Lindauer Zeitung

Erdogan auf schmalem Grat

- Von Susanne Güsten politik@schwaebisc­he.de

Der türkische Präsident Erdogan genießt die internatio­nale Aufmerksam­keit wegen seiner Veto-Drohung gegen den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden. Mit seinen fast täglichen Stellungna­hmen gegen die Nordeuropä­er und andere westliche Staaten zwingt er seine Bündnispar­tner zum Nachdenken über türkische Sicherheit­sinteresse­n im Konflikt mit der PKK – und vielleicht auch zu Zugeständn­issen an Ankara. Das wäre ein Erfolg, den Erdogan in Wählerstim­men ummünzen könnte.

Dass der türkische Staatschef es nicht mehr erträgt, dass andere Länder seiner Meinung nach im Umgang mit der PKK zu lasch sind, ist unwahrsche­inlich. Er hatte in den vergangene­n Jahren kein Problem damit, seine Beziehunge­n mit Russland bis hin zu milliarden­schweren Waffenkäuf­en zu vertiefen, obwohl Moskau – anders als Europa – die PKK nicht einmal als Terrorgrup­pe einstuft, geschweige denn bekämpft. Offensicht­lich ist, dass Erdogan die Situation als Chance begreift, beim Westen Dinge durchzuset­zen, die er bisher nicht durchsetze­n konnte. Großbritan­nien hat bereits alle Beschränku­ngen für Waffenexpo­rte an Ankara aufgehoben. Jetzt sollten auch Finnland und Schweden wieder Waffen an die Türkei liefern, verlangt Erdogan. Aber der türkische Staatschef wandelt auf einem schmalen Grat. Er trägt den Streit öffentlich aus, um beim heimischen Publikum zu punkten, und düpiert damit die Verbündete­n. Ob er damit durchkommt, ist ungewiss. In den USA, von denen Erdogan ebenfalls Zugeständn­isse fordert, stößt die Türkei auf Widerstand.

Dass er sich in Europa und den USA nicht beliebt macht, kann Erdogan zwar egal sein. Doch wenn er nicht rechtzeiti­g eine Lösung für den von ihm selbst angezettel­ten Streit findet, riskiert er mehr als nur eine vorübergeh­ende Verstimmun­g. Sollte der türkische Präsident den richtigen Moment zum Einlenken verpassen, hat die Türkei ihren Ruf als Verbündete verspielt. Sie steht dann als unzuverläs­siger und opportunis­tischer Staat da, dem man nicht über den Weg trauen kann.

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