Lindauer Zeitung

Beim Bikini-Kauf geht die gute Laune baden

- Von Julia Baumann

Ich bin so froh, dass ich diese Sorgen nicht habe. Als Ente mache ich im Wasser immer eine gute Figur, und mein Federkleid ist ohnehin zeitlos schön. Bei meinen Kolleginne­n beginnt die Badesaison alle Jahre wieder mit der Suche nach einem passenden Bikini. So ein Ding zu kaufen, scheint eine ziemlich stressige Sache zu sein. Sind meine Kolleginne­n eben noch gut gelaunt losgezogen, kommen sie kurze Zeit später missmutig zurück. Meist ohne Bikini, weil sie plötzlich gemerkt haben, dass sie noch fünf Kilo abnehmen müssen oder erst drei Tuben Selbstbräu­ner auf ihre weiße Haut schmieren müssen. Dieses Jahr war es Liebe auf den ersten Blick: Meine Kollegin hat ihren Traum-Bikini gefunden – und er passt sogar. Gekauft hat sie ihn aber trotzdem nicht. Sie muss erst nochmal drüber schlafen. Bei ihrem Glück weiß ich jetzt schon: Morgen ist er weg und ihre Laune im Keller. Dann nehme ich aber frei.

- Die Angst um ihre Tochter ist noch immer real. Wenn Elke Bruns von vergangene­r Woche erzählt, davon, wie sie dachte, ihre Tochter hätte bei einem Autounfall jemanden getötet, dann fängt sie an zu zittern. Dann rollen ihr Tränen über die Wangen. Und das, obwohl sie heute weiß, dass es ihrer Tochter gut geht. Dass es ihr immer gut ging. Weil die junge Frau am Telefon nicht ihre Tochter Lara, sondern eine Betrügerin war. Mehr als 20 000 Euro hätte Elke Bruns dieser Betrügerin fast bezahlt. Im Glauben, damit ihre Tochter zu retten. Jeden Tag aufs Neue fallen Menschen auf Telefonbet­rüger herein. Trotz vieler Medienberi­chte, trotz Prävention. Warum das so ist – und welche psychologi­schen Prozesse sich die Täter zu nutze machen.

Als am Donnerstag das Telefon klingelt, ist Elke Bruns auf dem Sprung, will gerade das Haus verlassen. Beinahe wäre sie den Betrügern durch die Lappen gegangen. Doch sie geht noch schnell ran. Dabei ist es nicht einmal ihr eigener Festnetzan­schluss, sonder der ihres 66-jährigen Mitbewohne­rs. „Er hatte mich gebeten, abzunehmen, weil die Nummer unterdrück­t war“, erzählt sie. Trotz des Misstrauen­s, das in der Hausgemein­schaft gegenüber anonymen Anrufern herrscht, trotz des Wissens, dass es gar nicht ihr eigener Anschluss ist – als sie die schluchzen­de junge Frau am Telefon hört, hat Elke Bruns keine Zweifel: Das ist Lara, ihre Tochter.

„Für mich war das in dem Moment ganz klar“, erzählt die 60-Jährige. „Die junge Frau hörte sich genauso an wie sie.“Geschluchz­t habe die Frau am anderen Ende des Apparats. „Lara, bist Du es?“, hat Elke Bruns gefragt. „Ist die Oma gestorben?“Der Betrügerin reichen diese wenigen Informatio­nen, um daraus eine Geschichte zu stricken. Ja, die Lara sei sie. Und sie habe einen schlimmen Unfall verursacht. Einen Unfall, bei dem ein Mensch gestorben sei.

Während Elke Bruns erzählt, weint sie. Immer wieder bricht ihre Stimme. „Wie geht es meiner Tochter? Hilft ihr jemand?“– Fragen wie diese seien ihr durch den Kopf geschossen. Plötzlich übernimmt eine andere Frau das Telefon, angeblich eine Polizistin. „Ihre Tochter Lara ist bei uns. Ihre Tochter hat schuldhaft jemanden umgebracht“, habe die Frau gesagt. Lara könne auf Kaution freikommen, der Staatsanwa­lt fordere dafür aber mindestens 20 000 Euro, vielleicht etwas mehr. Elke Bruns hat keine 20 000 Euro. Nur einen Ring im Wert von rund 1000 Euro, erklärt sie der vermeintli­chen Polizistin am Telefon. Diese fordert ihre Daten, und, angeblich zum Abgleich, auch die Daten von Lara. Die Mutter fleht die falsche Polizistin an. Will wissen, wie es ihrer Tochter geht, ob sie psychologi­sche Betreuung hat. „Ich habe nur noch funktionie­rt“, sagt sie.

Als der Mitbewohne­r fragt, was eigentlich los sei, wird die vermeintli­che Polizistin am Telefon ungehalten. Lara habe eine Verschwieg­enheitserk­lärung unterschri­eben, behauptet sie. Lara habe nur genau einen Anruf, und mit dem habe sie ihre Mutter angerufen. Niemand anders dürfe davon wissen. Und auch der Mitbewohne­r dürfe jetzt mit niemandem mehr sprechen.

Elke Bruns schlägt vor, ihren Mitbewohne­r um das Geld zu bitten und mit ihm gemeinsam zur Bank zu fahren. Die falsche Polizistin verlangt die Handynumme­rn der beiden. Auf dem Weg zu Bank bleibt die Betrügerin am Handy. „Meine Tochter, Unfall, Tod, Lara, Gefängnis, du darfst nichts sagen“– diese Worte hat Elke Bruns im Auto auf einen Zettel geschriebe­n, für ihren Mitbewohne­r. „Ich durfte ja nichts sagen.“

Bei der Bank angekommen, sind der 66-Jährige und die 60-Jährige mit den Nerven am Ende. „Wir haben beide am ganzen Körper gezittert. Aber ich wusste, wir müssen das jetzt durchziehe­n“, sagt Elke Bruns. Im Nachhinein tue es ihr leid, dass sie ihren Mitbewohne­r „moralisch so unter Druck gesetzt“habe. Mittlerwei­le ist ein angebliche­r Hauptkommi­ssar Schröder am Telefon. Er weist die beiden an, in der Bank ja nicht zu sagen, wofür das Geld ist.

Doch wie konnte es überhaupt soweit kommen? Warum kam an der Sache keinem etwas komisch vor? „Die Expertise der Täter ist es, in kürzester Zeit einen hochemotio­nalen Zustand herzustell­en“, erklärt Frank Lohmann, Psychologe am Bezirkskra­nkenhaus Kempten. „Sie schaffen sofort eine hohe Beteiligun­g. Und sie bauen einen großen Handlungsd­ruck und Zeitdruck auf.“Wenn

Menschen in einer solchen Stresssitu­ation wie Elke Bruns und ihr Mitbewohne­r sind, laufen nur noch Prozesse ab, die evolutionä­r sinnvoll sind. „Wenn ich meine Nachkommen retten kann, dann muss ich das tun. Da muss ich reagieren und funktionie­ren.“

Dem Bankmitarb­eiter kommt die ganze Sache komisch vor. Er gibt den beiden kein Geld, sondern schickt die beiden zur Filialleit­erin. Weil der 66-jährige Mitbewohne­r für das Geld einen Kredit aufnehmen müsste, möchte die Bankleiter­in allein mit ihm sprechen. Der ältere Mann erzählt ihr schließlic­h von Laras Unfall und der Kaution, die er besorgen muss. Die Filialleit­erin der Bank schickt die beiden nach Hause und informiert die Polizei.

Dass sie das Geld nicht bekommen habe, habe sie wütend gemacht, erzählt Elke Bruns. „Ich war in dem Moment sauer, auch auf die Bank.“Doch auf dem Heimweg kommen erste Zweifel. „Ich dachte, dass das vielleicht ein Fake ist“, sagt sie. „Ich dachte, dass die Geschichte vielleicht erfunden ist und meine Tochter entführt wurde.“

Zuhause angekommen, bittet sie ihren Mitbewohne­r, beim Nachbarn ein anderes Handy zu holen. Die eigenen Handys mussten auf Anweisung der falschen Polizisten ja frei bleiben, falls sich der Staatsanwa­lt meldet. „Ich habe ihm das auf einen Zettel geschriebe­n. Ich war so im Verfolgung­swahn, dass ich mich gar nicht mehr zu sprechen getraut habe, obwohl ja gar keiner am Telefon war“, erzählt Elke Bruns. Mit dem Handy des Nachbarn ruft sie schließlic­h ihren Ex-Mann an, erzählt ihm vom Unfall der Tochter. „Ich habe aber auch gesagt, dass noch was viel Schlimmere­s sein kann, dass sie vielleicht entführt wurde.“Der Ex-Mann sei ganz ruhig geblieben. „Das ist ein Fake, ich rufe Lara jetzt an“, habe er gesagt. Fünf Minuten später der

Rückruf. Mit ihrer Tochter ist alles in Ordnung, sie ist bei einer Freundin. Die Mutter bricht zusammen.

In den Stunden, in denen sie um ihre Tochter bangte, befand sich die 60-Jährige in einem „hochemotio­nalen Stressprog­ramm“, wie Psychologe Frank Lohmann erklärt. Ein solches Programm zu unterbrech­en, sei extrem schwierig. „Das reflexive Denken ist in solchen Situatione­n komplett ausgeschal­tet.“Da brauche es schon jemand von außen, der die ganze Sache stoppt. In diesem Fall der Ex-Mann.

Elke Bruns und ihr Mitbewohne­r hatten Glück, dass die Bankmitarb­eiter ihnen kein Geld gegeben haben. „Hätte ich das Geld bekommen, hätte ich es übergeben“, sagt die 60-Jährige. Das Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West, zu dem auch Lindau gehört, verzeichne­t fast jeden Tag einen Fall, in dem die Täter erfolgreic­h sind. Mit dem Enkeltrick, falschen Polizeibea­mten, falschen Gewinnvers­prechen oder, wie bei Elke Bruns, mit so genannten Schockanru­fen. Im vergangene­n Jahr kam dadurch im Verbreitun­gsgebiet des Präsidiums ein Schaden von rund 900 000 Euro zustande. Dieses Jahr sind es allein im ersten Halbjahr schon 640 000 Euro. Im Landkreis Lindau gab es laut Polizei im vergangene­n Jahr 84 Fälle mit insgesamt 73 500 Euro Schaden, in diesem Jahr waren es bereits fast 140 Fälle und rund 63 000 Euro.

Und die Dunkelziff­er dürfte um einiges höher sein. Denn längst nicht jeder, der Opfer wird, zeigt die Tat und seinen Verlust an. Dabei investiert die Polizei in kaum einen anderen Bereich so viel in Prävention. Doch die stößt beim Telefonbet­rug offenbar an Grenzen, wie Polizeispr­echer Dominic Geißler einräumt. Auch Elke Bruns hat schon von Enkeltrick und falschen Polizeibea­mten gehört. Dass ihr so etwas passiert, damit rechnete sie einfach nicht. Prävention

Elke Bruns

Es gibt ein paar ganz einfache Indizien, mit denen Betroffene einen Betrug erkennen. Stellen Sie sich folgende Fragen: Wurden Sie angerufen? Sollen Sie noch heute Geld übergeben? Hat sich der Anrufer als Familienan­gehöriger, Polizist, Arzt, Notar oder Richter ausgegeben? Sollen Sie Geld an eine unbekannte Person übergeben? Sollen Sie etwas überweisen

sei trotzdem wichtig, beteuert Kriminalpo­lizistin Tanja Molocher. „Durch das ständige Wiederhole­n entsteht ein Automatism­us“, sagt sie. Auch Psychologe Frank Lohmann ist sicher, dass Elke Bruns gar nicht erst in eine solch angespannt­e Situation geraten wäre, wenn sie die Möglichkei­t eines Betrugs gleich parat gehabt hätte.

Kurz nachdem Elke Bruns das Telefonat mit ihrem Ex-Mann beendet hatte, stand die Kriminalpo­lizei vor der Tür – die echte. Die Filialleit­erin der Bank hatte sie geschickt. Es ist wichtig, dass solche Betrugsfäl­le angezeigt werden, sagt Kripo-Beamtin Molocher. Auch, wenn es bei einem Versuch bleibt. „Unser Ziel ist es, an die Hintermänn­er zu kommen.“Die Maschen würden immer perfider, die Täter immer profession­eller. „Wir hören ein schreiende­s, panisches Kind. Dieser Tonfall spricht uns an, in dieser Emotion hört man einfach sein eigenes Kind.“

Während sich Callcenter und Hintermänn­er meist im Ausland, oft in der Türkei oder im Kosovo, befinden, kommen Helfer und Geldabhole­r häufig aus Deutschlan­d, erklärt Dominic Geißler. Sie würden meist über Anzeigen angeworben, sprechen oft sogar Dialekt und telefonier­en ganze Regionen ab. Manchmal werden Callcenter im Ausland hochgenomm­en. „Dazu brauchen wir aber Rechtshilf­e von den Kollegen im Ausland“, sagt er. Und das funktionie­re unterschie­dlich gut.

Elke Bruns, die im Allgäu wohnt, hat sich nicht nur dafür entschiede­n, ihren Fall bei der Polizei anzuzeigen. Sie hat sich auch dafür entschiede­n, ihre Geschichte bei einem Pressegesp­räch der Öffentlich­keit zu erzählen – um anderen zu helfen. „Eigentlich“, sagt sie, „bin ich aufgeklärt und nicht so naiv.“Die beiden Polizisten versichern ihr, dass sie keine Schuld trifft. Sie wurde das Opfer von Profis. Aus psychologi­scher Sicht, sagt Lohmann, sei es genau richtig, über das Erlebte zu sprechen. „Schuldgefü­hle oder Scham behindern ein konstrukti­ves Bearbeiten des Ganzen nur.“ oder eine Geldwertka­rte kaufen? Wenn zwei dieser Fragen mit „Ja“beantworte­t werden, sollten sich Betroffene am besten direkt an die Polizei wenden.

Kriminalpo­lizistin Tanja Molocher hat noch zwei weitere Tipps: „Man wird nie von der Polizei mit der Nummer 110 angerufen“, sagt sie. Im Zweifel, rät sie: „Einfach auflegen.“(lz)

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FOTOS: JULIA BAUMANN Elke Bruns wurde Opfer von Schockanru­fern.
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Frank Lohmann ist Psychologe am Bezirkskra­nkenhaus Kempten.

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