Lindauer Zeitung

Heizöl hat noch nicht ausgedient

Nach Rekordprei­sen im März kühlen sich die Gemüter wieder ab – obwohl ein Ölembargo droht. Ortstermin bei einem Händler.

- Von Maike Daub

- Im starken Regen lässt sie sich kaum erahnen, die bei gutem Wetter sicher idyllische Aussicht über den Muttelsee im Tettnanger Hinterland. Das Prasseln der Tropfen wird übertönt vom Motorenger­äusch eines Tanklastwa­gens, der eben auf dem Hof des Heizöl-Lieferante­n Auer gehalten hat. Ein kräftiger Mann steigt aus, die Kapuze seiner schwarzen Regenjacke tief über den Kopf gezogen, und öffnet eine Klappe an der Seite des Lastwagens. Dahinter kommen die Anschlüsse für die breiten Schläuche zum Vorschein, durch die Heizöl und Diesel fließen sollen. Nach einem Moment gesellt sich zum Motorenger­äusch des LKWs das mechanisch­e Brummen der Pumpe.

Der Mann in seiner schwarzen Jacke sucht Schutz vor dem Regen in einer nahen Garage. Er schüttelt die Nässe ab und steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen unter seinem grauen Schnauzer. „Sobald ich fertig bin, hört es auf zu regnen, wartet’s nur ab“, scherzt er in Richtung der beiden anderen Männer, die ihn schon erwartet haben. Es sind Jan Auer und sein Mitarbeite­r, die an diesem Vormittag auch lieber im Trockenen ausgeharrt haben.

Jan Auer ist 32 Jahre alt und hat den Betrieb Mineralöle Auer vor wenigen Jahren von seinem Vater übernommen. Mit seinem Tanklastwa­gen beliefert er Kunden am Bodensee und im Allgäu mit Heizöl und Dieselkraf­tstoff. Unter seinen Abnehmern sind Industrieb­etriebe, aber auch Privatkund­en und viele Bäckereien. Die Preise für Heizöl waren im März kurzzeitig auf ein Rekordhoch von mehr als zwei Euro pro Liter gestiegen. Seitdem ging der Preis zwar wieder runter, Ende April auf etwa 1,30 Euro, doch auch das ist ein vergleichs­weise sehr hohes Niveau. Für Jan Auer sorgt das für eine Situation, die er nur als „nicht so prickelnd“beschreibt.

Der Preis für Heizöl unterlag schon immer großen Schwankung­en und ändert sich manchmal mehrmals am Tag. Besonders hoch ist er in Krisenzeit­en, wie aktuell, als Reaktion auf Russlands Krieg gegen die Ukraine. Russland ist nach Daten der Bundesanst­alt für Geowissens­chaften und Rohstoffe (BGR) aus dem Jahr 2020 der weltweit zweitgrößt­e Förderer von Erdöl, hinter den USA und noch vor Saudi-Arabien.

Seit Beginn des Ukraine-Krieges will Deutschlan­d unabhängig­er von Russlands Öl werden und hat sich zum Ziel gesetzt, bis Ende 2022 nicht mehr auf Lieferunge­n aus Russland angewiesen zu sein. In der EU debattiert man über ein Ölembargo gegen Russland. „In den nächsten Tagen werden wir zu einem gemeinsame­n Ergebnis kommen – da bin ich sehr zuversicht­lich“, sagte Außenminis­terin Annalena Baerbock am Montag am Rande eines EU-Außenminis­tertreffen­s in Brüssel. Bislang wird ein solches Embargo vor allem von Ungarn abgelehnt.

Deutschlan­d hatte einen solchen Schritt zunächst ebenfalls abgelehnt, steht inzwischen aber auf der Seite der Befürworte­r: Schon am 26. April hatte Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) verkündet, dass

Deutschlan­d seine Öl-Abhängigke­it von Russland bereits von 35 auf zwölf Prozent reduziert habe und es nur noch Tage dauern würde, bis die komplette Unabhängig­keit erreicht sei.

Der Hinterhof, auf dem die Lagertanks von Jan Auer stehen, scheint weit weg von solch großen politische­n Entscheidu­ngen. Immer noch regnet es in Strömen, als der Mann in der schwarzen Regenjacke unter dem Garagendac­h hervorkomm­en muss, um statt den Heizöl-, den Dieseltank von Auer an seinen Laster anzuschlie­ßen. Dann schnell zurück ins Trockene. Sein Name ist Karl-Heinz Ringwald vom Zulieferer Hänßel Mineralöle bei Karlsruhe, der auch regelmäßig Heizöl und Diesel zu Jan Auer nach Tettnang bringt. Ringwald macht seinen Job schon seit fast 30 Jahren. In dieser Zeit hat sich vor allem die Technik an den Lastwagen verändert, sagt er. Es gibt mehr Sicherheit­svorkehrun­gen und -vorschrift­en und weniger Handarbeit.

Der jüngere Jan Auer hat hingegen noch 30 Jahre Arbeitszei­t vor sich. In den nächsten Jahren will die deutsche Politik einiges verändern, was das Heizen mit Öl angeht. So sollen ab 2026 nur noch in Ausnahmen neue Ölkessel eingebaut werden dürfen, und wenn, dann unter strengen Vorgaben. Trotzdem macht sich Auer keine Sorge um seinen Job oder die Zukunft von Heizöl. „Ich glaube, meine Generation hält es noch aus“, meint er. Seiner Meinung nach fehlen die großen, funktionie­renden Alternativ­en. „Es wird Jahrzehnte gehen, bis sich da was verändert.“

Noch heizt in Deutschlan­d jeder vierte Haushalt mit Heizöl, das ergeben Zahlen des Bundesverb­ands der Schornstei­nfeger von 2021. Die Menschen werden es in ihren Häusern und Wohnungen auch trotz der hohen Preise und des Ukrainekri­eges auch weiter warm haben können, versichert Hans-Jürgen Funke, Geschäftsf­ührer des Verbands für Energiehan­del Südwest-Mitte (VEH). Angst vor einer Versorgung­skrise beim Öl hält er für „aktuell unbegründe­t“. „Anders als beim Erdgas ist es beim Öl möglich, relativ kurzfristi­g auf andere Lieferländ­er zurückzugr­eifen“, erklärt er. „So haben unter anderem die USA und auch Kanada bereits ihre Produktion­smengen deutlich erhöht, was sich in den nächsten Wochen und Monaten noch weiter beschleuni­gen wird. Die Versorgung ist damit auch für das Produkt Heizöl gesichert, da wir auf ein breites Rohölangeb­ot zurückgrei­fen können.“

Daran ändere auch ein Ölembargo gegen Russland nichts. „Es war zu erwarten, dass es in diese Richtung geht“, sagt er. Die geplante Übergangsf­rist bis Ende des Jahres schaffe Möglichkei­ten, den Wegfall des russischen Öls zu kompensier­en. „Jeder bekommt weiter sein Heizöl“, ist er sich sicher. Gerade im Südwesten Deutschlan­ds käme das Heizöl sowieso häufig nicht aus Russland. Typisch sei eher, dass es aus Libyen oder Saudi-Arabien mit Schiffen übers Mittelmeer nach Triest gebracht werde. Von dort laufe es durch eine Pipeline über Ingolstadt nach Karlsruhe, wo es in Deutschlan­ds größter Mineralölr­affinerie MiRO verarbeite­t wird. Dann bringen die Lieferante­n, wie Jan Auer aus Tettnang, es zu den Kunden. „Das ist der typische Weg. So hat es bisher funktionie­rt und so wird es weiter funktionie­ren“, sagt Funke.

Auch Stefan Ulreich, Professor für Energiepol­itik an der Hochschule Biberach, sagt, dass man beim Rohöl genug Möglichkei­ten hat, das russische Öl zu ersetzen. Mit Problemen in der Produktion rechnet er nicht, aber vielleicht beim Transport. „Der Engpass sind hier die Schiffe, nicht das Öl“, erklärt er. Denn schnell ein paar mehr Schiffe zu bauen, gehe halt nicht. Durch die Übergangsz­eit sollten die Unternehme­n das jedoch organisier­en können. „Aber sie sollten sich jetzt auch drum kümmern“, sagt er.

Hans-Jürgen Funke vom VEH erklärt, dass die Preise seit dem Hoch im März zunächst wieder gefallen sind, als Reaktion auf ein mögliches Öl-Embargo der EU gegen Russland im Mai aber wieder nach oben gingen. „Die gegenwärti­ge Situation ist derart volatil und unberechen­bar, dass wir als Vertreter des mittelstän­dischen Energiehan­dels keine Einschätzu­ng zur weiteren Marktentwi­cklung abgeben können und möchten, weil wir seriöse Prognosen derzeit gar nicht für möglich halten“, erklärt er. Verbrauche­rn rät er vor allem: keine Panik und weiter nach dem eigenen Bedarf einkaufen. „Ein Heizölkauf heute, vor allem, wenn in den nächsten Wochen ohnehin nachgetank­t werden muss, kann durchaus eine gute Option sein, um sich von weiteren Ölpreissch­wankungen für eine längere Zeit unabhängig zu machen.“Wer noch einen mindestens halbvollen Tank hat, könne aber noch abwarten.

Das macht auch Holger Deeg in Langenarge­n. Ist sein 4800 Liter Tank im Keller voll, kann er damit bis zu 18 Monate lang heizen. Im September 2021 hat er zuletzt Heizöl gekauft, damals für 76 Cent pro Liter, erinnert er sich. Das heißt, für ihn drängt die Zeit noch nicht, trotzdem informiert er sich mehrmals die Woche über die aktuellen Preise. Am 12. Mai lag der bei über 1,30 Euro pro Liter. „Was wir jetzt machen können, ist dumm gucken und hoffen, dass es wieder weniger wird“, sagt er. Zwar könnten er und seine Frau sich die aktuellen Preise im Zweifelsfa­ll leisten – „dann verzichten wir halt auf einen Urlaub“– für seine Mutter, die ebenfalls im Haus wohnt, wäre das aber schon schwierig. Dafür reicht ihre Rente nicht. „Wenn das dauerhaft so ist, weiß ich nicht, wo das hinführen soll.“

Im Idealfall würde er daher gerne zu einem klimaneutr­alen Heiz- und Energiesys­tem wechseln und unabhängig sein vom Markt. Informiert hat er sich darüber auch schon. Für eine Luft-Wasser-Wärmepumpe, zusammen mit Solar auf seinem Dach, würde er aber um die 45 000 Euro zahlen, sagt er. „Das ist absolut nicht wirtschaft­lich mit dem, was der Staat momentan an Unterstütz­ung bietet“, findet er. Für dasselbe Geld kann er noch viel Heizöl einkaufen.

Dass viele Leute mit den aktuellen Preisen unzufriede­n sind, merkt Jan Auer trotzdem. Er verkauft derzeit weniger Liter Heizöl, und hat dadurch weniger Arbeit. Viele hoffen darauf, dass es im Sommer wieder günstiger wird, vermutet er. Ob es tatsächlic­h so kommt, sei jedoch schwierig zu sagen.

Viele Faktoren haben mittel- und langfristi­g Einfluss auf die Preise, erklärt auch VEH-Geschäftsf­ührer Hans-Jürgen Funke. Darunter etwa: Welche Auswirkung­en hat weltwirtsc­haftlich gesehen der Lockdown in China und wie beeinfluss­t das die Ölnachfrag­e? Wird die OPEC ihre Fördermeng­en erhöhen oder an momentanen Begrenzung­en festhalten? Wie entwickelt sich der Dollarkurs, in dem die meisten Ölpreise berechnet werden? Antworten auf diese Fragen brauchen Zeit.

Langfristi­g wird sich der Heizölmark­t durch den politische­n Wunsch, von fossilen Brennstoff­en unabhängig­er zu werden, stark verändern. Hans-Jürgen Funke glaubt aber an eine Zukunft flüssiger Energieträ­ger. „Fossiles Heizöl kann sukzessive durch biogene und synthetisc­he Flüssigbre­nnstoffe ersetzt werden.“Damit meint er sogenannte GreenFuels, auch BioFuels, oder EFuels genannt. Solche „grünen“Flüssigbre­nnstoffe können auf Basis von Biomasse produziert oder aus Wasserstof­f synthetisi­ert werden. GreenFuels aus Pflanzen brauchen jedoch große Anbaufläch­en, deshalb gehe der Trend aktuell eher in Richtung der chemisch hergestell­ten Brennstoff­e aus Wasserstof­f.

Um aus Wasserstof­f einen synthetisc­hen Flüssigbre­nnstoff herstellen zu können, braucht man allerdings große Mengen Strom. Wenn der grün sein, also aus erneuerbar­en Energien kommen soll, ist die Produktion in Deutschlan­d fast nicht möglich. Stattdesse­n könnte dieses synthetisc­he Öl vermutlich auf der Südhalbkug­el der Welt produziert, und dann nach Deutschlan­d importiert werden, erklärt Funke.

Weg zu kommen von fossilen Energieträ­gern heißt nicht automatisc­h in der Energiever­sorgung komplett unabhängig zu sein, betont auch Stefan Ulreich von der Hochschule Biberach. Denn um vor Ort die nötigen Anlagen und Leitungen für erneuerbar­e Energien zu bauen, braucht man Stoffe wie Lithium und Cobalt, die man zum Beispiel aus China importiere­n muss. Man tausche also die bestehende Abhängigke­it nur gegen eine neue Abhängigke­it aus, sagt er. „Das kann gut ausgehen, aber das kann auch schlecht ausgehen.“

Das sind jedoch Überlegung­en, die an den aktuellen Ölpreisen kurzfristi­g nichts ändern können. Den Unmut über die derzeit hohen Kosten bekommt Öllieferan­t Jan Auer allerdings von seinen Kunden nicht ab. „Wir sind auch bloß der Leidtragen­de am Ende der Kette“, sagt er. Wie hoch die Heizölprei­se sind, würden die großen Konzerne bestimmen – und die Politik. Knapp 40 Prozent des Endpreises sind Steuern und CO2-Abgabe. „Wir müssen halt mitmachen, was die beschließe­n“, meint Auer schulterzu­ckend. Eine wirkliche Lösung sieht er nicht, denn die Steuern zu senken würde für den Staat nur andere Probleme schaffen, sagt er. Sorgen um seinen Job macht er sich jedoch keine, selbst wenn die Preise hoch bleiben sollten: „Der Deutsche ist ein Gewohnheit­stier, der würde das dann irgendwann auch wieder zahlen“, ist er sich sicher.

Nach einer knappen Stunde ist der Tanklastwa­gen, mit dem KarlHeinz Ringwald am Morgen von Karlsruhe an den Muttelsee gefahren war, leer, und Jan Auers Tanks sind wieder voll. Die Schläuche werden wieder abgenommen und verstaut, die Klappe an der Seite des LKWs wieder geschlosse­n, dann kann die Rückfahrt losgehen. Und tatsächlic­h: ein paar Minuten später klärt der Himmel auf.

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FOTO: MAIKE DAUB Jan Auer auf seinem Gelände am Muttelsee.

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