„Für die Koalition im Bund werden die Zeiten unruhiger“
Die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach zum Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen
- Das Ergebnis der Wahl in Nordrhein-Westfalen könnte Auswirkungen auf die Ampel-Koalition in Berlin haben. Warum, erklärt die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach im Interview.
Frau Reuschenbach, was lesen Sie aus dem Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen. Ist Schwarz-Grün das Bündnis der Zukunft?
Den Grünen ist es gelungen, in allen Wählergruppen zu mobilisieren. Sie konnten aus allen Lagern Stimmen dazugewinnen. Das ist ein Trend, der sich schon bei den vergangenen Landtagswahlen gezeigt hat. Die Grünen sind in hohen Maßen anschlussfähig, sie sind auch koalitionsflexibel. Aber genau deshalb würde ich nicht sagen, dass zwingend nur SchwarzGrün die Zukunft ist. Für die CDU sieht es anders aus. Wenn sie ein Regierungsbündnis fernab der GroKo schmieden will, ist sie momentan auf grüne Unterstützung angewiesen.
Wenn wir auf die Wähler in NRW blicken: Bekämen sie mit einer schwarz-grünen Koalition das, was sie sich gewünscht haben?
Nein, nicht unbedingt. Umfragen vor der Wahl haben ergeben, dass dieses Modell aus Sicht der Wählerinnen und Wähler gar nicht so beliebt ist. Ein Bündnis von SPD und Grünen wurde deutlich favorisiert. Jetzt, nach der Wahl, liegt ein schwarzgrünes Bündnis mit 34 Prozent Zustimmung vor einer möglichen Ampel mit 26 Prozent. Das Ergebnis in Nordrhein-Westfalen zeigt, dass neue Machtoptionen entstehen, bei denen die SPD nicht mehr gebraucht wird. Die Grünen sind inzwischen in die politische Mitte hinein anschlussfähig. Zudem strahlen sie auch in der Krise wegen des Ukraine-Krieges eine Geschlossenheit aus, die von Wählern geschätzt wird. In dem Punkt Außenwirkung sind sie der SPD deutlich voraus.
Grüne in Baden-Württemberg haben sich als wertkonservativ bezeichnet. Ist das ein Bindeglied für funktionierende Koalitionen mit der CDU?
Die grünen Landesverbände sind sehr unterschiedlich aufgestellt, deshalb bin ich nicht sicher, ob das bundesweit trägt. Nicht alle innerhalb der Grünen teilen den Kurs von Winfried Kretschmann und der badenwürttembergischen Grünen. Die CDU in Baden-Württemberg konnte als Juniorpartner in der gemeinsamen Regierung mit den Grünen nicht profitieren. Deshalb sollten die Christdemokraten unter ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz darüber nachdenken, den Begriff konservativ für sich neu zu definieren. Sonst könnte es passieren, dass die Grünen mit einem modernen Konservatismus perspektivisch mehr Erfolge haben als die CDU.
Welche Schlüsse werden die Ampel-Parteien aus dem Wahlergebnis in NRW ziehen?
Das sozialdemokratische Jahrzehnt, das die Parteispitze prägen wollte, hat herbe Rückschläge erlitten. Man muss ein Fragezeichen dahinter setzen. Für die Koalition im Bund werden die Zeiten mit diesem Wahlergebnis auf jeden Fall unruhiger. Das Selbstbewusstsein der Grünen ist massiv gestärkt worden, das wird sich auf ihre Position in der Ampel auswirken. Auf der anderen Seite ist die FDP in ganz schwierigem Terrain unterwegs. Sie wird vermutlich versuchen, sich verstärkt zu profilieren, was die Arbeit im Bund beeinflussen, wenn nicht beeinträchtigen könnte. Mit Blick auf die Koalitionen in den Bundesländern zeigt sich: SchwarzGelb ist offensichtlich ein Entwurf, der bei Wählerinnen und Wählern gegenwärtig nicht mehr verfängt.
Wäre eine schwarz-grüne Koalition in NRW eine Belastung für die Ampel in Berlin?
Die SPD hatte natürlich auf ein Ampel-Duett in NRW und im Bund gehofft, um dieses Modell noch fester zu etablieren. Das hat jetzt nicht funktioniert. Sollten die Grünen in NRW ein schwarz-grünes Bündnis eingehen, ist das natürlich ein Gegenentwurf zu dem, was man im Bund gemeinsam verkörpert. Diese Konstellation im bevölkerungsreichsten Bundesland der Republik können die Koalitionäre in Berlin nicht ohne weiteres ausblenden.
Wie hoch schätzen Sie die Chancen Hendrik Wüsts ein, die Grünen für ein solches Bündnis zu gewinnen? Die Chancen sind sehr hoch. Schon im Wahlkampf gab es auf den letzten Metern eine Annäherung zwischen den Grünen und der CDU. Zudem ist der Abstand zur SPD jetzt doch so deutlich ausgefallen, dass Hendrik Wüst alles daran setzen wird, dieses Bündnis zu schmieden. Aber ihm muss klar sein: Die Grünen werden wichtige Schlüsselressorts beanspruchen sowie Kompromisse und Zugeständnisse erwarten. Denn zumindest auf dem Papier gäbe es für die Grünen mit der Ampel eine Alternative.
Ist Hendrik Wüst mit dieser Wahl zum Konkurrenten für Friedrich Merz geworden, wenn es in drei Jahren um die Kanzlerkandidatur in der Union geht?
Man muss ihn jetzt wirklich auf der Rechnung haben als junges, neues Gesicht – im Gegensatz zu Friedrich Merz. Ihm ist es gelungen, nach nur wenigen Monaten als Ministerpräsident die Wählerinnen und Wähler zu überzeugen. Sein unerwartet deutlicher Sieg wird eine gewisse Strahlkraft entfalten. Aber erst einmal kann sich auch Merz gestärkt fühlen nach zwei erfolgreichen Landtagswahlen. Die CDU hat jetzt wirklich etwas auf dem Konto.