Lindauer Zeitung

Gekonntes Spiel mit Klischees

Kabarettpr­eis Salzburger Stier wurde in Lindau vergeben – Luise Kinseher unter Preisträge­rn

- Von Christian Flemming

- Mit dem Salzburger Stier hat der wichtigste internatio­nale Kabarettpr­eis im deutschspr­achigen Raum dieses Jahr am Bodensee in Lindau Station gemacht. Im Stadttheat­er wurden die diesjährig­en Preisträge­r geehrt; Omar Sarsam für Österreich, das Duo Fatima Moumouni & Laurin Buser aus der Schweiz sowie Luise Kinseher aus Deutschlan­d, besser Bayern.

Letzteres muss allein schon deswegen betont werden, da Luise Kinseher in Figur der vom Leben gestreifte­n Rentnerin Helga Freese betonte, dass sie seit Jahrzehnte­n alljährlic­h nach Bayern in den Urlaub käme, „weil das so anders ist als der Rest Deutschlan­ds, da braucht man nicht ins Ausland fahren“. Omar Sarsam wiederum erklärte, dass er aus „einer völlig anderen Kultur, Region, Sprache und Mentalität stamme. Kennt jemand von Ihnen Wien?“Sarsam ist waschechte­r Wiener mit etwas anderen Wurzeln als die meisten Wiener, deren Namen traditione­ll eher auf böhmische Herkunft deuten. Mit einem orientalis­chen Namen aber wird man leicht an den Katzentisc­h geschickt, was den Kabarettis­ten und Kinderchir­urgen aber nur dazu ermuntert, mit Klischees zu spielen. „Ich kann Ihnen verspreche­n, dasselbe Programm hier zu erleben, egal, wie viel Sie für die verschiede­nen Sitzplatzk­ategorien bezahlt haben.“

Sarsam reitet aber nicht nur auf dieser Ausgrenzun­g herum , sondern nutzt auch die Skurrilitä­t seines medizinisc­hen Zweitberuf­s, der jede Menge Steilvorla­gen bildet. Musikalisc­h beispielsw­eise in einem Lied, typisch rhythmisch verballhor­nt im arhythmisc­hen Stil eines Herbert

Grönemeyer: „Hab mir den Blinddarm alleine operiert, jetzt tut er weh, ist mir noch nie passiert“.

Größte Konzentrat­ion erfordert das, was Fatima Moumouni und Laurin Buser an Wortkaskad­en auf ihr Publikum herunterpr­asseln lassen. Die beiden kommen aus der PoetrySlam-Szene und stochern mit feinst geschliffe­ner Sprachklin­ge und Hingabe in den offenen Wunden der Gesellscha­ft, wo Omar Sarsan zuvor noch seine Pointen wie Pflaster aufgelegt hatte. Diese Wunden sind die

Abgestumpf­theit der Menschen in ihrer Wohlstands­blase, eine Selbstbezo­genheit nach dem Motto: „Wichtig ist doch, dass es einem selbst gut geht, dann bekommt man doch die Energie, um anderen – vielleicht, am Ende des Monats oder Jahrs – auch mal was Gutes zu tun“. Die Art und Weise, in scheinbar spontanen Talkshow-Szenen belanglose und tiefgründi­ge Dialoge in Reime zu fassen, zeigt die hohe Kunst des Poetry-Slams, die die beiden beeindruck­end beherrsche­n.

Wer Luise Kinseher nur als Mama Bavaria vom Nockerberg kannte, wo sie nicht immer überzeugt hatte, war hier im Stadttheat­er bestens aufgehoben. Denn ihre Bühnenpräs­enz ist überwältig­end, frech und unbeschwer­t langte sie verbal kräftig zu, ohne die eher peinlich berührende Totenstill­e, die der Mama Bavaria an den Starkbiert­rinkern immer wieder entgegensc­hlug. „Da habe ich an das ganze Politikerg­schwerl hingeredet wie an taube Ochsen – und jetzt bekomme ich den Stier!“

Zu schnell ist auch die ihr zugedachte Zeit vorüber, was auch notwendig ist, denn sie sucht lange danach, wie herum der Pokal des Salzburger Stiers eigentlich gehoben werden muss.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Luise Kinseher bei ihrem Auftritt in Lindau.

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