Die Grünen als Königsmacher
In Nordrhein-Westfalen ist ein schwarz-grünes Bündnis am wahrscheinlichsten – Modell macht Schule
- Mona Neubaur hatte Dringlicheres zu tun. Die erfolgreiche nordrhein-westfälische Grünen-Vorsitzende musste am Montag nach Berlin reisen, um zusammen mit Bundes-Chef Omid Nouripour die Fragen der Hauptstadtpresse zu beantworten. Da stand sie dann auch, trotz ihres großen Wahlerfolges sehr ernsthaft und konzentriert, vielleicht schlicht übernächtigt.
Wäre sie statt in den Osten in Richtung Süden gefahren, hätte sie in Baden-Württemberg Zeugin der Arbeitsabläufe in einer grün-schwarzen Koalition werden können. Dort trafen sich am Montag, einen Tag nach der wichtigsten Wahl in Deutschland in diesem Jahr, die Fraktionsspitzen von Grünen und CDU zur Klausur, um gemeinsam über die richtigen Antworten auf die großen, globalen Krisen zu beraten. Im Luftkurort Waldenburg bei Schwäbisch Hall mit rund 3000 Einwohnern wäre es mit Sicherheit etwas beschaulicher gewesen als im touristenüberlaufenen Berlin.
Neubaur hätte auch etwas lernen können im Südwesten: Wie die Zusammenarbeit von Parteien funktionieren kann, die politisch ganz weit auseinander waren und in vielen Themen noch sind. Als die badenwürttembergischen Grünen, nach der Landtagswahl 2016 noch stärker als 2011, einen Partner an der Seite zum Regieren brauchten, einigten sie sich mit der CDU auf eine Art Zweckbündnis. Fünf Jahr später war daraus schon fast eine Liebesheirat geworden. Obwohl es die Möglichkeit einer Ampel gegeben hätte, drückte Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Wiederauflage der baden-württembergischen Großen Koalition durch.
Grün-Schwarz oder SchwarzGrün – die Farbreihenfolge ist vor allem für die beteiligten Parteien interessant. Auffallend ist jedoch, dass sich diese Kombination vor allem in den Bundesländern als langlebig erweist, wo man es nicht unbedingt erwartet hätte. In Hessen beispielsweise, dort wurde 2013 die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland überhaupt geschmiedet. Ministerpräsident war und ist – zumindest noch für ein paar Tage bis zu seinem angekündigten Rückzug Ende Mai – der CDU-Politiker Volker Bouffier, den über Jahre hinweg die Bezeichnung „schwarzer Sheriff“begleitete, wegen seiner kompromisslosen Haltung in innenpolitischen Fragen. Doch die Zusammenarbeit mit den Grünen funktioniert seit Jahren weitgehend geräuschlos.
Doch eine schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen wäre natürlich eine ganz andere Hausnummer, nicht nur weil das Land groß und bevölkerungsreich ist. Es geht auch um den Industriestandort und die Arbeitsplätze in diesem Bundesland. Dem nächsten Ministerpräsidenten in Düsseldorf muss es gelingen, den Klimaschutz voranzutreiben, ohne die Wirtschaft abzuwürgen. Wo da die jeweiligen Schmerzgrenzen sind, wird von den Parteien sehr unterschiedlich bewertet. Sicher ist: Die Grünen werden dabei selbstbewusst mitreden – in Anbetracht der Verdreifachung ihres Wahlergebnisses am Sonntag. Noch nicht in Stein gemeißelt ist hingegen, dass der neue Regierungschef wirklich Hendrik Wüst heißen wird. Denn rein rechnerisch wäre, wie im Bund, auch eine AmpelKoalition von SPD, Grünen und FDP möglich.
„Wir haben vor der Wahl gesagt, dass wir als demokratische Partei für alle anderen demokratischen Parteien gesprächsbereit sind“, sagte Mona Neubaur am Montag bei ihrem Besuch in der Parteizentrale der Grünen in Berlin. Die Botschaft, die kurz zuvor im Konrad-Adenauer-Haus in ein Mikrofon gesprochen wurde, klang ähnlich. „Ich werde mit einem Gesprächsangebot auf alle demokratischen Parteien, die im Landtag vertreten sind, zugehen“, sagte der nordrhein-westfälische CDU-Chef Wüst nach einer Sitzung des CDUBundesvorstands in Berlin beim gemeinsamen Auftritt mit dem Parteivorsitzenden Friedrich Merz. Es gehe ihm darum, mit Respekt und Vertrauen ein gutes Regierungsbündnis zu schmieden, Klimaschutz und Industrieland
zu versöhnen. Das wurde von den Zuhörern durchaus als Angebot an die Grünen verstanden.
Sollten sich CDU und Grüne in den nächsten Tagen und Wochen auf eine Koalition verständigen, hat dies eine Signalwirkung in mehrere Richtungen. In der Ampel-Koalition in Berlin regieren jetzt zwei Parteien, die bei der „kleinen Bundestagswahl“in Nordrhein-Westfalen niederschmetternde Ergebnisse erzielt haben – und ein strahlender Wahlgewinner. Das könnte zur Belastung für das Regierungsbündnis werden. Schon in der Vergangenheit war mehrfach zu hören, dass gerade die Liberalen im Verhältnis zu ihrem Ergebnis bei der Bundestagswahl etwas zu selbstbewusst seien. Darauf könnten die Grünen jetzt etwas deutlicher hinweisen.
Auch der Regierungschef ganz im Süden der Republik hat die Wahl am Sonntag mit größtem Interesse verfolgt. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder steht im kommenden Jahr selbst zur
Wahl. In den Umfragen ist für die CSU und seine Beliebtheitswerte derzeit viel Luft nach oben. Auch er muss sich darauf vorbereiten, dass ohne die Grünen in Bayern künftig kein Regieren möglich sein könnte. Söder gibt sich zwar einerseits durchaus selbstbewusst, sagt, dass 35,7 Prozent „kein zufriedenstellendes Ergebnis“für die CSU in Bayern wären. Andererseits hat er seit dem schlechten Wahlergebnis für seine Partei im Oktober 2018 die Hemmschwelle gegenüber den Grünen bereits deutlich gesenkt.
Schwarz-Grün als neues Bündnis der Mitte? So richtig wohl scheinen sich bei diesem Gedanken weder Grüne noch Unionspolitiker zu fühlen. Doch für die Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen ist es sehr viel einfacher, diesen Weg zu gehen – verprellen sie doch keine Koalitionäre in Berlin. Im Gegenteil: Sollte ihnen der Gegenentwurf zur Ampel im Bund gelingen, wäre das für sie ein angenehmer Nebeneffekt des Wahlsieges.
Die grüne NRW-Vorsitzende Mona Neubaur war vor Kurzem vielen Deutschen unbekannt. Jetzt entscheidet sie, wer im bevölkerungsreichsten Bundesland künftig regieren wird. Was macht die Düsseldorferin aus? Neubaur (44) gilt als selbstbewusst – und kann es sich leisten.
Noch vor zwei Monaten konnten Demoskopen die Popularität der grünen Landesvorsitzenden nicht messen: zu unbekannt.
Seit dem vergangenen Wahlsonntag kennt die Republik ihr Gesicht. Sie hat dank des Rückenwinds aus Berlin ein historisches Ergebnis für die Grünen eingefahren. Wer nun im bevölkerungsreichsten Bundesland regieren wird, entscheidet die Düsseldorferin. Aufgewachsen ist Neubaur auf dem Land, konkreter: in der bayerischen Provinz. Nach 19 Jahren Landleben war die Richtung fürs Studium klar: Eine Großstadt sollte es sein. Neubaur entschied sich für ein Studium der Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaften in Düsseldorf. Nach ihrem Abschluss arbeitete die Diplompädagogin bei einem Ökostromanbieter und der Heinrich-BöllStiftung. 2005 trat die Reala bei den Grünen ein, 2014 war sie Landesvorsitzende. Typisch Grüne engagierte sie sich für den Erhalt des Hambacher
Forsts und demonstrierte gegen Neo-Nazis. Neubaur bezeichnet sich selbst als Optimistin. Sie stehe dafür, Dinge möglich zu machen und nicht zu blockieren. Sie stehe für den Mut, Neues anzupacken und sich nicht von Angst leiten zu lassen.
Dafür spielt sie in der Landespolitik nun in der obersten Liga. Es wurde bereits spekuliert, ob sie nicht den Habeck macht, also Super-Ministerin für Klima und Wirtschaft wird. Mit diesem Wunsch und hohen klimapolitischen Zielen wird sie in die Verhandlungen gehen. (dot)