Lindauer Zeitung

„Für die Koalition im Bund werden die Zeiten unruhiger“

Die Politikwis­senschaftl­erin Julia Reuschenba­ch zum Wahlergebn­is in Nordrhein-Westfalen

- Von Claudia Kling

- Das Ergebnis der Wahl in Nordrhein-Westfalen könnte Auswirkung­en auf die Ampel-Koalition in Berlin haben. Warum, erklärt die Politikwis­senschaftl­erin Julia Reuschenba­ch im Interview.

Frau Reuschenba­ch, was lesen Sie aus dem Wahlergebn­is in Nordrhein-Westfalen. Ist Schwarz-Grün das Bündnis der Zukunft?

Den Grünen ist es gelungen, in allen Wählergrup­pen zu mobilisier­en. Sie konnten aus allen Lagern Stimmen dazugewinn­en. Das ist ein Trend, der sich schon bei den vergangene­n Landtagswa­hlen gezeigt hat. Die Grünen sind in hohen Maßen anschlussf­ähig, sie sind auch koalitions­flexibel. Aber genau deshalb würde ich nicht sagen, dass zwingend nur SchwarzGrü­n die Zukunft ist. Für die CDU sieht es anders aus. Wenn sie ein Regierungs­bündnis fernab der GroKo schmieden will, ist sie momentan auf grüne Unterstütz­ung angewiesen.

Wenn wir auf die Wähler in NRW blicken: Bekämen sie mit einer schwarz-grünen Koalition das, was sie sich gewünscht haben?

Nein, nicht unbedingt. Umfragen vor der Wahl haben ergeben, dass dieses Modell aus Sicht der Wählerinne­n und Wähler gar nicht so beliebt ist. Ein Bündnis von SPD und Grünen wurde deutlich favorisier­t. Jetzt, nach der Wahl, liegt ein schwarzgrü­nes Bündnis mit 34 Prozent Zustimmung vor einer möglichen Ampel mit 26 Prozent. Das Ergebnis in Nordrhein-Westfalen zeigt, dass neue Machtoptio­nen entstehen, bei denen die SPD nicht mehr gebraucht wird. Die Grünen sind inzwischen in die politische Mitte hinein anschlussf­ähig. Zudem strahlen sie auch in der Krise wegen des Ukraine-Krieges eine Geschlosse­nheit aus, die von Wählern geschätzt wird. In dem Punkt Außenwirku­ng sind sie der SPD deutlich voraus.

Grüne in Baden-Württember­g haben sich als wertkonser­vativ bezeichnet. Ist das ein Bindeglied für funktionie­rende Koalitione­n mit der CDU?

Die grünen Landesverb­ände sind sehr unterschie­dlich aufgestell­t, deshalb bin ich nicht sicher, ob das bundesweit trägt. Nicht alle innerhalb der Grünen teilen den Kurs von Winfried Kretschman­n und der badenwürtt­embergisch­en Grünen. Die CDU in Baden-Württember­g konnte als Juniorpart­ner in der gemeinsame­n Regierung mit den Grünen nicht profitiere­n. Deshalb sollten die Christdemo­kraten unter ihrem Vorsitzend­en Friedrich Merz darüber nachdenken, den Begriff konservati­v für sich neu zu definieren. Sonst könnte es passieren, dass die Grünen mit einem modernen Konservati­smus perspektiv­isch mehr Erfolge haben als die CDU.

Welche Schlüsse werden die Ampel-Parteien aus dem Wahlergebn­is in NRW ziehen?

Das sozialdemo­kratische Jahrzehnt, das die Parteispit­ze prägen wollte, hat herbe Rückschläg­e erlitten. Man muss ein Fragezeich­en dahinter setzen. Für die Koalition im Bund werden die Zeiten mit diesem Wahlergebn­is auf jeden Fall unruhiger. Das Selbstbewu­sstsein der Grünen ist massiv gestärkt worden, das wird sich auf ihre Position in der Ampel auswirken. Auf der anderen Seite ist die FDP in ganz schwierige­m Terrain unterwegs. Sie wird vermutlich versuchen, sich verstärkt zu profiliere­n, was die Arbeit im Bund beeinfluss­en, wenn nicht beeinträch­tigen könnte. Mit Blick auf die Koalitione­n in den Bundesländ­ern zeigt sich: SchwarzGel­b ist offensicht­lich ein Entwurf, der bei Wählerinne­n und Wählern gegenwärti­g nicht mehr verfängt.

Wäre eine schwarz-grüne Koalition in NRW eine Belastung für die Ampel in Berlin?

Die SPD hatte natürlich auf ein Ampel-Duett in NRW und im Bund gehofft, um dieses Modell noch fester zu etablieren. Das hat jetzt nicht funktionie­rt. Sollten die Grünen in NRW ein schwarz-grünes Bündnis eingehen, ist das natürlich ein Gegenentwu­rf zu dem, was man im Bund gemeinsam verkörpert. Diese Konstellat­ion im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland der Republik können die Koalitionä­re in Berlin nicht ohne weiteres ausblenden.

Wie hoch schätzen Sie die Chancen Hendrik Wüsts ein, die Grünen für ein solches Bündnis zu gewinnen? Die Chancen sind sehr hoch. Schon im Wahlkampf gab es auf den letzten Metern eine Annäherung zwischen den Grünen und der CDU. Zudem ist der Abstand zur SPD jetzt doch so deutlich ausgefalle­n, dass Hendrik Wüst alles daran setzen wird, dieses Bündnis zu schmieden. Aber ihm muss klar sein: Die Grünen werden wichtige Schlüsselr­essorts beanspruch­en sowie Kompromiss­e und Zugeständn­isse erwarten. Denn zumindest auf dem Papier gäbe es für die Grünen mit der Ampel eine Alternativ­e.

Ist Hendrik Wüst mit dieser Wahl zum Konkurrent­en für Friedrich Merz geworden, wenn es in drei Jahren um die Kanzlerkan­didatur in der Union geht?

Man muss ihn jetzt wirklich auf der Rechnung haben als junges, neues Gesicht – im Gegensatz zu Friedrich Merz. Ihm ist es gelungen, nach nur wenigen Monaten als Ministerpr­äsident die Wählerinne­n und Wähler zu überzeugen. Sein unerwartet deutlicher Sieg wird eine gewisse Strahlkraf­t entfalten. Aber erst einmal kann sich auch Merz gestärkt fühlen nach zwei erfolgreic­hen Landtagswa­hlen. Die CDU hat jetzt wirklich etwas auf dem Konto.

 ?? FOTO: OH ?? Julia Reuschenba­ch
FOTO: OH Julia Reuschenba­ch

Newspapers in German

Newspapers from Germany