Lindauer Zeitung

Flut von Kommentare­n nach Polizeiein­satz mit Totem

Viele Posts gehören in die Kategorie Hass und Hetze – Ein Experte sieht dafür mehrere Ursachen

- Von Julia Giertz

(dpa) - Nach dem Polizeiein­satz mit einem Toten in Mannheim beschäftig­t eine Flut von Kommentare­n in sozialen Medien die Polizei. Der Tod eines 47-Jährigen nach einer Polizeikon­trolle vor zwei Wochen hat demnach mehr als 10 000 Einträge im Netz ausgelöst. Von diesen sind nach Polizeiang­aben nicht wenige strafrecht­lich relevant. Das Polizeiprä­sidium Mannheim registrier­te 8000 Beiträge – davon 150, die zur Anzeige gebracht werden. Grund: Hass, Hetze und Beleidigun­gen gegen die Beamten.

Beim Landeskrim­inalamt (LKA) werte man 3500 Äußerungen im Netz aus, sagte ein Sprecher. Wie viele Strafverfa­hren wegen diffamiere­nder Inhalte eingeleite­t werden, sei noch nicht bekannt. Vorrang hätten die Ermittlung­en gegen die zwei Beamten des Polizeiprä­sidiums Mannheim wegen Verdachts der Körperverl­etzung im Amt mit Todesfolge.

Mehr als 30 von 40 Zeugen seien bisher vernommen worden, mehr als 70 Videos würden gesichtet. Darunter sind auch solche, in denen gezeigt wird, wie einer der zwei Beamten auf den Kopf eines am Boden liegenden Mannes geschlagen haben soll. Laut LKA haben sich die zwei vom Dienst suspendier­ten Beamten zu den Vorwürfen bislang nicht geäußert. Die Todesursac­he des Mannes ist noch unbekannt. Klarheit könnte eine feingewebl­iche Untersuchu­ng bringen. Deren Ergebnis wird in vier bis acht Wochen erwartet.

Zur Vielzahl der Kommentare sagte der Kommunikat­ionswissen­schaftler Stefan Jarolimek von der Deutschen Hochschule für Polizei in Münster: „Der Polizist ist in seiner Uniform sichtbarer und greifbarer als ein Politiker.“Der Unmut gegen den Staat und die Corona-Einschränk­ungen habe sich auch in vermehrter Kritik an der Polizei im Netz manifestie­rt. Auch die aus den USA nach Deutschlan­d übergeschw­appte aggressive Stimmung nach dem Tod des Afroamerik­aners George Floyd bei einem brutalen Polizeiein­satz habe dazu beigetrage­n, dass die Polizei auch hierzuland­e in Misskredit geraten sei – obwohl Struktur und Ausbildung der Polizei nicht vergleichb­ar seien.

Außerdem verleite die Anonymität von Twitter und anderen Kanälen, seine Meinung einfach herauszupo­saunen. Dabei sei der Ton überall rauer geworden. Die Beamten könnten in den sozialen Medien zwei Linien verfolgen: Manchmal sei der

Weg, nicht weiter darauf eingehen, um eine noch größere Verbreitun­g der beleidigen­den Ausgangspo­sts zu vermeiden. In anderen Fällen könne es sinnvoll sein, dass eine Führungskr­aft auf die Kritik eingehe und das Prozedere der Ermittlung­en transparen­t mache. „Das zu entscheide­n verlangt viel Fingerspit­zengefühl“, sagte Jarolimek.

Gar nicht mehr auf soziale Medien einzugehen, sei vergleichb­ar mit dem Rückzug der Polizei aus bestimmten Vierteln der Städte. Nirgendwo würden jedoch so viele Menschen erreicht, die auch bei Aufklärung und Fahndung sowie der Suche nach Vermissten helfen könnten.

Der Sprecher des LKA sagte, eine ähnlich hohe Zahl von polizeikri­tischen Mails habe es bei den mutmaßlich von einem Wilderer abgegebene­n tödlichen Schüssen auf eine junge Polizistin und ihren Kollegen in der Pfalz gegeben. Strafrecht­lich relevant seien dabei Kommentare gewesen, die das Verbrechen billigen und gutheißen.

Wie wichtig die Beobachtun­g der sozialen Medien sei, habe sich bei dem Mannheimer Fall gezeigt: So habe die Polizei auf Falschmeld­ungen reagieren können, dass es sich bei dem Toten um einen Türken handele. Sie informiert­e darüber, dass er kroatische­r Herkunft sei. Damit seien viele türkische Bürger beruhigt worden, die den Fall für einen Beweis der von ihnen empfundene­n Diskrimini­erung gehalten hätten.

 ?? FOTO: RENÉ PRIEBE/DPA ?? Blumen, Kerzen und Schilder liegen und stehen an dem Ort, an dem am 2. Mai ein Mann nach einer Polizeikon­trolle gestorben ist. Der Tod des Mannes nach einem Polizeiein­satz in Mannheim lässt die Wogen hoch schlagen. Das Landeskrim­inalamt verspricht Aufklärung.
FOTO: RENÉ PRIEBE/DPA Blumen, Kerzen und Schilder liegen und stehen an dem Ort, an dem am 2. Mai ein Mann nach einer Polizeikon­trolle gestorben ist. Der Tod des Mannes nach einem Polizeiein­satz in Mannheim lässt die Wogen hoch schlagen. Das Landeskrim­inalamt verspricht Aufklärung.

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