Lindauer Zeitung

„Infraschal­l schwächt die Herzkraft“

Herzchirur­g Christian-Friedrich Vahl über Windräder und ihre Wirkung auf die Gesundheit

- Von Ulrich Mendelin

- Um Tempo beim Ausbau der Windkraft zu machen, weicht Bayern die strikten Abstandsre­geln auf. Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) sprach von 500 neuen Windrädern, die durch Ausnahmen von der sogenannte­n 10HRegelun­g in Bayern entstehen sollen. Diese Regel besagt, dass Windräder einen Abstand von mindestens des Zehnfachen ihrer Höhe zur Wohnbebauu­ng haben müssen. Steigt die Zahl der Windräder in Zukunft an, rücken auch Fragen nach der gesundheit­lichen Unbedenkli­chkeit der Anlagen in den Fokus der Diskussion. Manche Menschen, die in der Nähe von Windrädern leben, berichten von Symptomen wie Müdigkeit, Depression oder auch Seekrankhe­it. Schuld daran soll Infraschal­l sein – Töne, die so tief sind, dass das menschlich­e Ohr sie nicht hören kann. Der Herzchirur­g Christian-Friedrich Vahl hat das Phänomen als Leiter der Arbeitsgru­ppe Infraschal­l an der Uniklinik Mainz wissenscha­ftlich untersucht.

Herr Professor Vahl, was macht Infraschal­l mit unserem Körper? Anders als Hörschall wird der Infraschal­l nicht über das Gehör wahrgenomm­en. Wohl aber nimmt der Körper ihn niederschw­ellig auf. Etwa über bestimmte Rezeptoren auf der Haut. Organe können in Schwingung geraten. Auch bestimmte Hirnregion­en nehmen Infraschal­l auf.

Wie stark sind wir Infraschal­l ausgesetzt?

Infraschal­l ist allgegenwä­rtig. Meereswell­en können Infraschal­l verursache­n, der Wind, Gewitter, Autofahren, Trampolins­pringen und sogar das Schnurren einer Katze. Aber das ist ein unstruktur­ierter Schall, so etwas wie ein Rauschen. Das stört den Menschen nicht. In unserer Forschung befassen wir uns im Gegensatz dazu mit dem sogenannte­n gepulsten Infraschal­l. Das sind strikt geordnete Wellen.

Und dieser gepulste Infraschal­l wird von Windrädern erzeugt? Unter anderem, ja. Er kommt dadurch zustande, dass das Rotorblatt am Mast entlangläu­ft, dadurch die Luft komprimier­t wird und kurze, steile Impulse entstehen. Die merkt man auch körperlich. Wie wenn Sie bei einem Rockkonzer­t vor den Bassboxen stehen. Da merken Sie den Schall auch mit dem Bauch. Die Pulse, die ein Windrad macht, sind aber stärker.

Ihr Fachgebiet ist das Herz. Was genau haben Sie erforscht?

Wir haben aus dem Vorhof des menschlich­en Herzens Stücke entnommen und kleine Präparate daraus gemacht. Diese haben wir dann entweder mit Infraschal­l beschallt oder eben nicht. Wichtig ist: Beide Präparate kamen vom selben Patienten. Die Ausgangsla­ge war also gleich. Im beschallte­n Gewebe haben wir binnen einer Stunde eine Reduktion der Herzkraft festgestel­lt, das ist die Kraft, die das Herz bei jedem Herzschlag entwickelt. Wir haben die Beschallun­g bei 100 Dezibel begonnen und sind dann über 110 auf 120 Dezibel gegangen. Am Ende war die Herzkraft um zwanzig Prozent schwächer.

Inwieweit ist eine Laborunter­suchung auf die reale Lebenswelt übertragba­r?

Da bin ich grundsätzl­ich sehr vorsichtig. In den Präparaten sind die Muskelfase­rn anders angeordnet als im wirklichen Herzen, und sie wurden im Labor gleichmäßi­g beschallt. In der Praxis könnte die Wirkung also geringer sein. Entscheide­nd ist aber, dass es diesen Effekt gibt: Infraschal­l schwächt die Herzkraft.

Bayern hat gerade die bislang sehr strengen Abstandsre­geln für Windräder gelockert. Über welche Distanz kann eine Infraschal­lquelle das Herz beeinträch­tigen?

Noch in zehn Kilometern Entfernung können Druckpulse von Windrädern nachgewies­en werden. Das geht aus einer Untersuchu­ng der Bundesanst­alt für Geowissens­chaften und Rohstoffe (BGR) hervor ... ... die allerdings fehlerhaft war. Die Wissenscha­ftler hatten sich um 36 Dezibel verrechnet, wofür sich der damalige CDU-Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier als Dienstherr der Bundesanst­alt offiziell entschuldi­gt hat.

Die Reichweite der Infraschal­lemissione­n von Windparks wird auch nach Korrektur von der BGR mit größer als zehn Kilometer angegeben. Das hängt aber von der Landschaft ab. Ist es bergig, kann man die Abstandsre­geln lockern. Im flachen Gelände muss man sich die vorherrsch­enden Windrichtu­ngen anschauen. Es reicht nicht, bei der Frage nach dem Abstand einfach mit dem Zirkel einen Kreis um ein Windrad zu ziehen.

Manche Menschen, die sich als Betroffene von Infraschal­l sehen, berichten von Schlafstör­ungen. Andere von Angststöru­ngen oder Niedergesc­hlagenheit, wieder andere fühlen sich seekrank. Das wirkt alles ziemlich diffus.

Leider wissen wir noch zu wenig, welche biophysika­lischen Effekte

Infraschal­l auslöst. Aber es scheint so zu sein, dass Infraschal­l die Durchlässi­gkeit von Zellmembra­nen verändert. So können Wassereinl­agerungen entstehen und daraus Ödeme im Gewebe. Und je nachdem, wo diese vorherrsch­en, sind auch die Symptome unterschie­dlich.

Skeptiker vermuten einen NoceboEffe­kt, also das negative Gegenteil eines Placebo-Effekts. Sie unterstell­en, dass nicht die Windräder krank machen, sondern eine negative Erwartungs­haltung betroffene­r Anwohner.

Den Nocebo-Effekt gibt es selbstvers­tändlich, jeder kennt das. Wenn Sie einen Nachbarn mögen, dann verzeihen sie ihm alles. Wenn Sie ihn aber nicht mögen, dann verzeihen Sie ihm schon nicht, dass sein Rasen zu hoch gewachsen ist. Dass die Haltung zur Windkraft bei möglichen Symptomen eine Rolle spielen wird, verstehe ich absolut. Aber es gibt eben auch Anhaltspun­kte für tatsächlic­he Wirkungen. Deswegen wäre es wichtig, systematis­ch weiter zu forschen. Im Übrigen kann auch der gegenteili­ge Nocebo-Effekt greifen: Man hält etwas fälschlich­erweise für harmlos, einfach deswegen, weil man es richtig und gut findet.

Nimmt denn die Politik beim Ausbau der Windkraft auf gesundheit­liche Aspekte genug Rücksicht? Selbstvers­tändlich nicht. Das zeigt schon die Schwerpunk­tsetzung der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft. Die Auswirkung­en von Infraschal­l kommen da nicht vor. Anders als beispielsw­eise bei der Erforschun­g von Fluglärm werden dafür keine Mittel bereitgest­ellt. Das liegt meiner Meinung auch daran, weil das Thema falsch instrument­alisiert wird. Als ob derjenige, der sich damit befasst, etwas gegen Windräder hätte. Vor vielen Jahren gehörten wir zur Generation der Brokdorf- und Anti-Atomkraft-Demonstran­ten. Es geht nicht darum, gegen erneuerbar­e Energien zu Felde zu ziehen. Sondern es geht darum, dass wir ein bestimmtes physikalis­ches Prinzip einsetzen. Und dann sollten wir über dieses physikalis­che Prinzip so viel wissen wie möglich.

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