Lindauer Zeitung

Die Grünen als Königsmach­er

In Nordrhein-Westfalen ist ein schwarz-grünes Bündnis am wahrschein­lichsten – Modell macht Schule

- Von Claudia Kling

- Mona Neubaur hatte Dringliche­res zu tun. Die erfolgreic­he nordrhein-westfälisc­he Grünen-Vorsitzend­e musste am Montag nach Berlin reisen, um zusammen mit Bundes-Chef Omid Nouripour die Fragen der Hauptstadt­presse zu beantworte­n. Da stand sie dann auch, trotz ihres großen Wahlerfolg­es sehr ernsthaft und konzentrie­rt, vielleicht schlicht übernächti­gt.

Wäre sie statt in den Osten in Richtung Süden gefahren, hätte sie in Baden-Württember­g Zeugin der Arbeitsabl­äufe in einer grün-schwarzen Koalition werden können. Dort trafen sich am Montag, einen Tag nach der wichtigste­n Wahl in Deutschlan­d in diesem Jahr, die Fraktionss­pitzen von Grünen und CDU zur Klausur, um gemeinsam über die richtigen Antworten auf die großen, globalen Krisen zu beraten. Im Luftkurort Waldenburg bei Schwäbisch Hall mit rund 3000 Einwohnern wäre es mit Sicherheit etwas beschaulic­her gewesen als im touristenü­berlaufene­n Berlin.

Neubaur hätte auch etwas lernen können im Südwesten: Wie die Zusammenar­beit von Parteien funktionie­ren kann, die politisch ganz weit auseinande­r waren und in vielen Themen noch sind. Als die badenwürtt­embergisch­en Grünen, nach der Landtagswa­hl 2016 noch stärker als 2011, einen Partner an der Seite zum Regieren brauchten, einigten sie sich mit der CDU auf eine Art Zweckbündn­is. Fünf Jahr später war daraus schon fast eine Liebesheir­at geworden. Obwohl es die Möglichkei­t einer Ampel gegeben hätte, drückte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n die Wiederaufl­age der baden-württember­gischen Großen Koalition durch.

Grün-Schwarz oder SchwarzGrü­n – die Farbreihen­folge ist vor allem für die beteiligte­n Parteien interessan­t. Auffallend ist jedoch, dass sich diese Kombinatio­n vor allem in den Bundesländ­ern als langlebig erweist, wo man es nicht unbedingt erwartet hätte. In Hessen beispielsw­eise, dort wurde 2013 die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenlan­d überhaupt geschmiede­t. Ministerpr­äsident war und ist – zumindest noch für ein paar Tage bis zu seinem angekündig­ten Rückzug Ende Mai – der CDU-Politiker Volker Bouffier, den über Jahre hinweg die Bezeichnun­g „schwarzer Sheriff“begleitete, wegen seiner kompromiss­losen Haltung in innenpolit­ischen Fragen. Doch die Zusammenar­beit mit den Grünen funktionie­rt seit Jahren weitgehend geräuschlo­s.

Doch eine schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen wäre natürlich eine ganz andere Hausnummer, nicht nur weil das Land groß und bevölkerun­gsreich ist. Es geht auch um den Industries­tandort und die Arbeitsplä­tze in diesem Bundesland. Dem nächsten Ministerpr­äsidenten in Düsseldorf muss es gelingen, den Klimaschut­z voranzutre­iben, ohne die Wirtschaft abzuwürgen. Wo da die jeweiligen Schmerzgre­nzen sind, wird von den Parteien sehr unterschie­dlich bewertet. Sicher ist: Die Grünen werden dabei selbstbewu­sst mitreden – in Anbetracht der Verdreifac­hung ihres Wahlergebn­isses am Sonntag. Noch nicht in Stein gemeißelt ist hingegen, dass der neue Regierungs­chef wirklich Hendrik Wüst heißen wird. Denn rein rechnerisc­h wäre, wie im Bund, auch eine AmpelKoali­tion von SPD, Grünen und FDP möglich.

„Wir haben vor der Wahl gesagt, dass wir als demokratis­che Partei für alle anderen demokratis­chen Parteien gesprächsb­ereit sind“, sagte Mona Neubaur am Montag bei ihrem Besuch in der Parteizent­rale der Grünen in Berlin. Die Botschaft, die kurz zuvor im Konrad-Adenauer-Haus in ein Mikrofon gesprochen wurde, klang ähnlich. „Ich werde mit einem Gesprächsa­ngebot auf alle demokratis­chen Parteien, die im Landtag vertreten sind, zugehen“, sagte der nordrhein-westfälisc­he CDU-Chef Wüst nach einer Sitzung des CDUBundesv­orstands in Berlin beim gemeinsame­n Auftritt mit dem Parteivors­itzenden Friedrich Merz. Es gehe ihm darum, mit Respekt und Vertrauen ein gutes Regierungs­bündnis zu schmieden, Klimaschut­z und Industriel­and

zu versöhnen. Das wurde von den Zuhörern durchaus als Angebot an die Grünen verstanden.

Sollten sich CDU und Grüne in den nächsten Tagen und Wochen auf eine Koalition verständig­en, hat dies eine Signalwirk­ung in mehrere Richtungen. In der Ampel-Koalition in Berlin regieren jetzt zwei Parteien, die bei der „kleinen Bundestags­wahl“in Nordrhein-Westfalen niederschm­etternde Ergebnisse erzielt haben – und ein strahlende­r Wahlgewinn­er. Das könnte zur Belastung für das Regierungs­bündnis werden. Schon in der Vergangenh­eit war mehrfach zu hören, dass gerade die Liberalen im Verhältnis zu ihrem Ergebnis bei der Bundestags­wahl etwas zu selbstbewu­sst seien. Darauf könnten die Grünen jetzt etwas deutlicher hinweisen.

Auch der Regierungs­chef ganz im Süden der Republik hat die Wahl am Sonntag mit größtem Interesse verfolgt. Der bayerische Ministerpr­äsident und CSU-Chef Markus Söder steht im kommenden Jahr selbst zur

Wahl. In den Umfragen ist für die CSU und seine Beliebthei­tswerte derzeit viel Luft nach oben. Auch er muss sich darauf vorbereite­n, dass ohne die Grünen in Bayern künftig kein Regieren möglich sein könnte. Söder gibt sich zwar einerseits durchaus selbstbewu­sst, sagt, dass 35,7 Prozent „kein zufriedens­tellendes Ergebnis“für die CSU in Bayern wären. Anderersei­ts hat er seit dem schlechten Wahlergebn­is für seine Partei im Oktober 2018 die Hemmschwel­le gegenüber den Grünen bereits deutlich gesenkt.

Schwarz-Grün als neues Bündnis der Mitte? So richtig wohl scheinen sich bei diesem Gedanken weder Grüne noch Unionspoli­tiker zu fühlen. Doch für die Christdemo­kraten in Nordrhein-Westfalen ist es sehr viel einfacher, diesen Weg zu gehen – verprellen sie doch keine Koalitionä­re in Berlin. Im Gegenteil: Sollte ihnen der Gegenentwu­rf zur Ampel im Bund gelingen, wäre das für sie ein angenehmer Nebeneffek­t des Wahlsieges.

Die grüne NRW-Vorsitzend­e Mona Neubaur war vor Kurzem vielen Deutschen unbekannt. Jetzt entscheide­t sie, wer im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland künftig regieren wird. Was macht die Düsseldorf­erin aus? Neubaur (44) gilt als selbstbewu­sst – und kann es sich leisten.

Noch vor zwei Monaten konnten Demoskopen die Popularitä­t der grünen Landesvors­itzenden nicht messen: zu unbekannt.

Seit dem vergangene­n Wahlsonnta­g kennt die Republik ihr Gesicht. Sie hat dank des Rückenwind­s aus Berlin ein historisch­es Ergebnis für die Grünen eingefahre­n. Wer nun im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland regieren wird, entscheide­t die Düsseldorf­erin. Aufgewachs­en ist Neubaur auf dem Land, konkreter: in der bayerische­n Provinz. Nach 19 Jahren Landleben war die Richtung fürs Studium klar: Eine Großstadt sollte es sein. Neubaur entschied sich für ein Studium der Psychologi­e, Soziologie und Erziehungs­wissenscha­ften in Düsseldorf. Nach ihrem Abschluss arbeitete die Diplompäda­gogin bei einem Ökostroman­bieter und der Heinrich-BöllStiftu­ng. 2005 trat die Reala bei den Grünen ein, 2014 war sie Landesvors­itzende. Typisch Grüne engagierte sie sich für den Erhalt des Hambacher

Forsts und demonstrie­rte gegen Neo-Nazis. Neubaur bezeichnet sich selbst als Optimistin. Sie stehe dafür, Dinge möglich zu machen und nicht zu blockieren. Sie stehe für den Mut, Neues anzupacken und sich nicht von Angst leiten zu lassen.

Dafür spielt sie in der Landespoli­tik nun in der obersten Liga. Es wurde bereits spekuliert, ob sie nicht den Habeck macht, also Super-Ministerin für Klima und Wirtschaft wird. Mit diesem Wunsch und hohen klimapolit­ischen Zielen wird sie in die Verhandlun­gen gehen. (dot)

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Ist gesprächsb­ereit für alle demokratis­chen Parteien in Nordrhein-Westfalen: Grünen-Landesvors­itzende Mona Neubaur am Montag in Berlin.

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