Beim Bikini-Kauf geht die gute Laune baden
Ich bin so froh, dass ich diese Sorgen nicht habe. Als Ente mache ich im Wasser immer eine gute Figur, und mein Federkleid ist ohnehin zeitlos schön. Bei meinen Kolleginnen beginnt die Badesaison alle Jahre wieder mit der Suche nach einem passenden Bikini. So ein Ding zu kaufen, scheint eine ziemlich stressige Sache zu sein. Sind meine Kolleginnen eben noch gut gelaunt losgezogen, kommen sie kurze Zeit später missmutig zurück. Meist ohne Bikini, weil sie plötzlich gemerkt haben, dass sie noch fünf Kilo abnehmen müssen oder erst drei Tuben Selbstbräuner auf ihre weiße Haut schmieren müssen. Dieses Jahr war es Liebe auf den ersten Blick: Meine Kollegin hat ihren Traum-Bikini gefunden – und er passt sogar. Gekauft hat sie ihn aber trotzdem nicht. Sie muss erst nochmal drüber schlafen. Bei ihrem Glück weiß ich jetzt schon: Morgen ist er weg und ihre Laune im Keller. Dann nehme ich aber frei.
- Die Angst um ihre Tochter ist noch immer real. Wenn Elke Bruns von vergangener Woche erzählt, davon, wie sie dachte, ihre Tochter hätte bei einem Autounfall jemanden getötet, dann fängt sie an zu zittern. Dann rollen ihr Tränen über die Wangen. Und das, obwohl sie heute weiß, dass es ihrer Tochter gut geht. Dass es ihr immer gut ging. Weil die junge Frau am Telefon nicht ihre Tochter Lara, sondern eine Betrügerin war. Mehr als 20 000 Euro hätte Elke Bruns dieser Betrügerin fast bezahlt. Im Glauben, damit ihre Tochter zu retten. Jeden Tag aufs Neue fallen Menschen auf Telefonbetrüger herein. Trotz vieler Medienberichte, trotz Prävention. Warum das so ist – und welche psychologischen Prozesse sich die Täter zu nutze machen.
Als am Donnerstag das Telefon klingelt, ist Elke Bruns auf dem Sprung, will gerade das Haus verlassen. Beinahe wäre sie den Betrügern durch die Lappen gegangen. Doch sie geht noch schnell ran. Dabei ist es nicht einmal ihr eigener Festnetzanschluss, sonder der ihres 66-jährigen Mitbewohners. „Er hatte mich gebeten, abzunehmen, weil die Nummer unterdrückt war“, erzählt sie. Trotz des Misstrauens, das in der Hausgemeinschaft gegenüber anonymen Anrufern herrscht, trotz des Wissens, dass es gar nicht ihr eigener Anschluss ist – als sie die schluchzende junge Frau am Telefon hört, hat Elke Bruns keine Zweifel: Das ist Lara, ihre Tochter.
„Für mich war das in dem Moment ganz klar“, erzählt die 60-Jährige. „Die junge Frau hörte sich genauso an wie sie.“Geschluchzt habe die Frau am anderen Ende des Apparats. „Lara, bist Du es?“, hat Elke Bruns gefragt. „Ist die Oma gestorben?“Der Betrügerin reichen diese wenigen Informationen, um daraus eine Geschichte zu stricken. Ja, die Lara sei sie. Und sie habe einen schlimmen Unfall verursacht. Einen Unfall, bei dem ein Mensch gestorben sei.
Während Elke Bruns erzählt, weint sie. Immer wieder bricht ihre Stimme. „Wie geht es meiner Tochter? Hilft ihr jemand?“– Fragen wie diese seien ihr durch den Kopf geschossen. Plötzlich übernimmt eine andere Frau das Telefon, angeblich eine Polizistin. „Ihre Tochter Lara ist bei uns. Ihre Tochter hat schuldhaft jemanden umgebracht“, habe die Frau gesagt. Lara könne auf Kaution freikommen, der Staatsanwalt fordere dafür aber mindestens 20 000 Euro, vielleicht etwas mehr. Elke Bruns hat keine 20 000 Euro. Nur einen Ring im Wert von rund 1000 Euro, erklärt sie der vermeintlichen Polizistin am Telefon. Diese fordert ihre Daten, und, angeblich zum Abgleich, auch die Daten von Lara. Die Mutter fleht die falsche Polizistin an. Will wissen, wie es ihrer Tochter geht, ob sie psychologische Betreuung hat. „Ich habe nur noch funktioniert“, sagt sie.
Als der Mitbewohner fragt, was eigentlich los sei, wird die vermeintliche Polizistin am Telefon ungehalten. Lara habe eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben, behauptet sie. Lara habe nur genau einen Anruf, und mit dem habe sie ihre Mutter angerufen. Niemand anders dürfe davon wissen. Und auch der Mitbewohner dürfe jetzt mit niemandem mehr sprechen.
Elke Bruns schlägt vor, ihren Mitbewohner um das Geld zu bitten und mit ihm gemeinsam zur Bank zu fahren. Die falsche Polizistin verlangt die Handynummern der beiden. Auf dem Weg zu Bank bleibt die Betrügerin am Handy. „Meine Tochter, Unfall, Tod, Lara, Gefängnis, du darfst nichts sagen“– diese Worte hat Elke Bruns im Auto auf einen Zettel geschrieben, für ihren Mitbewohner. „Ich durfte ja nichts sagen.“
Bei der Bank angekommen, sind der 66-Jährige und die 60-Jährige mit den Nerven am Ende. „Wir haben beide am ganzen Körper gezittert. Aber ich wusste, wir müssen das jetzt durchziehen“, sagt Elke Bruns. Im Nachhinein tue es ihr leid, dass sie ihren Mitbewohner „moralisch so unter Druck gesetzt“habe. Mittlerweile ist ein angeblicher Hauptkommissar Schröder am Telefon. Er weist die beiden an, in der Bank ja nicht zu sagen, wofür das Geld ist.
Doch wie konnte es überhaupt soweit kommen? Warum kam an der Sache keinem etwas komisch vor? „Die Expertise der Täter ist es, in kürzester Zeit einen hochemotionalen Zustand herzustellen“, erklärt Frank Lohmann, Psychologe am Bezirkskrankenhaus Kempten. „Sie schaffen sofort eine hohe Beteiligung. Und sie bauen einen großen Handlungsdruck und Zeitdruck auf.“Wenn
Menschen in einer solchen Stresssituation wie Elke Bruns und ihr Mitbewohner sind, laufen nur noch Prozesse ab, die evolutionär sinnvoll sind. „Wenn ich meine Nachkommen retten kann, dann muss ich das tun. Da muss ich reagieren und funktionieren.“
Dem Bankmitarbeiter kommt die ganze Sache komisch vor. Er gibt den beiden kein Geld, sondern schickt die beiden zur Filialleiterin. Weil der 66-jährige Mitbewohner für das Geld einen Kredit aufnehmen müsste, möchte die Bankleiterin allein mit ihm sprechen. Der ältere Mann erzählt ihr schließlich von Laras Unfall und der Kaution, die er besorgen muss. Die Filialleiterin der Bank schickt die beiden nach Hause und informiert die Polizei.
Dass sie das Geld nicht bekommen habe, habe sie wütend gemacht, erzählt Elke Bruns. „Ich war in dem Moment sauer, auch auf die Bank.“Doch auf dem Heimweg kommen erste Zweifel. „Ich dachte, dass das vielleicht ein Fake ist“, sagt sie. „Ich dachte, dass die Geschichte vielleicht erfunden ist und meine Tochter entführt wurde.“
Zuhause angekommen, bittet sie ihren Mitbewohner, beim Nachbarn ein anderes Handy zu holen. Die eigenen Handys mussten auf Anweisung der falschen Polizisten ja frei bleiben, falls sich der Staatsanwalt meldet. „Ich habe ihm das auf einen Zettel geschrieben. Ich war so im Verfolgungswahn, dass ich mich gar nicht mehr zu sprechen getraut habe, obwohl ja gar keiner am Telefon war“, erzählt Elke Bruns. Mit dem Handy des Nachbarn ruft sie schließlich ihren Ex-Mann an, erzählt ihm vom Unfall der Tochter. „Ich habe aber auch gesagt, dass noch was viel Schlimmeres sein kann, dass sie vielleicht entführt wurde.“Der Ex-Mann sei ganz ruhig geblieben. „Das ist ein Fake, ich rufe Lara jetzt an“, habe er gesagt. Fünf Minuten später der
Rückruf. Mit ihrer Tochter ist alles in Ordnung, sie ist bei einer Freundin. Die Mutter bricht zusammen.
In den Stunden, in denen sie um ihre Tochter bangte, befand sich die 60-Jährige in einem „hochemotionalen Stressprogramm“, wie Psychologe Frank Lohmann erklärt. Ein solches Programm zu unterbrechen, sei extrem schwierig. „Das reflexive Denken ist in solchen Situationen komplett ausgeschaltet.“Da brauche es schon jemand von außen, der die ganze Sache stoppt. In diesem Fall der Ex-Mann.
Elke Bruns und ihr Mitbewohner hatten Glück, dass die Bankmitarbeiter ihnen kein Geld gegeben haben. „Hätte ich das Geld bekommen, hätte ich es übergeben“, sagt die 60-Jährige. Das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West, zu dem auch Lindau gehört, verzeichnet fast jeden Tag einen Fall, in dem die Täter erfolgreich sind. Mit dem Enkeltrick, falschen Polizeibeamten, falschen Gewinnversprechen oder, wie bei Elke Bruns, mit so genannten Schockanrufen. Im vergangenen Jahr kam dadurch im Verbreitungsgebiet des Präsidiums ein Schaden von rund 900 000 Euro zustande. Dieses Jahr sind es allein im ersten Halbjahr schon 640 000 Euro. Im Landkreis Lindau gab es laut Polizei im vergangenen Jahr 84 Fälle mit insgesamt 73 500 Euro Schaden, in diesem Jahr waren es bereits fast 140 Fälle und rund 63 000 Euro.
Und die Dunkelziffer dürfte um einiges höher sein. Denn längst nicht jeder, der Opfer wird, zeigt die Tat und seinen Verlust an. Dabei investiert die Polizei in kaum einen anderen Bereich so viel in Prävention. Doch die stößt beim Telefonbetrug offenbar an Grenzen, wie Polizeisprecher Dominic Geißler einräumt. Auch Elke Bruns hat schon von Enkeltrick und falschen Polizeibeamten gehört. Dass ihr so etwas passiert, damit rechnete sie einfach nicht. Prävention
Elke Bruns
Es gibt ein paar ganz einfache Indizien, mit denen Betroffene einen Betrug erkennen. Stellen Sie sich folgende Fragen: Wurden Sie angerufen? Sollen Sie noch heute Geld übergeben? Hat sich der Anrufer als Familienangehöriger, Polizist, Arzt, Notar oder Richter ausgegeben? Sollen Sie Geld an eine unbekannte Person übergeben? Sollen Sie etwas überweisen
sei trotzdem wichtig, beteuert Kriminalpolizistin Tanja Molocher. „Durch das ständige Wiederholen entsteht ein Automatismus“, sagt sie. Auch Psychologe Frank Lohmann ist sicher, dass Elke Bruns gar nicht erst in eine solch angespannte Situation geraten wäre, wenn sie die Möglichkeit eines Betrugs gleich parat gehabt hätte.
Kurz nachdem Elke Bruns das Telefonat mit ihrem Ex-Mann beendet hatte, stand die Kriminalpolizei vor der Tür – die echte. Die Filialleiterin der Bank hatte sie geschickt. Es ist wichtig, dass solche Betrugsfälle angezeigt werden, sagt Kripo-Beamtin Molocher. Auch, wenn es bei einem Versuch bleibt. „Unser Ziel ist es, an die Hintermänner zu kommen.“Die Maschen würden immer perfider, die Täter immer professioneller. „Wir hören ein schreiendes, panisches Kind. Dieser Tonfall spricht uns an, in dieser Emotion hört man einfach sein eigenes Kind.“
Während sich Callcenter und Hintermänner meist im Ausland, oft in der Türkei oder im Kosovo, befinden, kommen Helfer und Geldabholer häufig aus Deutschland, erklärt Dominic Geißler. Sie würden meist über Anzeigen angeworben, sprechen oft sogar Dialekt und telefonieren ganze Regionen ab. Manchmal werden Callcenter im Ausland hochgenommen. „Dazu brauchen wir aber Rechtshilfe von den Kollegen im Ausland“, sagt er. Und das funktioniere unterschiedlich gut.
Elke Bruns, die im Allgäu wohnt, hat sich nicht nur dafür entschieden, ihren Fall bei der Polizei anzuzeigen. Sie hat sich auch dafür entschieden, ihre Geschichte bei einem Pressegespräch der Öffentlichkeit zu erzählen – um anderen zu helfen. „Eigentlich“, sagt sie, „bin ich aufgeklärt und nicht so naiv.“Die beiden Polizisten versichern ihr, dass sie keine Schuld trifft. Sie wurde das Opfer von Profis. Aus psychologischer Sicht, sagt Lohmann, sei es genau richtig, über das Erlebte zu sprechen. „Schuldgefühle oder Scham behindern ein konstruktives Bearbeiten des Ganzen nur.“ oder eine Geldwertkarte kaufen? Wenn zwei dieser Fragen mit „Ja“beantwortet werden, sollten sich Betroffene am besten direkt an die Polizei wenden.
Kriminalpolizistin Tanja Molocher hat noch zwei weitere Tipps: „Man wird nie von der Polizei mit der Nummer 110 angerufen“, sagt sie. Im Zweifel, rät sie: „Einfach auflegen.“(lz)