Wie ukrainische Kinder in Lindau Deutsch lernen
In Hoyren gibt es seit wenigen Wochen eine Willkommensklasse – Lehrerin kommt auch aus der Ukraine
- Die Lindauer Grundschule Hoyren hat vor ein paar Wochen Zuwachs bekommen: Elf ukrainische Kinder gehen dort in eine Willkommensklasse. Willkommen heißen sie vor allem auch die anderen Schülerinnen und Schüler, die schon ganz genau wissen, wieso das wichtig ist.
Lotta, Frieda, Amina, Viktoria, Aria sitzen mit den anderen der zweiten Klasse aus der Grundschule Lindau-Hoyren im Stuhlkreis und sprechen über den Krieg in der Ukraine. „Für mich ist das schon traurig, weil ich hasse Krieg. Da sterben viele Leute“, sagt einer der Buben. Und ein Mädchen ergänzt: „Wir in Deutschland brauchen keine Angst haben, uns geht es gut.“Die achtjährige Amina erzählt, dass sie Großeltern in Russland hat und selbst dort gelebt hat. Auch die Ukraine hat sie mit ihren Eltern schon besucht. „Ich finde es sehr blöd, dass dort Krieg ist“, sagt sie. „Manchmal weine ich auch.“Und Lotta fragt: „Was will Putin denn mit einem zerstörten Land?“Eine Antwort kann ihr darauf keiner geben. „Wir sind froh, dass die Kinder zu uns kommen und wir ihnen helfen können“, sagt Frieda. Die anderen Kinder nicken.
Seit ungefähr vier Wochen hat die Grundschule in Hoyren eine Willkommensklasse. Elf Kinder werden dort jeden Tag von drei Frauen aus der Ukraine in Ukrainisch, Deutsch, Englisch und Mathe unterrichtet. Für Sport, Musik oder Kunst sind die Kinder auf die anderen Klassen aufgeteilt. Manche aus Hoyren haben sogar Patenschaften für sie übernommen. Sie verbringen dann die Pausen mit ihnen, führen sie herum. Einige von ihnen haben ukrainische Wörter zu Hause ausgedruckt und auf Kärtchen geschrieben, damit sie sich verständigen können, erzählt Schulleiterin Isabel Gößwein.
Damit das nicht mehr so lange nötig ist, lernen die Kinder aus der Ukraine Deutsch. Erste Sätze hat ihnen ihre Lehrerin Maryna Mikalkova schon beigebracht. Sie ist dienstags und donnerstags in der Schule und wechselt sich ab mit ihrer Tochter Ksenija, die die Kinder montags, mittwochs und freitags unterrichtet und selbst auch Deutsch spricht.
Fragt Maryna Mikalkova ihre Schülerinnen und Schüler, was sie schon sagen können, schnellen ihre Finger in die Luft. „Ich kann springen“– „Ich kann schreiben“– „Ich mag boxen“, antworten Lera, Aryna und Jehor der Reihe nach.
Für den Unterricht gebe es schon viele Ordner, Hefte und Aufgaben dank der Materialien von Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Zum Teil stehe auch schon Unterrichtsmaterial auf Deutsch und Ukrainisch online zur Verfügung, sagt Schulleiterin Isabel Gößwein.
Die Willkommensklasse in Hoyren ist deshalb zustande gekommen, weil so viele ukrainische Kinder im Einzugsgebiet der Grundschule wohnen. Insgesamt gemeldet sind im Landkreis rund 180 Kinder aus der Ukraine zwischen sechs und 14 Jahren, wie das Landratsamt miterzählt.
Die ukrainischen Kinder gehen gerne in die Lindauer Grundschule. Sie sind sehr froh und fühlen sich wohl, sagen sie auf Ukrainisch. Ihre Lehrerin übersetzt. Dass sie sich schnell eingelebt haben, merkt man auch daran, dass sie schon die alltäglichen Schüler-Sorgen haben. Denn für Jehor sind die Hausaufgaben zu viel. Und die Schule würde viel zu früh beginnen, findet er. In seiner Heimat musste er immer erst um neun Uhr zum Unterricht.
Manche der Kinder sind schon seit zwei Monaten in Lindau, andere erst seit wenigen Tagen. „Die Kinder in der Willkommensklasse wechseln immer wieder durch – manche verlassen Lindau wieder, andere kommen neu dazu“, sagt Rektorin Isabel Gößwein.
Das Gute an der Willkommensklasse, findet die Schulleiterin: Die Schülerinnen und Schüler können teilt. In die Grundschule Aeschach gehen davon erst wenige, berichtet die stellvertretende Schulleiterin Jana Painsi. Sie werden dort auf die schon bestehenden Klassen aufgeteilt. Die Grundschule ReutinZech besuchen acht Kinder aus der Ukraine, wie Schulleiterin Ute Müller
sich mit ihren Lehrerinnen austauschen. Auch darüber, was ihnen zugestoßen ist auf der Flucht und in ihrem Land. Dass Krieg nicht sein muss, könnten die Kinder daran sehen, dass sie jetzt in einer Region wohnen, in der Menschen aus drei Ländern friedlich nebeneinander leben.
Isabel Gößwein ist dankbar für die Willkommensklasse. „Die Kinder brauchen wieder einen Alltag und auch für die Eltern ist es gut, wenn ihre Kinder betreut werden“, sagt die Rektorin. Denn nur so könnten Mütter und Väter arbeiten gehen und ein Leben beginnen. Schon bei der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 gingen viele Kinder auf ihre Schule – die Erfahrungen von damals helfen jetzt.
Lehrerin Maryna Mikalkova an der Grundschule in Hoyren hat sich für ihren Unterricht ein Konzept überlegt. Denn manche der Kinder Sie gehen in die regulären Klassen und werden nur zum Deutschlernen aus den Klassen genommen. Das funktioniere gut, sagt die Schulleiterin. „Wir haben ein System, das wir auch schon mit den Kindern aus Syrien angewandt haben.“Immer freitags gibt es dann
besuchten in der Ukraine die erste Klasse, andere schon die dritte oder vierte. Deshalb teilt sie die Kinder, nachdem sie ihnen eine Lerneinheit beigebracht hat, in Gruppen ein. Die Älteren helfen dann den Jüngeren. So klappe es ganz gut. Gerade in Englisch seien die Unterschiede zu spüren, denn manche der Kinder haben die Fremdsprache schon sehr früh gelernt, andere konnten sie bei ihrer Ankunft noch gar nicht, sagt die 43jährige Lehrerin.
Wie lange es die Willkommensklasse geben wird, weiß Schulleiterin Isabel Gößwein noch nicht. Die ukrainischen Lehrerinnen haben einen befristeten Vertrag bis Ende des Schuljahrs. Dann werde man sehen, wie es weitergeht.
Amina und die anderen Grundschüler in Hoyren finden es gut, dass ihre Lehrerinnen immer mal wieder mit ihnen über den Krieg sprechen. nochmal Zeit, in der ein Sozialarbeiter und eine Ukrainerin, die schon länger an der Schule ist, mit den Kindern sprechen. Der Austausch sei wichtig. „Die Kinder sind ganz unterschiedlich angekommen, manche sind sehr fröhlich, andere mehr belastet“, sagt die Schulleiterin.
„Was können wir jetzt tun, damit es den Kindern gut geht?“, fragt Schulleiterin Gößwein ihre Schülerinnen und Schüler gegen Ende der Stunde. Denen fällt dazu so einiges ein: „Wir müssen gutes Deutsch sprechen und keinen Dialekt, damit sie uns verstehen“, sagt ein Mädchen. „Wir müssen lieb und friedlich zueinander sein und dürfen keine Schimpfwörter verwenden“, sagt eine andere. Und Amina fügt hinzu: „Und wir können ihnen Kleidung und Schulsachen von uns spenden und ihnen so helfen.“
Wie ist es für Kinder, dass in einem Land nicht weit weg von uns Krieg herrscht? In einem
Video sprechen Schülerinnen und Schüler der Grundschule Hoyren darüber:
schwaebische.de/schüler-krieg