Lindauer Zeitung

„Europa muss deutlich eigenständ­iger werden“

Roland-Berger-Chef Schaible über Abhängigke­iten, Globalisie­rung und die Chancen der deutschen Wirtschaft

- Von Björn Hartmann

- Jahrzehnte hat die Exportnati­on Deutschlan­d sehr gut vom Welthandel gelebt. Doch gerade ändert sich viel für das deutsche Geschäftsm­odell. Die Pandemie und der Angriff Russlands auf die Ukraine legen Abhängigke­iten offen – von China, von Russland. Und für Stephan Schaible, Sprecher des Vorstands der deutschen Beratungsf­irma Roland Berger, auch von den USA. Er erwartet nachhaltig­en Wandel in der Weltwirtsc­haft, dass Politik und Wirtschaft künftig enger zusammenar­beiten und dass die EU endlich souveräner auftritt.

Seit Wochen stauen sich vor Shanghai, dem größten Hafen der Welt, die Schiffe. China hat die Stadt wegen eines Corona Ausbruchs in Quarantäne geschickt – und weltweit fehlen Teile, weil Waren nicht ausgeführt oder umgeladen werden können. Belastend für die Weltwirtsc­haft kommt der Krieg in der Ukraine hinzu, einschließ­lich umfangreic­her Sanktionen. Vor allem Deutschlan­d erfährt, wie abhängig es sich von einzelnen Staaten gemacht hat.

„Ein Stück weit wird die Globalisie­rung gerade zurückgedr­eht“, sagt Schaible. „Etwa weil die Lieferkett­en für viele Waren und Vorprodukt­e gestört sind. Firmen suchen zusätzlich­e Lieferante­n, um ihre Abhängigke­it zu verringern.“Mit Folgen auch für die Verbrauche­r. „Das Umgestalte­n der Lieferkett­en bedeutet strukturel­l mehr Kosten, was die Preise der Produkte erhöht. Und das treibt wiederum die Inflation.“Und die ist in Deutschlan­d und Europa mit zuletzt 7,4 und 7,5 Prozent ohnehin hoch.

Gleichzeit­ig muss sich das Selbstvers­tändnis der Wirtschaft ändern. „Wir erleben das Ende einer Phase, in der die Wirtschaft sich nicht für Politik interessie­rt hat, weil der Welthandel funktionie­rte und wuchs“, sagt Schaible und meint auch die deutschen Unternehme­n. „Künftig werden Wirtschaft und Politik mehr zusammenar­beiten müssen.“Eine Folge davon aus seiner Sicht: „Es könnte eine Renaissanc­e geben für gut gemachte Handelsabk­ommen.“Der Roland-Berger-Chef nannte kein Beispiel. Ceta, das Abkommen zwischen der EU und Kanada, haben noch nicht alle EU-Staaten unterzeich­net. Die Gespräche zu TTIP, dem umstritten­en Abkommen mit den USA, ruhen seit 2016.

Dafür muss die EU über ihre Rolle nachdenken. „In der Krise, wie jetzt, steht die EU immer gut zusammen. Aber das wird in Zukunft nicht reichen“, sagt Schaible. Die EU müsse schneller werden. „Deshalb brauchen wir eine Reform der Staatengem­einschaft. So sollte die Einstimmig­keit

bei Beschlüsse­n in wichtigen Bereichen fallen. In der Regel blockiert der Langsamste. Das bremst die EU. Das müssen wir ändern.“So verzögert Ungarn gerade das Ölembargo gegen Russland.

Auch sonst fordert der Chef von Roland Berger ein stärkeres Europa. „Europa muss deutlich eigenständ­iger werden, angetriebe­n von einem starken Frankreich und Deutschlan­d, und sich souveräner aufstellen, auch in Bezug auf unsere Freunde in den USA.“Ein wichtiger Hebel ist für ihn dabei die Gemeinscha­ftswährung. „Die Euro-Zone sollte den Euro offensiver

Stefan Schaible (54, Foto: Imago) lenkt als Sprecher des dreiköpfig­en Vorstands die Geschicke von Roland Berger seit April 2020, vorher war er bereits stellvertr­etender CEO der Strategieb­eratung. Er hat Chemie und Jura studiert und gilt als Spezialist für die öffentlich­e Hand. Schaible wuchs in Nagold, südwestlic­h als Leitwährun­g propagiere­n, zum Beispiel den Rohstoffha­ndel in Europa und mit Europa künftig in Euro abwickeln, nicht mehr in Dollar.“Bisher werden Rohstoffe wie Öl und Gas, Gold und Kupfer in der US-Währung gehandelt, ein Grund, warum sie weltweit so wichtig ist.

Vor allem außenpolit­isch sieht der Chef von Roland Berger die EU stärker gefordert. „Die EU braucht eine gemeinsame aktive Außenpolit­ik. Wir haben zulange alles den Amerikaner­n überlassen und unsere Verantwort­ung nicht ausreichen­d wahrgenomm­en. Das sind weiter unsere von Stuttgart, auf. Er ist verheirate­t und hat zwei Kinder. Das Unternehme­n, 1967 von Roland Berger gegründet, berät mit 50 Büros in 35 Ländern und rund 2400 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn Firmen und Verwaltung­en weltweit. 2020 setzte es 588 Millionen Euro um, konkrete Zahlen für 2021 liegen noch nicht vor. Es war aber von deutlich zweistelli­gem Wachstum und einem Rekordumsa­tz die Rede. Sitz von Roland Berger ist München. (art) Partner, aber Europa sollte seinem Gewicht entspreche­nd auftreten.“

Und auch Deutschlan­d sollte außenpolit­isch stärker auftreten. „Wir waren zurecht jahrzehnte­lang zurückhalt­end, doch jetzt ist die Lage grundsätzl­ich anders. Wichtig ist eine entschloss­ene, aber auch kluge Form. Und vor allem: besonnenes Vorgehen.“

Für die Zukunft sieht Schaible große Chancen: „Der Druck, beim Klimawande­l gegenzuste­uern, kann wie ein Booster auf die deutsche Wirtschaft wirken.“Dafür muss aber einiges getan werden. Denn: „In den vergangene­n zehn Jahren ist es uns sehr gut gegangen. Die Zeit ist vorbei. Jetzt sind wir verdammt zu Innovation.“In großem Umfang und bei Umweltthem­en. „Die Welt schaut auf Europa, auf Deutschlan­d“, behauptet Schaible. „Wir haben eine enorme Glaubwürdi­gkeit. Dieses Momentum müssen wir nutzen.“

Ihm geht und ging es nicht schnell genug. „Wir haben die vergangene­n Jahre beim Thema erneuerbar­e Energien geschlafen. Da muss es jetzt eine Explosion geben.“Die Ampelkoali­tion sei auf dem richtigen Weg, regulatori­sch seien bereits viele Weichen gestellt, jetzt gehe es um die breite Umsetzung in fast allen

Bereichen. Und auch für die Firmen ist Schaible zuversicht­lich. „Die deutschen Unternehme­n beschäftig­en sich intensiv mit ihrem Energiever­brauch, arbeiten an nachhaltig­eren Materialie­n, Recycling, neuen Technologi­en. Es sind nur wenige Unternehme­n, die das noch nicht verstanden haben.“

Abhängig ist alles davon, wie sich die Lage in der Ukraine und in China verändert, dass gerade in seiner Null-Covid-Strategie gefangen scheint und die eigene Wirtschaft gefährdet: Für die nahe Zukunft sieht Schaible drei Szenarien: „Das positivste ist, dass der durch die russische Aggression verursacht­e Krieg in der Ukraine schnell endet, weil Russlands Präsident Putin einlenkt oder jemand seinen Posten übernimmt. Und Chinas Wirtschaft entwickelt sich günstig – trotz CoronaPand­emie.“

Im zweiten Szenario zieht sich der Krieg in der Ukraine lange hin. Der Roland-Berger-Chef findet: „Herausford­ernd für die deutsche Wirtschaft, aber noch nicht dramatisch, vor allem wenn China sich fängt.“Szenario drei ist aus seiner Sicht am kritischst­en: „Zieht sich der Ukraine-Krieg hin und geht es mit der chinesisch­en Wirtschaft abwärts, rutschen wir sicher in eine Rezession.“

 ?? FOTO: IMAGO ?? Containert­erminal am Tiefseehaf­en von Shanghai: „Das Umgestalte­n der Lieferkett­en bedeutet strukturel­l mehr Kosten, was die Preise der Produkte erhöht. Und das treibt wiederum die Inflation“, sagt Roland-Berger-Chef Stefan Schaible.
FOTO: IMAGO Containert­erminal am Tiefseehaf­en von Shanghai: „Das Umgestalte­n der Lieferkett­en bedeutet strukturel­l mehr Kosten, was die Preise der Produkte erhöht. Und das treibt wiederum die Inflation“, sagt Roland-Berger-Chef Stefan Schaible.
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