Wenn eine Rodung dem Naturschutz dient
Im Westallgäu fällt ein Stück Wald: Wieder hergestellte Feuchtwiesen speichern mehr CO2 als Bäume
- Vor wenigen Monaten noch haben am Rand der Wiese hohe Büsche und kleinere Bäume gestanden. Jetzt ist die Feuchtwiese in Oberreute-Irsengund wieder frei von Gehölz. Was manchen verwundert aufhorchen lässt: Die Rodung soll dem Naturschutz dienen. Denn sie ist das Ergebnis einer Pflegemaßnahme im Rahmen der Flurneuordnung.
Ermöglicht hat das erst der Wiederaufbau einer alten Hofstelle. Von einem „doppelten Glücksfall“spricht deshalb Bürgermeister Stefan Schneider: „Wir haben eine Landwirtschaft mehr und etwas für den Erhalt der Moore getan.“
Das Verfahren der Flurneuordnung läuft seit 2006. Seitdem sind 4,6 Millionen Euro (bei vier Millionen Euro Zuschuss) investiert worden. Der größte Teil davon in Wegebau. Allerdings nicht nur. In die Landschaftspflege flossen mehr als 100 000 Euro. Unter anderem wurden Flächen entbuscht, Tümpel und Biotope angelegt. „Es wurde sehr viel für die Natur getan“, sagt Stefan Hansel vom Amt für ländliche Entwicklung. Erstreckt hat sich das Verfahren über 510 Hektar.
Als letzte Pflegemaßnahme hat die Teilnehmergemeinschaft ehemalige Streuwiesen in Irsengund entbuscht. Sie liegen nahe beziehungsweise teilweise direkt an der Grenze zu Vorarlberg. Die insgesamt ein Tagwerk große Fläche ist als Biotop kartiert. Sie hat sich aber über Jahrzehnte
hinweg in einen Wald verwandelt und ihren ursprünglichen Charakter verloren.
Aus mehreren Gründen versuchen das Amt für ländliche Entwicklung und die Untere Naturschutzbehörde dem entgegenzuwirken. Büsche und Bäume entziehen Feuchtwiesen und Mooren Feuchtigkeit. Letztere haben aber eine hohe Bedeutung für den Klimaschutz.
„Sie speichern das Dreifache an CO2 wie Wald“, erklärt Markus Schweighöfer von der Unteren Naturschutzbehörde. Der Klimaschutz ist ein Aspekt, warum solche Flächen erhalten werden sollten. Ihr Artenreichtum ein anderer: Seltene Pflanzen, Insekten und Schmetterlingsarten finden sich dort beispielsweise.
Trotzdem drohte das Vorhaben aus dem Maßnahmenkatalog gestrichen zu werden, wie Bernd Braunsteffer vom Amt für Ländliche Entwicklung schildert. Umgesetzt werden konnte es erst durch einen glücklichen Umstand: Rainer Grabherr baut mit seiner Partnerin Michaela Hartmann den Hof wieder auf, zu dem die Flächen gehören.
Das Anwesen ihrer Familie war im Februar 2013 bei einem Brand zerstört worden. Beide wollen die Hofstelle neu errichten und die dazugehörigen Wiesen übernehmen.
Sie planen einen naturnah wirtschaftenden Betrieb zur Aufzucht von Schafen. Die Investitionen seien niedriger, Schafe für die teils sehr steilen Flächen in Irsengund besser geeignet, schildert Grabherr.
Grabherr ist ebenso vom Fach wie seine Partnerin: Beide stammen aus einer Landwirtschaft. Um die Flächen erreichen zu können, mussten teilweise alte Wege wieder hergerichtet werden. Gut 250 Stunden Arbeit hat Rainer Grabherr mit der Familie in die Entbuschung der Fläche „investiert“. Ungefähr 150 Kubikmeter Material sind dabei angefallen, die in einer Hackschnitzelheizung landen.
Voraussetzung war auch eine Genehmigung für die Rodung des neu entstandenen Waldes. Allein mit der Rodung war es allerdings nicht getan. Die Baumstümpfe mussten entfernt und Heu von angrenzenden Streuwiesen ausgebracht werden, um die Flächen anzuimpfen.
Auch künftig ist eine Pflege der Wiesen nötig, damit sie nicht wieder verbuschen. Eine naturnahe Bewirtschaftung als Schafweide und eine Mahd im Herbst dienen dazu. Für den sehr viel geringeren Ertrag der Wiesen und die aufwändige Arbeit bekommen Landwirte einen finanziellen Ausgleich. „Ohne Idealismus geht es aber nicht“, sagt Stefan Hansel.