Die Mafia, der Falcone-Mord und die Folgen
Anschlag vor 30 Jahren gilt als Wendepunkt in Italiens Kampf gegen organisiertes Verbrechen
(AFP) - Die Bombenexplosion auf einer Autobahn nahe des Flughafens von Palermo war so heftig, dass die Erschütterung von den Messgeräten des Nationalen Instituts für Geophysik registriert wurde. Bei dem Anschlag vom 23. Mai 1992 starben der Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone, seine Frau und drei Leibwächter. Dieses Attentat der sizilianischen Cosa Nostra und die Ermordung von Staatsanwalt Paolo Borsellino zwei Monate später waren ein Wendepunkt in Italiens Kampf gegen die Mafia.
„Es war Krieg und wir fühlten uns alle wachgerüttelt“, beschreibt Marzia Sabella die Wirkung der Anschläge vor 30 Jahren. Sabella gehört zu einer neuen Generation von Anti-Mafia-Richtern und -Staatsanwälten, die nach Falcones Tod den Kampf gegen das organisierte Verbrechen aufnahmen. Sie war damals 27 und wollte Notarin werden, doch unter dem Eindruck von Falcones Tod fing sie als einzige Frau bei der Anti-MafiaStaatsanwaltschaft in Palermo an. „Ich habe es nie bereut“, sagt Sabella.
Sie und ihre Kollegen profitierten von neuen harten Anti-Mafia-Gesetzen, die nach den Anschlägen verabschiedet wurden. Die Justiz nutzte neue Methoden wie das Anheuern von Informanten und das Anhäufen von Beweisen, was sogenannte Maxi-Prozesse gegen Hunderte Mafiosi ermöglichte. „Dank Falcone und Borsellino wurde die sizilianische Mafia eine offenkundige Tatsache, nicht etwas, dessen Existenz bei jedem Prozess bewiesen werden musste“, erinnert sich Sabella.
Richter Roberto Di Bella erinnert sich, dass die Anschläge „landesweite Proteste auslösten und einen entscheidenden Kulturwandel“. Di Bella hat den Großteil seiner Karriere darauf verwandt, Kinder davor zu bewahren, in die Ndrangheta hineingezogen zu werden, die kalabrische Mafia, die mittlerweile mächtiger ist als ihre sizilianische Rivalin. 2016 bekam Di Bella wegen Todesdrohungen
eine bewaffnete Eskorte. Der 58Jährige, der heute Richter im sizilianischen Catania ist, beschreibt diesen Einschnitt als „sehr schwierig, vor allem am Anfang“. „Es fing auf niedriger Stufe an, dann wurde es Stück für Stück mehr bis zu einem gepanzerten Wagen und jetzt begleitet mich die Polizei überall hin.“
Wie Di Bella bringen viele andere Juristen Opfer für den Kampf gegen die Mafia. Laut italienischem Innenministerium standen 2019 landesweit 274 Richter unter Polizeischutz. „Du hast kein Privatleben mehr und deine Freiheit ist dahin“, sagt Sabella. „Aber du gewöhnst dich dran und nach einer Weile wird die Eskorte Teil deiner Familie.“
Falcone wird heute als Nationalheld verehrt, zu Lebzeiten wurde ihm allerdings Geltungssucht vorgeworfen. Zahlreiche andere Richter und Politiker, die die Macht der Mafia unterschätzten, übten Kritik an dem Juristen. Falcone wurde sogar vorgeworfen, ein vereitelter Mordanschlag gegen ihn im Jahr 1989 sei nur inszeniert gewesen.
„Falcone wusste, dass er nicht verstanden wird“, sagt Sabella. 1988 wurde ihm der Posten als ChefStaatsanwalt
von Palermo verweigert. Und weil Falcone als isoliert gegolten habe, habe die Mafia sich ermutigt gefühlt, ihn zu ermorden, meint die Staatsanwältin.
Der Richter Nino Di Matteo warnte unlängst davor, dass sich die Geschichte bei Nicola Gratteri, dem bekanntesten Kämpfer gegen die 'Ndrangheta, wiederholen könnte. Dennoch wurde Gratteri diesen Monat der Posten als nationaler AntiMafia-Chefankläger verwehrt. Jüngste Polizeiermittlungen zeigen, dass es neue Mordpläne gegen Gratteri gibt, der bereits seit 30 Jahren unter Polizeischutz steht.
Nach dem Mord an Falcone und einer Reihe anderer Mafia-Anschläge hörte die Gewalt 1993 plötzlich auf. Seitdem wurde die Cosa Nostra durch mehrere Verhaftungswellen geschwächt. Besiegt sind sie und die anderen Mafia-Organisationen im Land allerdings nicht.
Sabella mahnt, der Staat müsse den Druck gegen die Mafia konsequent aufrechterhalten. „Wenn wir nachlassen, müssten wir nach nicht einmal einem Monat bei null anfangen – und die Leichen von den Straßen räumen.