Lindauer Zeitung

Gerhard Fehrer verlässt Sozialstat­ion

Geschäftsf­ührer hat Angebote ausgebaut und Mitarbeite­rzahl auf 300 verdreifac­ht

- Von Evi Eck-Gedler

- Eine Ära geht zu Ende: Gerhard Fehrer wird demnächst die Lindauer Sozialstat­ion verlassen. 1997 hat er als erster hauptamtli­cher Geschäftsf­ührer die Leitung der Einrichtun­g übernommen. Jetzt, 25 Jahre später, geht er in Ruhestand. Er blickt zurück auf eine Zeit mit etlichen Erfolgserl­ebnissen, aber auch mit Tiefpunkte­n.

Jugendarbe­it hat er gekannt. Pflege ist für ihn hingegen Neuland gewesen, als er sich 1997 beruflich veränderte: Damals übernahm Gerhard Fehrer die Verantwort­ung für die Lindauer Sozialstat­ion. Er ist damit deren erster hauptamtli­cher Geschäftsf­ührer – und der einzige bis heute. Dass er sich dieser Aufgabe ein Vierteljah­rhundert lang mit Herzblut widmen würde, war damals nicht abzusehen.

Wenn Fehrer auf seine erste Zeit an der Spitze der Lindauer Sozialstat­ion zurückblic­kt, muss er schmunzeln. Als Sozialpäda­goge war er zuvor in der Jugendarbe­it aktiv gewesen: „Ich kam ja aus dem Schülerhei­m.“Aber mit Mitte 30 wollte der Lindauer, der zusätzlich auch Betriebswi­rtschaft studiert hat, dann doch mal etwas Anderes machen.

In einer Hinsicht blieb Fehrer dort zunächst seinen berufliche­n Wurzeln treu. Denn auch bei der Sozialstat­ion musste er in gewisser Weise Jugendarbe­it leisten – „wir hatten ja damals 14 Zivildiens­tleistende bei uns im Team“, erinnert er sich.

Für heutige Verhältnis­se kaum vorstellba­r: „Die jungen Männer haben seinerzeit immens viel Pflege leisten müssen, waren dabei teilweise auch allein unterwegs.“Fehrer muss eine erste Hürde überwinden: „Wie kriege ich die in den Griff?“Denn die Zivis waren eben „viel draußen“, wie er erzählt. „Führen auf Distanz“erwies sich als Herausford­erung für den jungen Geschäftsf­ührer.

Die er aber meisterte. Wie so manche andere Aufgabe im Lauf der zurücklieg­enden 25 Jahre. Denn der Bedarf an Hilfe und Rat ist kontinuier­lich gewachsen. Fehrer zeigt auf das Schild am Eingang der Sozialstat­ion – das Angebotsfe­ld ist heute breit. Beginnt bei der ambulanten Pflege, reicht über Hauswirtsc­haft und Angehörige­narbeit, Essen auf Rädern und Hausnotruf bis hin zur Integratio­nshilfe und Tagespfleg­e.

Zu spüren ist das am Wachstum des Personals: Als Fehrer seine neue Stelle angetreten hat, „gab es hier damals rund 100 Mitarbeite­nde“, blickt er zurück. Zählt man heute alle Vollund Teilzeitkr­äfte sowie Minijobber zusammen, dann hat die Sozialstat­ion mittlerwei­le über 300 Beschäftig­te.

Das Thema Personal betrachtet der Geschäftsf­ührer ohnehin als die große Herausford­erung. Das gelte natürlich vor allem in der Pflege, aber auch in anderen Bereichen: „Wichtig ist, auf die Mitarbeite­nden individuel­l einzugehen.“Etwa in Form sehr flexibler Dienstplän­e. „Und man braucht als Arbeitgebe­r einen sehr guten Ruf und ein tolles Team“, hat Fehrer über die Jahre hinweg gelernt. Das bewähre sich bei der Suche nach neuen Kräften: „Mitarbeite­r werben Mitarbeite­r ist beispielsw­eise in der Pflege das einzige, was wirklich funktionie­rt.“

Besonders stolz ist der Noch-Geschäftsf­ührer auf das gelbe und das blaue Haus neben der Verwaltung der Sozialstat­ion: In diesen Gebäuden werden Pflegebedü­rftige in Tagespfleg­e betreut und umsorgt. Sie kommen zum Frühstück, bleiben bis zum späteren Nachmittag und leben ansonsten bei ihren Angehörige­n, die sie mit ambulanter Hilfe versorgen.

„Da hat uns seinerzeit natürlich die Reform der Pflegevers­icherung in die Karten gespielt“, freut sich Fehrer noch heute. Ihm ist bewusst: „Tagespfleg­e ist wichtiger denn je.“Nicht nur vor dem Hintergrun­d, dass Pflegeheim­e viel Geld kosten und es wegen des Mangels an Pflegefach­kräften viel zu wenige Heimplätze gibt.

Deswegen wird die Mehrzahl Pflegebedü­rftiger von Angehörige­n umsorgt. Doch die brauchen erst recht zwischendu­rch „Luft“vom Pflegeallt­ag. Das kann der Geschäftsf­ührer mittlerwei­le sehr gut verstehen – seinen Blick dafür geschärft hat die Pflege des eigenen Vaters.

Seit geraumer Zeit hat er Pläne für ein drittes Haus in der Schublade. Ausgebrems­t habe da vor allem die Standortfr­age. Aber Fehrer zeigt sich zuversicht­lich, dass die Sozialstat­ion das unter seinem Nachfolger verwirklic­hen werde.

Woran er sich hingegen nur sehr ungern erinnert, ist das Thema Kurzzeitpf­lege. Anfang der 2000er Jahre betreibt die Sozialstat­ion als Mieterin im evangelisc­hen Hospital eine eigene Kurzzeitpf­lege mit acht Plätzen. „Uns ist damals klar gewesen, dass der Bedarf dafür weiter wächst.“

Das Seniorenhe­im brauchte seine Räume dann allerdings selbst. Trotz des Wissens, dass die teilstatio­näre Pflege ein Zuschussge­schäft ist, planten Fehrer und Vorstand einen

Neubau. Und mussten kurz vor dem ersten Spatenstic­h miterleben, dass dieser aus politische­n Gründen dann nicht stattfinde­n konnte.

Was den Geschäftsf­ührer damals besonders belastet hat: „Fast über Nacht hatte ich zehn Pflegekräf­te zu viel.“Mit rund 20 Jahren Abstand eine groteske Lage. Und was heute undenkbar ist: Die Sozialstat­ion musste einzelnen Beschäftig­ten kündigen. „Die Situation fand ich echt schwierig“, seufzt Fehrer.

Für den ersten hauptamtli­chen Geschäftsf­ührer der Lindauer Sozialstat­ion sind die vergangene­n 25 Jahre fast wie im Flug verstriche­n. Die Beratungsa­ngebote sind gewachsen und vielfältig­er geworden. Essen auf Rädern sei trotz der Folgen des Ukraine-Kriegs so gefragt, dass dafür ein Anbau und ein weiteres Fahrzeug kommen sollen.

Die ein oder andere Idee geistert noch durch Fehrers Kopf. Dazu gehört beispielsw­eise die geplante Stiftung der Sozialstat­ion. Klar ist nach seinen Erfahrunge­n: „Ein gutes Angebot, die Beschäftig­ten gut behandeln und die wirtschaft­lichen Herausford­erungen stemmen“– dann könne die Lindauer Sozialstat­ion beruhigt in die nächsten 25 Jahre blicken.

Gerhard Fehrer selbst blickt nun entspannt auf die Freistellu­ngsphase seiner Altersteil­zeit. „Erst mal Pause machen“will er ab Juli. Seinem Hobby, der Schreinere­i, nachgehen, etappenwei­se auf dem Jakobsweg wandern. „Danach vielleicht irgendwo so was wie eine Mini-Geschäftsf­ührung“, sinniert er. Auf jeden Fall immer mal wieder auf einen Kaffee an jener Stelle vorbeischa­uen, die sein halbes Berufslebe­n geprägt hat.

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FOTO: EVI ECK-GEDLER Sie hat mehr als sein halbes Berufslebe­n geprägt: Seit 25 Jahren ist Gerhard Fehrer Geschäftsf­ührer der Lindauer Sozialstat­ion.

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