Immer noch regnet es in Strömen, als der Mann in der schwarzen Regenjacke unter dem Garagendach hervorkommen muss, um statt den Heizöl-, den Dieseltank von Auer an seinen Laster anzuschließen. Dann schnell zurück ins Trockene. Sein Name ist Karl-Heinz Ringwald vom Zulieferer Hänßel Mineralöle bei Karlsruhe, der auch regelmäßig Heizöl und Diesel zu Jan Auer nach Tettnang bringt. Ringwald macht seinen Job schon seit fast 30 Jahren. In dieser Zeit hat sich vor allem die Technik an den Lastwagen verändert, sagt er. Es gibt mehr Sicherheitsvorkehrungen und -vorschriften und weniger Handarbeit.
Der jüngere Jan Auer hat hingegen noch 30 Jahre Arbeitszeit vor sich. In den nächsten Jahren will die deutsche Politik einiges verändern, was das Heizen mit Öl angeht. So sollen ab 2026 nur noch in Ausnahmen neue Ölkessel eingebaut werden dürfen, und wenn, dann unter strengen Vorgaben. Trotzdem macht sich Auer keine Sorge um seinen Job oder die Zukunft von Heizöl. „Ich glaube, meine Generation hält es noch aus“, meint er. Seiner Meinung nach fehlen die großen, funktionierenden Alternativen. „Es wird Jahrzehnte gehen, bis sich da was verändert.“
Noch heizt in Deutschland jeder vierte Haushalt mit Heizöl, das ergeben Zahlen des Bundesverbands der Schornsteinfeger von 2021. Die Menschen werden es in ihren Häusern und Wohnungen auch trotz der hohen Preise und des Ukrainekrieges auch weiter warm haben können, versichert Hans-Jürgen Funke, Geschäftsführer des Verbands für Energiehandel Südwest-Mitte (VEH). Angst vor einer Versorgungskrise beim Öl hält er für „aktuell unbegründet“. „Anders als beim Erdgas ist es beim Öl möglich, relativ kurzfristig auf andere Lieferländer zurückzugreifen“, erklärt er. „So haben unter anderem die USA und auch Kanada bereits ihre Produktionsmengen deutlich erhöht, was sich in den nächsten Wochen und Monaten noch weiter beschleunigen wird. Die Versorgung ist damit auch für das Produkt Heizöl gesichert, da wir auf ein breites Rohölangebot zurückgreifen können.“
Daran ändere auch ein Ölembargo gegen Russland nichts. „Es war zu erwarten, dass es in diese Richtung geht“, sagt er. Die geplante Übergangsfrist bis Ende des Jahres schaffe Möglichkeiten, den Wegfall des russischen Öls zu kompensieren. „Jeder bekommt weiter sein Heizöl“, ist er sich sicher. Gerade im Südwesten Deutschlands käme das Heizöl sowieso häufig nicht aus Russland. Typisch sei eher, dass es aus Libyen oder Saudi-Arabien mit Schiffen übers Mittelmeer nach Triest gebracht werde. Von dort laufe es durch eine Pipeline über Ingolstadt nach Karlsruhe, wo es in Deutschlands größter Mineralölraffinerie MiRO verarbeitet wird. Dann bringen die Lieferanten, wie Jan Auer aus Tettnang, es zu den Kunden. „Das ist der typische Weg. So hat es bisher funktioniert und so wird es weiter funktionieren“, sagt Funke.
Auch Stefan Ulreich, Professor für Energiepolitik an der Hochschule Biberach, sagt, dass man beim Rohöl genug Möglichkeiten hat, das russische Öl zu ersetzen. Mit Problemen in der Produktion rechnet er nicht, aber vielleicht beim Transport. „Der Engpass sind hier die Schiffe, nicht das Öl“, erklärt er. Denn schnell ein paar mehr Schiffe zu bauen, gehe halt nicht. Durch die Übergangszeit sollten die Unternehmen das jedoch organisieren können. „Aber sie sollten sich jetzt auch drum kümmern“, sagt er.
Hans-Jürgen Funke vom VEH erklärt, dass die Preise seit dem Hoch im März zunächst wieder gefallen sind, als Reaktion auf ein mögliches Öl-Embargo der EU gegen Russland im Mai aber wieder nach oben gingen. „Die gegenwärtige Situation ist derart volatil und unberechenbar, dass wir als Vertreter des mittelständischen Energiehandels keine Einschätzung zur weiteren Marktentwicklung abgeben können und möchten, weil wir seriöse Prognosen derzeit gar nicht für möglich halten“, erklärt er. Verbrauchern rät er vor allem: keine Panik und weiter nach dem eigenen Bedarf einkaufen. „Ein Heizölkauf heute, vor allem, wenn in den nächsten Wochen ohnehin nachgetankt werden muss, kann durchaus eine gute Option sein, um sich von weiteren Ölpreisschwankungen für eine längere Zeit unabhängig zu machen.“Wer noch einen mindestens halbvollen Tank hat, könne aber noch abwarten.
Das macht auch Holger Deeg in Langenargen. Ist sein 4800 Liter Tank im Keller voll, kann er damit bis zu 18 Monate lang heizen. Im September 2021 hat er zuletzt Heizöl gekauft, damals für 76 Cent pro Liter, erinnert er sich. Das heißt, für ihn drängt die Zeit noch nicht, trotzdem informiert er sich mehrmals die Woche über die aktuellen Preise. Am 12. Mai lag der bei über 1,30 Euro pro Liter. „Was wir jetzt machen können, ist dumm gucken und hoffen, dass es wieder weniger wird“, sagt er. Zwar könnten er und seine Frau sich die aktuellen Preise im Zweifelsfall leisten – „dann verzichten wir halt auf einen Urlaub“– für seine Mutter, die ebenfalls im Haus wohnt, wäre das aber schon schwierig. Dafür reicht ihre Rente nicht. „Wenn das dauerhaft so ist, weiß ich nicht, wo das hinführen soll.“
Im Idealfall würde er daher gerne zu einem klimaneutralen Heiz- und Energiesystem wechseln und unabhängig sein vom Markt. Informiert hat er sich darüber auch schon. Für eine Luft-Wasser-Wärmepumpe, zusammen mit Solar auf seinem Dach, würde er aber um die 45 000 Euro zahlen, sagt er. „Das ist absolut nicht wirtschaftlich mit dem, was der Staat momentan an Unterstützung bietet“, findet er. Für dasselbe Geld kann er noch viel Heizöl einkaufen.
Dass viele Leute mit den aktuellen Preisen unzufrieden sind, merkt Jan Auer trotzdem. Er verkauft derzeit weniger Liter Heizöl, und hat dadurch weniger Arbeit. Viele hoffen darauf, dass es im Sommer wieder günstiger wird, vermutet er. Ob es tatsächlich so kommt, sei jedoch schwierig zu sagen.
Viele Faktoren haben mittel- und langfristig Einfluss auf die Preise, erklärt auch VEH-Geschäftsführer Hans-Jürgen Funke. Darunter etwa: Welche Auswirkungen hat weltwirtschaftlich gesehen der Lockdown in China und wie beeinflusst das die Ölnachfrage? Wird die OPEC ihre Fördermengen erhöhen oder an momentanen Begrenzungen festhalten? Wie entwickelt sich der Dollarkurs, in dem die meisten Ölpreise berechnet werden? Antworten auf diese Fragen brauchen Zeit.
Langfristig wird sich der Heizölmarkt durch den politischen Wunsch, von fossilen Brennstoffen unabhängiger zu werden, stark verändern. Hans-Jürgen Funke glaubt aber an eine Zukunft flüssiger Energieträger. „Fossiles Heizöl kann sukzessive durch biogene und synthetische Flüssigbrennstoffe ersetzt werden.“Damit meint er sogenannte GreenFuels, auch BioFuels, oder EFuels genannt. Solche „grünen“Flüssigbrennstoffe können auf Basis von Biomasse produziert oder aus Wasserstoff synthetisiert werden. GreenFuels aus Pflanzen brauchen jedoch große Anbauflächen, deshalb gehe der Trend aktuell eher in Richtung der chemisch hergestellten Brennstoffe aus Wasserstoff.
Um aus Wasserstoff einen synthetischen Flüssigbrennstoff herstellen zu können, braucht man allerdings große Mengen Strom. Wenn der grün sein, also aus erneuerbaren Energien kommen soll, ist die Produktion in Deutschland fast nicht möglich. Stattdessen könnte dieses synthetische Öl vermutlich auf der Südhalbkugel der Welt produziert, und dann nach Deutschland importiert werden, erklärt Funke.
Weg zu kommen von fossilen Energieträgern heißt nicht automatisch in der Energieversorgung komplett unabhängig zu sein, betont auch Stefan Ulreich von der Hochschule Biberach. Denn um vor Ort die nötigen Anlagen und Leitungen für erneuerbare Energien zu bauen, braucht man Stoffe wie Lithium und Cobalt, die man zum Beispiel aus China importieren muss. Man tausche also die bestehende Abhängigkeit nur gegen eine neue Abhängigkeit aus, sagt er. „Das kann gut ausgehen, aber das kann auch schlecht ausgehen.“
Das sind jedoch Überlegungen, die an den aktuellen Ölpreisen kurzfristig nichts ändern können. Den Unmut über die derzeit hohen Kosten bekommt Öllieferant Jan Auer allerdings von seinen Kunden nicht ab. „Wir sind auch bloß der Leidtragende am Ende der Kette“, sagt er. Wie hoch die Heizölpreise sind, würden die großen Konzerne bestimmen – und die Politik. Knapp 40 Prozent des Endpreises sind Steuern und CO2-Abgabe. „Wir müssen halt mitmachen, was die beschließen“, meint Auer schulterzuckend. Eine wirkliche Lösung sieht er nicht, denn die Steuern zu senken würde für den Staat nur andere Probleme schaffen, sagt er. Sorgen um seinen Job macht er sich jedoch keine, selbst wenn die Preise hoch bleiben sollten: „Der Deutsche ist ein Gewohnheitstier, der würde das dann irgendwann auch wieder zahlen“, ist er sich sicher.
Nach einer knappen Stunde ist der Tanklastwagen, mit dem KarlHeinz Ringwald am Morgen von Karlsruhe an den Muttelsee gefahren war, leer, und Jan Auers Tanks sind wieder voll. Die Schläuche werden wieder abgenommen und verstaut, die Klappe an der Seite des LKWs wieder geschlossen, dann kann die Rückfahrt losgehen. Und tatsächlich: ein paar Minuten später klärt der Himmel auf.