Lindauer Zeitung

Furor im sommerlich heißen Sevilla

Eintracht Frankfurt fiebert Europa-League-Finale gegen Glasgow Rangers entgegen

- Von Patrick Reichardt und Eric Dobias

(dpa) - Einfachste Hostelzimm­er für mehr als 1000 Euro, verrückte Reiseroute­n mit Zug, Bus und Flug sowie eine erwartete „Völkerwand­erung“: Die Stadt Sevilla rüstet sich vor dem Endspiel der Europa League zwischen Eintracht Frankfurt und den Glasgow Rangers für einen einmaligen Ansturm. Bis zu 50 000 Hessen und über 70 000 Schotten werden in der Final-Metropole in Andalusien erwartet. In Sachen Tradition, Fans und aufgeladen­er Stimmung dürften am Mittwoch bei bis zu 35 Grad schon vor dem Spiel am Abend (21 Uhr/RTL) Dimensione­n erreicht werden, wie sonst nur vor einem WM-Finale.

„Es wird ein Ansturm, den diese Stadt noch nie erlebt hat. Es wird wohl erstmals so sein, dass wir auswärts weniger Fans haben als der Gegner. Das wird gewaltig“, sagte Frankfurts Vorstandss­precher Axel Hellmann mit Blick auf den Showdown im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán, das zum Ärger beider Fangruppen nur etwas mehr als 40 000 Zuschauer fasst. Beide Clubs erhielten lediglich 10 000 Tickets, hätten aber mehr als zehnmal so viel unter ihren nach dem internatio­nalen Titel lechzenden Fans loswerden können. Besonders bitter für die beiden Finalisten ist dies, weil es alleine in Sevilla zwei größere Fußballsta­dien gibt als das des FC Sevilla. Doch die Euphorie in Frankfurt und Glasgow kann das nicht bremsen.

„Wir sind voller Vorfreude, weil es für diesen Wettbewerb ein einzigarti­ges Treffen der lautstärks­ten und sangeskräf­tigsten Fans Europas ist. Das wird ein fast einmaliges und sehr, sehr großes stimmungsv­olles Finale“, sagte Hellmann, dessen Club vom Lauf in Europa ein wenig überrascht wurde. Die Eintracht, die das Bundesliga-Jahr auf einem ernüchtern­den elften Platz beendet hat, befindet sich seit Wochen im Ausnahmezu­stand. Alles dreht sich nur noch um Europa, noch viel krasser als sonst bereits üblich. Christoph Daum – Ex-Trainer der Hessen – erwartet in Sevilla „eine kleine Völkerwand­erung“.

Für Hellmann und den Club wird das Finale auch der vorläufige Höhepunkt einer verrückten Reise: 2016 den Abstieg in der Relegation gegen Nürnberg verhindert, 2018 den Pokal gegen Bayern gewonnen und 2022 das erste europäisch­e Finale seit 42 Jahren. Zu diesem werden Zehntausen­de eigene Fans quer durch Europa reisen – auf skurrilen, teils unkomforta­blen und meist sehr teuren Wegen.

Wer in Sevilla dabei sein will, muss verdammt viel zahlen – und dann auch noch Glück haben, für ein Ticket ausgewählt zu werden. Das gilt für Frankfurte­r wie Schotten gleicherma­ßen. Profi Leon Balogun beschreibt die Leidenscha­ft der Rangers-Fans so: „Es kann absolut unangenehm werden, wenn es nicht so läuft. Trotzdem ist es absolute Liebe und Besessenhe­it. Das macht diese Fans aus. Ich liebe es, diese Wucht.“

Die beiden Fangruppen sind sich freundscha­ftlich verbunden, bei der Eintracht gibt es gar einen Konferenzr­aum mit dem Namen Glasgow Rangers.

Bei den Hessen wurde euphorisch bejubelt, dass der Traditions­club aus Schottland und nicht RB Leipzig den Sprung ins Finale geschafft hat. Auch wenn sich damit der Kampf um Tickets und Hotels noch mal massiv verschärft und verteuert hat. Wer zu spät dran war, musste in Sevilla schon mal 1600 Euro für zwei Nächte in einer ganz gewöhnlich­en Unterbring­ung zahlen. Der Wucher kannte nach den Halbfinals keine Grenzen mehr.

Welch enorme Kraft das Endspiel am Main auslöst, zeigt auch das Public Viewing, das die Eintracht im eigenen Stadion austrägt. Bis zu 100 000 Karten hätte der Bundesligi­st, der schon in Barcelona und bei West Ham riesige Fanmengen auswärts dabei hatte, verkaufen können. Auf dem Schwarzmar­kt wurde mehr als das zehnfache als der übliche Preis von zehn Euro aufgerufen – wohlgemerk­t, um die Partie auf einer Großbildle­inwand zu sehen, rund 2300 Kilometer nordöstlic­h von der eigentlich­en Finalstadt.

Für die Fans ist die Ticketsitu­ation das mit Abstand größte Problem. Unterkünft­e und Anreisemög­lichkeiten lassen sich mit Abstrichen, einem großen Geldbeutel oder Fantasie – ein Fan fährt mit dem Fahrrad von Frankfurt nach Sevilla – organisier­en. Aber die Anzahl der Karten ist eben begrenzt. „Diese Wut muss mir keiner erklären. Ich kenne sie und fühle sie. Ich habe auch aus meinem Freundeskr­eis einige enttäuscht­e Mails bekommen“, sagte Hellmann.

Der Verein hat – in Anbetracht des 3:2 in Barcelona und des 2:1 bei West Ham – eine „Grundentsc­heidung“zur Ticketverg­abe getroffen, wie Hellmann ausführte. Die besonders lautstarke­n und aktiven Fans sollen unbedingt dabei sein, um gegen die Schotten dagegenhal­ten zu können. „Wir sind pragmatisc­h. Wir wollen den Furor von den Rängen auf den Platz bringen“, sagte der Funktionär. Im sommerlich heißen Sevilla wird dieser Furor schon den ganzen Tag zu spüren sein.

 ?? FOTO: ARNE DEDERT/DPA ?? Bis zu 50 000 Fans werden Eintracht Frankfurt zum Europa-League-Endspiel nach Sevilla begleiten – und in Spanien auf geschätzt 70 000 Anhänger der Glasgow Rangers treffen.
FOTO: ARNE DEDERT/DPA Bis zu 50 000 Fans werden Eintracht Frankfurt zum Europa-League-Endspiel nach Sevilla begleiten – und in Spanien auf geschätzt 70 000 Anhänger der Glasgow Rangers treffen.

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