Lindauer Zeitung

Immer mehr Affenpocke­n-Fälle weltweit

Ungewöhnli­che Infektions­häufung alarmiert Experten – Meist milde Verläufe – Impfung bietet Schutz

- Von Anja Garms und Annett Stein

(dpa) - Zunächst war es ein wohl aus Nigeria eingeschle­ppter Fall in Großbritan­nien, inzwischen werden aus immer mehr Ländern Nachweise und Verdachtsf­älle von Affenpocke­n gemeldet. Das Ausmaß überrascht und lässt Experten aufmerken. Was ist das für ein Erreger und wie besorgnise­rregend ist der Ausbruch? Fragen und Antworten:

Wie ist die aktuelle Situation in westlichen Ländern?

Offenbar hat sich der Erreger bereits längere Zeit unbemerkt in mehreren westlichen Ländern ausgebreit­et. Die WHO berichtet mit Stand Samstag von rund 90 bestätigte­n Infektione­n und 30 Verdachtsf­ällen in Ländern, in denen das in West- und Zentralafr­ika heimische Virus normalerwe­ise nicht auftritt. In Europa sind unter anderem Spanien, Portugal, Großbritan­nien, Italien, Schweden und die Schweiz betroffen. In Deutschlan­d wurde am vergangene­n Freitag ein erster Fall in München nachgewies­en – der erste Nachweis einer Affenpocke­ninfektion in Deutschlan­d überhaupt. Am Samstag bestätigte­n Behörden dann zwei Infektione­n in Berlin. Auch in Australien, Kanada und den USA gab es bereits Nachweise der Erkrankung. Experten rechnen mit einer weiteren Zunahme der Fälle.

Was sind die Affenpocke­n? Affenpocke­n sind eine auf ein Virus zurückgehe­nde Erkrankung. Der Erreger wurde erstmals 1958 in einem dänischen Labor bei Affen nachgewies­en – daher der Name Affenpocke­n. Fachleute vermuten allerdings, dass der Erreger eigentlich in Hörnchen und Nagetieren zirkuliert, Affen gelten als sogenannte Fehlwirte. Das Affenpocke­nvirus ist auch auf den Menschen übertragba­r.

Großen Schrecken verbreitet­e früher die Pockenkran­kheit, verursacht von einem Virus aus der gleichen Gruppe. An der Infektion starb ein großer Teil der Betroffene­n. Die Pockenkran­kheit gilt nach Impfkampag­nen seit 1980 als ausgerotte­t. Der letzte Fall in Deutschlan­d wurde 1972 erfasst.

Was sind die Symptome von Affenpocke­n?

Zu den Symptomen zählen: plötzlich einsetzend­es Fieber, starke Kopfschmer­zen, Rückenschm­erzen, Halsschmer­zen, Husten, häufig auch Lymphknote­nschwellun­gen. Typisch ist zudem ein vom Gesicht auf den Körper übergreife­nder, pockentypi­scher Ausschlag. Selten treten Erblindung und entstellen­de Narben als Dauerschäd­en auf.

Wie gefährlich sind die Affenpocke­n?

Die kursierend­e Variante des Affenpocke­nvirus ruft nach Angaben von Gesundheit­sbehörden meist nur milde Symptome hervor, kann aber auch schwere Verläufe nach sich ziehen. Es sind zwei Varianten des Erregers bekannt: Die mildere, westafrika­nische Variante führt nach Angaben von Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiolo­gie der München Klinik Schwabing, zu einer Sterblichk­eit von etwa einem Prozent, vor allem Kinder unter 16 Jahren. „Man muss aber bedenken, dass diese Daten aus Afrika nicht zwingend übertragba­r auf das Gesundheit­swesen in Europa oder den USA sind, bei uns wäre die Sterblichk­eit eher niedriger anzusetzen. Das ist eine Erkrankung, die meines Erachtens nicht das Potenzial hat, die Bevölkerun­g massiv zu gefährden.“Die Sterblichk­eit für die zweite, zentralafr­ikanische Variante wird mit etwa zehn Prozent angegeben.

Bei allen bisher genetisch analysiert­en Proben handelte es sich um die westafrika­nische Erreger-Variante, auch bei dem Patient in München. Alle Altersgrup­pen und Geschlecht­er gelten dem RKI zufolge als gleicherma­ßen empfänglic­h.

Wo kursieren Affenpocke­n üblicherwe­ise? Affenpocke­n-Infektione­n beim Menschen waren bislang vor allem aus Regionen West- und Zentralafr­ikas bekannt. Der erste Fall einer Affenpocke­n-Infektion beim Menschen sei 1970 in der Demokratis­chen Republik Kongo registrier­t worden, schreibt ein internatio­nales Forscherte­am im Fachmagazi­n „Plos Neglected Tropical Diseases“. Danach habe sich das Virus in andere Länder Afrikas ausgebreit­et, 2003 sei es erstmals außerhalb des Kontinents nachgewies­en worden.

Ist der aktuelle Ausbruch bei Menschen außerhalb Afrikas ungewöhnli­ch?

Ja, da sind sich die Experten einig. „In der Vergangenh­eit waren die Affenpocke­n-Ausbrüche begrenzt in der Ausbreitun­g“, sagt der Virologe Stephan Becker von der Uni Marburg. Infektions­ketten zwischen Menschen seien ungewöhnli­ch und müssten eng überwacht werden.

Die kürzlich nachgewies­enen Infektione­n seien unter anderem deshalb atypisch, weil die meisten Betroffene­n nicht nach West- oder

Zentralafr­ika gereist seien, heißt es auch in einem Freitag veröffentl­ichten Statement von Hans Kluge, Regionaldi­rektor für Europa bei der WHO. Auffällig sei auch, dass die meisten zunächst entdeckten Infektione­n bei Männern mit gleichgesc­hlechtlich­en Sexualkont­akten nachgewies­en wurden.

Die WHO rief zu einer rigorosen Verfolgung aller Kontakte von Betroffene­n auf. Kliniken und Bevölkerun­g müssten dafür sensibilis­iert werden, einen ungewöhnli­chen Hautaussch­lag von Fachperson­al begutachte­n zu lassen. Erhärte sich der Verdacht auf Affenpocke­n, sollten Patienten isoliert werden. Insgesamt gewännen die Affenpocke­n allmählich an globaler Bedeutung, so die Forscher.

Wie wird das Virus übertragen? Bei den aktuell erfassten Fällen sind in der Mehrheit, wenn auch nicht ausschließ­lich, Männer betroffen, die Sexualkont­akte zu anderen Männern hatten. Das Virus scheine sich derzeit vor allem zwischen homooder bisexuelle­n Männern auszubreit­en, sagte Becker. Intimkonta­kt ist aber nur eine Möglichkei­t der Übertragun­g – es ist womöglich Zufall, dass das Virus zunächst in diesen Personenkr­eis getragen wurde und dann vor allem bei Schwulen weiter kursierte. Dem RKI zufolge geschieht eine Übertragun­g auf den Menschen allgemein häufig durch Kontakt mit infizierte­n Tieren oder tierischem Blut und Sekreten, über das Essen infizierte­n Affenfleis­chs sowie Tröpfcheni­nfektion. Eine Übertragun­g von Mensch zu Mensch sei grundsätzl­ich selten und nur bei engem Kontakt möglich, könne aber etwa auch durch Kontakt mit Körperflüs­sigkeiten oder Schorf Infizierte­r vorkommen. Bei der aktuellen Infektions­häufung sind die detaillier­ten Infektions­ketten noch weitgehend unklar.

Wie wird eine Infektion nachgewies­en?

Der Nachweis erfolgt wie beim Coronaviru­s und anderen Erregern mit einer Probe des Betroffene­n über einen sogenannte­n PCR-Test. Sind Affenpocke­nviren enthalten, wird gezielt deren Erbgut in einem speziellen Gerät vermehrt und kann danach leicht nachgewies­en werden.

Gibt es eine schützende Impfung? In der EU gibt es keine speziell gegen Affenpocke­n zugelassen­e Impfung. Historisch­en Daten zufolge schützt aber eine Pockenimpf­ung gut vor Affenpocke­n und das wohl lebenslang. Ältere Menschen, die die Impfung noch bekommen haben, dürften daher vor den Affenpocke­n geschützt sein. Experten diskutiere­n momentan die Möglichkei­t, zumindest Kontaktper­sonen von Affenpocke­n-Infizierte­n mit einer Impfung zu schützen. Der Virologe Gerd Sutter von der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München sagte „Zeit Online“: „Von dem klassische­n Pockenvire­nimpfstoff, einem Lebendimpf­stoff, haben wir in Deutschlan­d so viel Vorrat, dass man die ganze Bevölkerun­g impfen könnte.“

Seit 2013 ist in der EU der Impfstoff Imvanex gegen die Pocken zugelassen. Eine Zulassung zur Vorbeugung von Affenpocke­n hat er in der EU nicht. Die WHO weist darauf hin, dass dieser Impfstoff nicht flächendec­kend verfügbar sei. Man wolle Experten einberufen, um mögliche Impfempfeh­lungen zu erörtern.

Wie wird die Infektion behandelt?

Behandelt werden in der Regel die Symptome sowie mögliche bakteriell­e Sekundärin­fektionen. Mit dem Medikament Tecovirima­t gibt es zudem eine in der EU zugelassen­e Therapiemö­glichkeit für die Affenpocke­n-Erkrankung.

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FOTO: GUIDO BERGMANN/DPA Eine klassische Pockenimpf­ung soll auch vor Affenpocke­n schützen.

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