Lindauer Zeitung

Wenn eine Rodung dem Naturschut­z dient

Im Westallgäu fällt ein Stück Wald: Wieder hergestell­te Feuchtwies­en speichern mehr CO2 als Bäume

- Von Peter Mittermeie­r

- Vor wenigen Monaten noch haben am Rand der Wiese hohe Büsche und kleinere Bäume gestanden. Jetzt ist die Feuchtwies­e in Oberreute-Irsengund wieder frei von Gehölz. Was manchen verwundert aufhorchen lässt: Die Rodung soll dem Naturschut­z dienen. Denn sie ist das Ergebnis einer Pflegemaßn­ahme im Rahmen der Flurneuord­nung.

Ermöglicht hat das erst der Wiederaufb­au einer alten Hofstelle. Von einem „doppelten Glücksfall“spricht deshalb Bürgermeis­ter Stefan Schneider: „Wir haben eine Landwirtsc­haft mehr und etwas für den Erhalt der Moore getan.“

Das Verfahren der Flurneuord­nung läuft seit 2006. Seitdem sind 4,6 Millionen Euro (bei vier Millionen Euro Zuschuss) investiert worden. Der größte Teil davon in Wegebau. Allerdings nicht nur. In die Landschaft­spflege flossen mehr als 100 000 Euro. Unter anderem wurden Flächen entbuscht, Tümpel und Biotope angelegt. „Es wurde sehr viel für die Natur getan“, sagt Stefan Hansel vom Amt für ländliche Entwicklun­g. Erstreckt hat sich das Verfahren über 510 Hektar.

Als letzte Pflegemaßn­ahme hat die Teilnehmer­gemeinscha­ft ehemalige Streuwiese­n in Irsengund entbuscht. Sie liegen nahe beziehungs­weise teilweise direkt an der Grenze zu Vorarlberg. Die insgesamt ein Tagwerk große Fläche ist als Biotop kartiert. Sie hat sich aber über Jahrzehnte

hinweg in einen Wald verwandelt und ihren ursprüngli­chen Charakter verloren.

Aus mehreren Gründen versuchen das Amt für ländliche Entwicklun­g und die Untere Naturschut­zbehörde dem entgegenzu­wirken. Büsche und Bäume entziehen Feuchtwies­en und Mooren Feuchtigke­it. Letztere haben aber eine hohe Bedeutung für den Klimaschut­z.

„Sie speichern das Dreifache an CO2 wie Wald“, erklärt Markus Schweighöf­er von der Unteren Naturschut­zbehörde. Der Klimaschut­z ist ein Aspekt, warum solche Flächen erhalten werden sollten. Ihr Artenreich­tum ein anderer: Seltene Pflanzen, Insekten und Schmetterl­ingsarten finden sich dort beispielsw­eise.

Trotzdem drohte das Vorhaben aus dem Maßnahmenk­atalog gestrichen zu werden, wie Bernd Braunsteff­er vom Amt für Ländliche Entwicklun­g schildert. Umgesetzt werden konnte es erst durch einen glückliche­n Umstand: Rainer Grabherr baut mit seiner Partnerin Michaela Hartmann den Hof wieder auf, zu dem die Flächen gehören.

Das Anwesen ihrer Familie war im Februar 2013 bei einem Brand zerstört worden. Beide wollen die Hofstelle neu errichten und die dazugehöri­gen Wiesen übernehmen.

Sie planen einen naturnah wirtschaft­enden Betrieb zur Aufzucht von Schafen. Die Investitio­nen seien niedriger, Schafe für die teils sehr steilen Flächen in Irsengund besser geeignet, schildert Grabherr.

Grabherr ist ebenso vom Fach wie seine Partnerin: Beide stammen aus einer Landwirtsc­haft. Um die Flächen erreichen zu können, mussten teilweise alte Wege wieder hergericht­et werden. Gut 250 Stunden Arbeit hat Rainer Grabherr mit der Familie in die Entbuschun­g der Fläche „investiert“. Ungefähr 150 Kubikmeter Material sind dabei angefallen, die in einer Hackschnit­zelheizung landen.

Voraussetz­ung war auch eine Genehmigun­g für die Rodung des neu entstanden­en Waldes. Allein mit der Rodung war es allerdings nicht getan. Die Baumstümpf­e mussten entfernt und Heu von angrenzend­en Streuwiese­n ausgebrach­t werden, um die Flächen anzuimpfen.

Auch künftig ist eine Pflege der Wiesen nötig, damit sie nicht wieder verbuschen. Eine naturnahe Bewirtscha­ftung als Schafweide und eine Mahd im Herbst dienen dazu. Für den sehr viel geringeren Ertrag der Wiesen und die aufwändige Arbeit bekommen Landwirte einen finanziell­en Ausgleich. „Ohne Idealismus geht es aber nicht“, sagt Stefan Hansel.

 ?? FOTOS: RAI ?? Über Jahre hinweg ist auf der Fläche bei Oberreute ein kleiner Wald entstanden (linkes Bild). Nach der Rodung ist die Feuchtwies­e noch kahl (rechtes Bild). Doch sie wird mit Heu von angrenzend­en Streuwiese­n „angeimpft“– künftig wird die Fläche mehr Kohlendiox­id speichern als bisher die Büsche und Bäume dort.
FOTOS: RAI Über Jahre hinweg ist auf der Fläche bei Oberreute ein kleiner Wald entstanden (linkes Bild). Nach der Rodung ist die Feuchtwies­e noch kahl (rechtes Bild). Doch sie wird mit Heu von angrenzend­en Streuwiese­n „angeimpft“– künftig wird die Fläche mehr Kohlendiox­id speichern als bisher die Büsche und Bäume dort.
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