Schwäbische Insekten à la Carte
Heuschrecken und Grillen dienen in anderen Ländern schon lange als Nahrung für Menschen. Nun landen sie auch bei uns auf Speiseplänen und im Supermarkt. Gezüchtet und verarbeitet werden sie unweit von Ulm.
Von Dirk Grupe
- Wie schmecken eigentlich Wanderheuschrecken? Natürlich nicht aus freier Wildbahn oder vom Feld, sondern getrocknet, geröstet und aus der Tüte. Auf einen Versuch käme es an, Marco Schebesta von der Firma Catch your Bug aus Schnürpflingen gibt aber vorher einen Rat: „Machen Sie die Flügel ab, sonst kann es im Hals kratzen.“Abstoßend sieht der exotische und krosse Snack schon mal nicht aus, auch wenn die Kulleraugen etwas auffällig hervorstehen. Doch Moment mal, was genau landet da eigentlich im Mund und danach im Körperkreislauf? Ist der Verzehr wirklich unbedenklich? Und wozu überhaupt Insekten verspeisen?
Die letzte Frage stellt man sich in vielen Ländern erst gar nicht, für zwei Milliarden Menschen, vor allem in Afrika, Lateinamerika und Teilen Asiens gehören Grillen, Würmer und Heuschrecken ganz selbstverständlich auf den Teller. Nach dem Willen der UN-Welternährungsorganisation FAO wird es sogar noch mehr werden, schließlich müssen die Erde bis ins Jahr 2050 mindestens neun Milliarden Menschen beherbergen, die alle satt werden sollen, mit möglichst wenig Viehwirtschaft, die Klima und Ressourcen schädigt. Was läge da näher, als das Problem über protein- und nährstoffreiche Insekten zu lösen. Die globale Entwicklung ist inzwischen auch bei uns angekommen, 2021 hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Mehlwürmer, Wanderheuschrecken und Heimchen für den Speisemarkt freigegeben. Womit sich eine Frage aufdrängt: Können Insekten bei der täglichen Ernährung auch bei uns künftig eine Rolle spielen? Und das sogar als schwäbisches Produkt von nebenan?
Antworten darauf finden sich 15 Kilometer südlich von Ulm. Auf den Feldern der Gemeinde Schnürpflingen stehen die grünen Kreuze der Landwirte als Protest gegen die Agrarpolitik, durch den Ort rattern die Traktoren. Mittendrin in einem kleinen Gewerbegebiet steht jedoch ein „tropischer Bauernhof“, wie es Schebesta nennt. Das klingt deutlich romantischer, als der weiße und schmucklose Industriebau daherkommt. Nach Regenwald muten alleine die Temperaturen an, bis zu 40 Grad herrschen in den Hallen, die Besucher aus Schutz vor Konkurrenz nicht betreten dürfen. Denn die Zucht von Insekten mag in kleinem Rahmen simpel sein, im großen Stil jedoch ausgefeilt und kompliziert. Weil Luftfeuchtigkeit, Temperaturen und Licht ständig an Heimchen, Mehlwürmer und Wanderheuschrecken angepasst werden, die, wie Schebesta berichtet, in hochgestapelten Kästen gehalten werden, zu Tausenden, Hunderttausenden und alles in allem auch Millionen. Die Geräuschkulisse der Insektenscharen, die jedes Naturerlebnis übersteigen dürfte, liefert das Zirpen der Heimchen, das Schebesta so beschreibt: „Es ist sehr laut.“
Die schwäbische Firma ist eigentlich auf die Produktion von Futtermitteln spezialisiert, die Speiseinsekten kamen erst später dazu. „Noch ist das eine Nische, die Umsätze steigen jedoch stetig“, sagt der Marketingexperte, ohne Zahlen zu nennen. Manche Prognosen gehen jedoch von Wachstumsraten von bis zu 28 Prozent pro Jahr aus, weltweit könnten bis 2030 acht Milliarden Dollar mit Speiseinsekten umgesetzt werden, schon jetzt sollen es in Europa 320 Millionen Euro sein. Spätestens seit die EFSA immer mehr Tierchen – mittlerweile auch Buffalowürmer – für genießbar hält, beobachten Lebensmittelkonzerne wie Nestle die Marktentwicklung bei den erstaunlichen Nährstofflieferanten. „Insekten sind gut für den Menschen“, sagt Schebesta. Womöglich schon, gesund sind sie auf alle Fälle.
So besitzen Mehlwürmer einen hohen Omega-3-Anteil, Heuschrecken über den Chitinpanzer reichlich Ballaststoffe und Heimchen den höchsten Proteinanteil. Dazu kommen B-Vitamine sowie je nach Spezies und Fütterung Mikronährstoffe wie Kupfer, Eisen, Magnesium, Selen oder Zink. Die Vorzüge des Insektenkonsums für den Menschen sind schon lange bekannt, so hat der Philosoph Aristoteles ein Rezept für die Zubereitung von Zikaden hinterlassen, Griechen und Römer verputzten
Marco Schebesta von der schwäbischen Firma
Catch your Bug
Larven, und auch in Deutschland, Frankreich und Luxemburg waren bis ins 20. Jahrhundert Maikäfer als Nahrung keinesfalls verpönt. Heute gilt unter anderem Thailand als Paradies für Liebhaber des ausgefallenen Naschwerks, Touristen wissen um die Verkaufsstände, die Bambuswürmer, Rote Ameisen oder Wasserkäfer anbieten, gegrillt, gebraten oder frittiert, mit Sojasauce oder in Süßsauer. Guten Appetit.
Das oberschwäbische Insekten„Menü“nimmt sich da noch bescheiden aus, das Unternehmen bietet zum Beispiel getrocknete Heimchen mit Zimt und Zucker an, Eiweißriegel für Sportler oder Chips aus Insektenmehl mit Wasabi oder Chili. Oder auch ungewürzte Exemplare als Proteinzutat fürs Müsli, als Pizzabelag, Salattopping oder direkt zum Knabbern aus der Packung. Wobei ein Blick auf die Beschreibung jeden Ernährungsguru beglücken müsste: „Reich an Proteinen und ungesättigten Fettsäuren – Arm an Kohlenhydraten und Zucker – Ohne Zusatzoder Konservierungsstoffe.“Und: „Gezüchtet und verarbeitet in Baden-Württemberg, Deutschland.“Also ein regionales Produkt, frei von Chemie, tauglich als Fleischersatz – und dem Vernehmen nach auch noch nachhaltig.
„Insekten sind sehr genügsam“, bestätigt Sabine Holzäpfel von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg,
die sich mit dem Thema intensiv befasst hat. „Sie brauchen wenig Platz, wenig Wasser und verursachen weniger Treibhausgase als die konventionelle Nutztierhaltung etwa von Schweinen oder Rindern“, erklärt die Expertin, schränkt aber ein: „Gleichzeitig braucht es einen gewissen Energieaufwand für Haltung und Zucht.“Stichwort Tropenklima.
Das Bundesumweltamt wollte es in einer Studie genau wissen und kam zu dem Ergebnis, dass ein Kilo Fleischersatz auf Insektenbasis mit drei Kilogramm Treibhausgasemission zu Buche schlägt. Die Erzeugung von Schweinefleisch oder Geflügel liegt dagegen bei über vier Kilo – und die von Rindfleisch sogar bei 30,5 Kilo. Was ungefähr einer Autofahrt von 200 Kilometern entspricht. Insekten sind hier also umweltfreundlicher. Allerdings: Der geringste Ausstoß an Klimakillern entsteht bei der Produktion von proteinreichen Pflanzen.
Deutlich schwächer als die Ökobilanz steht bisher das Wohl der oft vielgliedrigen Lebewesen im Fokus. Zumindest ist nicht überliefert, dass radikale Tierschützer schon nachts in „tropische Bauernhöfe“eingestiegen wären, um mit Taschenlampen und Kameras danach zu schauen, ob es den Mehlwürmern gut ergeht. Und das obwohl Schebesta einräumt: „Massentierhaltung findet auch bei uns statt.“Allerdings passen die wechselwarmen Wesen ihre Körpertemperatur der Umgebungstemperatur an, leiden offenbar nicht an Platzangst, mögen es vielmehr auf kleinstem Raum kuschelig und unterliegen zudem kurzen Lebenszyklen. Getötet werden sie in Schnüpflingen, indem die Temperatur heruntergedreht wird, was den Verhältnissen in der Natur am nächsten kommen soll, Schmerzen empfinden sie dabei gemäß dem Stand der Wissenschaft nicht. „Bisher gibt es in Deutschland keine spezielle Tierschutzregelung für Insekten“, erklärt Sabine Holzäpfel, juristisch werden sie wie Nutztiere behandelt.
In den Handel kommen entsprechend auch nur Insekten aus kontrollierter Zucht, niemand muss sich also sorgen, dass er in einem Restaurant Heuschrecken serviert bekommt, die irgendwer auf der Schwäbischen Alb oder gar im Ruhrpott gefangen hat. Trotzdem warnt Ernährungsexpertin
Holzäpfel: „Insekten enthalten bestimmte Inhaltsstoffe, die auch in Krustentieren, Weichtieren und Hausstaubmilben vorkommen. Personen, die an entsprechenden Allergien leiden, sollten daher beim Verzehr vorsichtig sein.“
So mag nicht alles, aber doch einiges für ihren Konsum sprechen. Stehen also künftig auf den Speisekarten Gerichte wie Heuschrecken-Rosenkohlsalat mit Walnüssen oder Ofengemüse mit Heimchen? Oder auch Spätzle mit Sauce und ... man mag hier nicht alles zu Ende denken. Genau an dieser Stelle liegt der Knackpunkt, das weiß auch Marco Schebesta: „Es gibt die Vorbehalte gegen Insekten, gegen die Optik, der angeborene Ekel. Diese Zurückhaltung ist noch immer ein Problem für uns.“
Verbraucherschützerin Holzäpfel hat einen weiteren Punkt ausgemacht: „Wir brauchen keine Insekten, um unseren Bedarf an Proteinen abzudecken“, betont sie. „Wir nehmen schon jetzt eher zu viel als zu wenig zu uns.“Und das tun wir in Form von Hülsenfrüchten, Nüssen, Fisch und Fleisch meist auch zu einem günstigeren Preis, kosten 30 Gramm geröstete Heuschrecken doch 9,90 Euro, Heimchen liegen bei 7,90 Euro, das Mehl gibt es ab 11,90 Euro für 100 Gramm. Erst eine industrielle Produktion in großem Stil könnte den Preis attraktiver machen und über die Auslastung auch die Ökobilanz weiter verbessern.
Ob es hierzulande zum Insektenboom kommt, ist daher völlig ungewiss, vor allem junge Leute, weltreisend und experimentierfreudig, könnten womöglich den Konsum von Heuschrecken etwas ankurbeln. Die nun eigentlich wie schmecken? „Lecker“, behauptet Schebesta, „nussig, mit schönen Röstaromen“, zudem im Biss unüberhörbar knusprig. Der Analyse ist nach einer Selbstverkostung, die Flügel vorher abgezupft, nichts hinzuzufügen, widersprechen muss man ihr auf alle Fälle nicht. Und über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten, was beim Verzehr von Kriech- und Krabbeltieren ganz besonders gilt.