Katholiken diskutieren ihre Haltung im Ukraine-Konflikt
Ministerpräsident Kretschmann erwartet vom Katholikentreffen politische Botschaften – Start am Mittwoch
- Der russische Überfall auf die Ukraine wird auch den am Mittwoch beginnenden 102. deutschen Katholikentag in Stuttgart beherrschen. Bis Sonntag werden in der baden-württembergischen Landeshauptstadt etwa 25 000 Teilnehmer erwartet, die das Thema „Krieg und Frieden“heftig diskutieren werden. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erwartet, dass vom Katholikentag politische Botschaften ausgehen, die die Waffenlieferungen in die Ukraine als Hilfe zur Notwehr legitimieren.
Hinter den Krieg zwischen Russland und der Ukraine dürften die Themenfelder, die seit vielen Jahren auf Katholikentagen die Schlagzeilen und Foren dominieren, zurücktreten. Der anhaltende Reformstau in der katholischen Kirche, der immer noch nicht aufgearbeitete Missbrauchsskandal, die Spannungen zwischen Staat und Kirche wegen der von der Ampel-Koalition in Berlin geplanten Ablösung staatlicher Leistungen an die Kirchen werden sicher kontrovers diskutiert werden. Der Sprecher der reformorientierten Aktionsgemeinschaft Rottenburg, Klaus Kempter, sprach am Freitag von „Ängstlichkeit, Mutlosigkeit, Perspektivlosigkeit, Hilflosigkeit und Mangelverwaltung“an der Basis. Notwendig sei beim Katholikentag ein offener Austausch über die Realität
in den Gemeinden. So müsse über Austritte, über die Autorität der Bischöfe und über „vertane Chancen“gesprochen werden.
Doch dürften Diskussionen einseitig verlaufen, ein echter Austausch zwischen beiden Seiten ist nicht zu erwarten. Das Programm bildet mit Diskussionen etwa zu Mitbestimmung in der Kirche, Bekenntnissen zu sexueller Vielfalt und gleichgeschlechtlicher Liebe oder der Zulassung von Frauen zum Priesteramt
vornehmlich den fast schon klassischen Kanon des Reformflügels ab. Konservative Vertreter, wie der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der in seinem Bistum massiv unter Druck steht, sind in Stuttgart nicht zugegen.
Woelkis Amtsbruder Gebhard Fürst, Bischof der gastgebenden Diözese Rottenburg-Stuttgart, betont, er habe in der Bischofskonferenz „mehrfach alle informiert und herzlich eingeladen“. Man freue sich über jeden Bischof, der da sei. „Die Menschen wollen die Verantwortungsträger kennenlernen können. Wer nicht kommt, der hat sich nicht angemeldet – ausgesperrt wurde niemand.“
Dagegen wird die Frage nach konkreter Hilfe für die Ukraine kontrovers besprochen. Beispielsweise unter dem Titel „Die Ukraine – Europas klaffende Wunde. Putins Angriffskrieg und die Folgen“. Auf dem Podium diskutieren die ehemalige ukrainische Ministerin Ivanna KlympushTsintsadze, der Politikwissenschaftler Carlo Masala sowie der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, der CSU-Politiker Manfred Weber.
„Viele Christen treibt das Thema um, ob Waffenlieferungen unterstützt werden dürfen“, beleuchtet Ministerpräsident Kretschmann und erklärt: „Jesus war Pazifist und hat es abgelehnt, dass seine Diener mit dem Schwert für ihn kämpfen. Ergebnis war, dass er gekreuzigt wurde. Jesus hat seine Haltung vor Pilatus damit begründet, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist.“Er sei als Ministerpräsident für ein „Reich in dieser Welt“verantwortlich“. Kretschmanns Folgerung: „Ich bin für Waffenlieferungen, weil der Staat seine Bürger schützen muss.“Der Einzelne könne Pazifist sein: „Aber ich habe als christlicher Politiker kein moralisches Problem mit Waffenlieferungen. Ich bin von dieser Welt. Es gibt die Ultima Ratio der Notwehr.“