Lindauer Zeitung

Der Alpsommer beginnt

Mehr als 30 000 Rinder verbringen die Sommermona­te in den Allgäuer Bergen

- Von Tobias Schuhwerk

(sz) - Noch liegt Schnee in den höheren Lagen der Allgäuer Alpen. Dennoch beginnt in diesen Tagen der Alpsommer: In den unteren Lagen treiben Hirten bereits die ersten Tiere auf die Weiden. Nach und nach werden in den kommenden Wochen auch die höher gelegenen Alpen bezogen. Eine stattliche Zahl von Tieren genießt seine „Sommerfris­che“auf den 703 staatlich anerkannte­n Alpen, die außerhalb des Allgäus meist Almen genannt werden: 28 000 Jungrinder, 2500 Kühe, 400 Schafe, 280 Pferde und 200 Ziegen verbringen nach Angaben des Alpwirtsch­aftlichen Vereins im Allgäu (AVA) den Sommer am Berg.

Speziell für die Jungrinder, im Allgäu Schumpen genannt, bringt der Alpaufenth­alt eine Reihe von Vorteilen, wie AVA-Geschäftsf­ührer Michael Honisch erklärt. „Sie kommen gesünder wieder ins Tal. Bewegung, Licht, Bergkräute­r: All das wirkt sich positiv auf ihre Entwicklun­g aus.“Zudem würden die Bauern im Tal entlastet, wenn sie ihre Tiere einem Hirten anvertraue­n – und sparen obendrein Futter. Auch die Natur profitiere von der Alpwirtsch­aft in den Allgäuer Bergen: Alpflächen beherberge­n viele Pflanzen, ziehen Insekten und andere Tiere an. „Sie sind durch eine hohe Biodiversi­tät gekennzeic­hnet“, sagt Honisch. Daran wirken auch die Älpler mit: Da sie ihre Flächen durch das sogenannte Schwenden freihalten, verbuschen diese nicht. „Damit tragen sie maßgeblich zum Erhalt unserer offenen Kulturland­schaft bei“, sagt Honisch.

Diese Arbeit hebt auch das Landwirtsc­haftsminis­terium hervor: „Ohne

die offenen Bergweiden gäbe es in den sonst total bewaldeten Vorbergen kaum Aussichtsm­öglichkeit­en. Bis oben bewaldete Berge ohne Alplichtun­gen werden seltener besucht als solche mit Alpen und freien Gipfelflur­en“, heißt es in der Dokumentat­ion „Alm- und Alpwirtsch­aft in Bayern“. Dass ihre Arbeit eines Tages den Tourismus fördern würde, das hätten sich Älpler in früheren Zeiten wohl kaum vorstellen können. Doch in der Alpwirtsch­aft hat sich vieles geändert. Vor 100 Jahren beispielsw­eise war der Anteil der Milchkühe deutlich höher als heute. Er war genauso groß wie der Anteil der Jungrinder. Auf den meisten Alpen wurde damals die Milch direkt zu Käse verarbeite­t oder teils sogar ins Tal geliefert. Heute gibt es zwar noch gut 40 Sennalpen im Allgäu, die diese Tradition fortsetzen. Doch der überwiegen­de Teil wird als Galtalpen geführt, auf den Jungrinder­n grasen, die noch keine Milch geben.

Auch was das Vieh selbst betrifft, vollzieht sich ein Wandel: Immer häufiger mischt sich auf den Alpen Fleckvieh unter das fürs Allgäu charakteri­stische Braunvieh. Viele Älpler, Allgäuer und Touristen bedauern das. „Aber wir können uns dieser Entwicklun­g nicht verschließ­en“, sagte AVA-Vorsitzend­er Franz Hage bereits vor Monaten. Allgäuer Sennalpkäs­e mit geschützte­r Ursprungsb­ezeichung erfordere jedoch weiterhin, dass die Milch von Braunviehk­ühen oder deren Kreuzungst­ieren stammt.

Sorgen machen den Älplern andere Tiere: Der Wolf, der ihren Herden Schaden zufügen könnte. „Mit einem durchziehe­nden Wolf ist mittlerwei­le jederzeit zu rechnen“, sagt Honisch. Auch die Nachrichte­n von Bärensicht­ungen in Tirol und Garmisch-Partenkirc­hen werden bei Hirten mit Unbehagen aufgenomme­n.

Ziel der Allgäuer Älplerinne­n und Älpler ist traditione­ll, mit einer von einem festlich geschmückt­en Kranzrind angeführte­n Herde bei den Mitte September beginnende­n Viehscheid­en zurück ins Tal zu kommen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass der Alpsommer ohne Verluste oder verletzte Tiere bewältigt wurde. Bleibt noch eine Frage: Wie steht es nach zwei Jahren Corona-Zwangspaus­e um die Viehscheid-Feste im Allgäu? „Wenn selbst die Wiesn wieder stattfinde­n kann, nehme ich an, dass es auch den Viehscheid wieder in mehr oder weniger gewohnter Form geben wird“, sagt Honisch.

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FOTO: LINO MIRGELER/DPA Beim Viehscheid von Bad Hindelang werden 700 Kühe ins Tal getrieben.

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