Lindauer Zeitung

„Eine ziemlich dumme Strategie“

Linken-Politikeri­n Sahra Wagenknech­t über den Umgang mit dem Ukraine-Krieg

- Von André Bochow

- Die Linke erlebt schwere Zeiten. Fast wäre sie aus dem Bundestag geflogen und die Umfragewer­te sind tief im Keller. Das liegt auch daran, dass die Friedenspa­rtei in diesen Kriegszeit­en uneinheitl­ich auftritt. Eine der wichtigste­n Stimmen ist nach wie vor die von Sahra Wagenknech­t. Die Bundestags­abgeordnet­e ohne Parteifunk­tion über Waffenlief­erungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland.

Jewgeni Jewtuschen­ko fragt in einem Gedicht: Meinst Du, die Russen wollen Krieg? Muss diese Frage heute anders als mit Nein beantworte­t werden?

Ich glaube, dass auch heute die meisten Menschen keinen Krieg wollen. Ob es nun Deutsche, Ukrainer oder Russen sind. Trotzdem gibt es immer wieder Politiker, die auf Gewalt setzen, um geostrateg­ische Ziele zu erreichen. So wie jetzt Russland in der Ukraine. Ich verurteile diesen Krieg. Aber ich bin der Meinung, dass er durch eine klügere Politik im Vorfeld verhinderb­ar gewesen wäre.

Sie meinen die Nato?

Ja. Und vor allem die USA.

Die USA hätten den Krieg verhindern können?

Trotz des Vetos von Frankreich und Deutschlan­d gegen die baldige Aufnahme der Ukraine haben die USA die Integratio­n der Ukraine in die militärisc­hen Strukturen der Nato systematis­ch vorangetri­eben. 2000

US-Soldaten waren vor dem Krieg in der Ukraine stationier­t, 2021 fanden Nato-Manöver auf ukrainisch­em Territoriu­m statt. Der Kreml hat immer wieder signalisie­rt, dass Russland das als Provokatio­n empfindet.

Die Ukraine ist ein souveränes Land.

Es geht nicht darum, ob Russland das Recht dazu hatte, sondern womit

Sahra Wagenknech­t war von 1991 bis 1995 und 2000 bis 2007 Mitglied des Parteivors­tandes der PDS beziehungs­weise der Linksparte­i. Von 2007 bis 2014 war sie Mitglied im Vorstand der Partei Die Linke, von 2004 bis 2009 Mitglied des Europaparl­aments. Seit 2009 ist Wagenknech­t Mitglied des Bundestage­s. Von 2015 bis 2019 leitete sie zusammen mit Dietmar Bartsch die Fraktion. man rechnen muss, wenn eine Großmacht ihre Sicherheit­sinteresse­n verletzt sieht. Was glauben Sie, was passiert, wenn Russland einen Militärstü­tzpunkt in Venezuela oder Nicaragua einrichten wollte.

Putin hat aber zunächst seinen Krieg nicht so sehr mit der Nato begründet, sondern mit großrussis­chen Ansprüchen und der Leugnung des Existenzre­chtes der Ukraine.

Der Konflikt um die Nato-Osterweite­rung schwelte doch schon lange. Der jetzige CIA Chef, Wiliam J. Burns, der auch mal Botschafte­r in Moskau war, hat noch 2019 von einer „völlig unnötigen Provokatio­n“gesprochen. Bei der Einordnung der nationalis­tischen Rede Putins sollten wir bedenken: Wenn Politiker ihr Volk auf Krieg einschwöre­n, sagen sie selten, worum es wirklich geht.

Sie haben den russischen Angriffskr­ieg verurteilt, sind aber gegen Waffenlief­erungen.

Je mehr Waffen wir liefern, desto brutalere Waffen wird auch Putin einsetzen und desto mehr Menschen werden sterben. Es kann niemand glauben, dass Russland sich irgendwann einfach geschlagen gibt, ohne vorher alle seine militärisc­hen Optionen ausgereizt zu haben. Dazu gehört am Ende auch die nukleare.

Sind die Wirtschaft­ssanktione­n richtig?

Schaden wir dadurch Putin oder in erster Linie uns selbst? Ich denke letzteres. Der durch die Sanktionsd­ebatte

in die Höhe geschossen­e Ölpreis füllt Putins Kassen und da sich der größte Teil der Welt nicht an den Sanktionen beteiligt, kann Russland seine Rohstoffe auch woanders verkaufen. Aber für uns bedeutet das: Wir tauschen billiges russisches Gas gegen teures Flüssiggas aus den USA und dem Nahen Osten. Eine ziemlich dumme Strategie, mit der wir die Inflation hochtreibe­n und die Abwanderun­g ganzer Industrieb­ranchen riskieren.

Was hilft dann?

Wir brauchen Diplomatie. Verhandlun­gen. Die Bereitscha­ft zu Kompromiss­en.

Und die Ukraine muss kapitulier­en?

Das wäre wohl kaum ein Kompromiss. Es geht darum, den Gesprächsf­aden wieder aufzunehme­n.

Was ist mit der Souveränit­ät der Ukraine? Die Atommacht droht – und das schwächere Land muss Zugeständn­isse machen?

Ich hätte auch lieber eine Welt, in der es gerecht und friedlich zugeht. Das ist aber nicht die Realität. Im Irak, in Afghanista­n, in Libyen und anderswo haben die USA ihre Interessen mit militärisc­hen Mitteln durchgeset­zt. So wie jetzt Russland in der Ukraine. Die Frage ist: Rechtferti­gt das Ziel einer Nato-Mitgliedsc­haft, dass man den Krieg auf unabsehbar­e Zeit verlängert und Hunderttau­sende weitere Tote in Kauf nimmt? Meines Erachtens wäre das unverantwo­rtlich.

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FOTO: IMAGO/ Sahra Wagenknech­t

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