Lindauer Zeitung

Neuer Blick auf die Römer und ihre Götterwelt

Dauerausst­ellung im Tempelbezi­rk von Kemptens antiker Vorgängers­tadt Cambodunum sieht nun ganz anders aus.

- Von Klaus-Peter Mayr

- Welche Gottheiten verehrten die Menschen in Kemptens Vorgängers­tadt Cambodunum vor 2000 Jahren? Welche Zeremonien und Rituale vollzogen die Römer und Römerinnen, um die überirdisc­hen Mächte milde zu stimmen? Und warum taten sie das überhaupt? Darauf gibt die Sonderauss­tellung im Tempelbezi­rk des Archäologi­schen Parks auf dem Kemptener Lindenberg auf ganz andere Weise als bisher Auskunft. Für 267000 Euro hat die Stadt die in die Jahre gekommene Vorgängers­chau im Eingangsbe­reich des Tempelbezi­rks völlig neu gestaltet. Viele historisch­e Objekte, die bei Ausgrabung­en ans Tageslicht kamen, sollen – zusammen mit kleinen Texten, große Bildern, einem Video und drei Hörstation­en, Objekten zum Befühlen sowie Spielen und Mitmachsta­tionen – Einheimisc­hen wie Gästen Wissenswer­tes über die antiken Glaubensvo­rstellunge­n der damaligen Menschen vermitteln. Wie schon berichtet, wird dies am jetzigen Wochenende mit einem Fest gefeiert.

Die Ausstellun­g haben die Stadtarchä­ologen unter Leitung von Maike Sieler ganz an den Anfang platziert. Betritt man den Tempelbezi­rk mit den Mauerreste­n und den Nachbauten einstiger Kultstätte­n, gelangt man erst einmal in die sogenannte Umgangshal­le, die ebenfalls rekonstrui­ert wurde. Hier haben Besucher durch große Glasfenste­r hindurch eine beeindruck­ende Aussicht auf jenen Teil der antiken Römerstadt, der, wenngleich er nicht im Zentrum lag, eine zentrale Funktion für die Bewohnerin­nen und Bewohner hatte, die sich ab etwa dem Jahr Null unserer Zeitrechnu­ng am Hochufer der Iller niedergela­ssen und eine zivile Stadt nach mediterran­em Vorbild errichtet hatten.

„Kult und Glauben spielten in allen Bereichen des Lebens eine Rolle“, kann man auf den großen Schautafel­n lesen, die in dezentem Rot Infos bieten – samt den bunten Zeichnunge­n von Roger Mayrock, die so anschaulic­h den Alltag in Cambodunum visualisie­ren. Und man erfährt auch, dass die Römer ihre Mitmensche­n mit Flüchen und Schadensza­ubern belegen wollten – obwohl dies offiziell verboten war.

Der Götterhimm­el der Römer war groß. Das ist schön an einem Tableau abzulesen, das die Grafiker, die das städtische Kulturamt engagiert hatte, auf den Glasfläche­n anbrachten. Unter die römischen Gottheiten wie Jupiter, Merkur, Venus und Herkules mischten sich auch lokale Gottheiten, die die Römer von den vorher hier lebenden Kelten übernommen hatten. Etwa Epona, die Schutzherr­in der Pferde, Maultiere und Esel sowie der Wagenführe­r und Reiter. Die Ausstellun­gsmacher setzen neben Wissenswer­tem auch auf Unterhaltu­ng. So können sich Kinder (und natürlich Erwachsene) aus Holzklötze­n eine Gottheit bauen. Und wer sich die Zukunft vorhersage­n lassen möchte, muss mit Knöchelche­n würfeln und deren Lage orakelhaft interpreti­eren.

In den vergangene­n Jahren besuchten durchschni­ttlich 30 000 Menschen den Römerpark. Durch die neue Dauerausst­ellung wollen das Kulturamt und seine Archäologi­eabteilung

die Attraktivi­tät des APC weiter steigern. Schon vor rund zwei Jahren installier­ten sie auf dem nebenanlie­genden Freigeländ­e einen Rundweg mit Schautafel­n und einer interaktiv­en App für Smartphone­s. Nun werten sie den Tempelbezi­rk auf. Ihre Ambitionen spiegeln sich auch im Titel: „Um Gottes Willen: Die Tempel von Cambodunum – neu entdeckt“. Auf die Gestaltung, die internatio­nale

Designer schufen, sei sie stolz, sagt Stadtarchä­ologin Maike Sieler. Von den 267 000 Euro Kosten kamen 107 000 durch Zuschüsse (von Bezirk und Landestell­e für nichtstaat­liche Museen) wieder herein, so dass die Stadt 160000 Euro hinlegte. Auch regionale Unterstütz­er gab es (Gewerbepar­k Kempten, Seitz Investment).

„Wir wollten so wenig Geld wie möglich ausgeben“, sagt Sieler und versichert, dass man das Ganze auch teurer hätte inszeniere­n können. Auf modernste Medien-Technologi­e, die derzeit gern in neue Museen eingebaut werde, habe man bewusst verzichtet und stattdesse­n „Lowtech“eingesetzt. Damit Menschen mit Handicaps die Ausstellun­g anschauen können, wurde sie barrierefr­ei konzipiert, etwa mit einem taktilen Leitsystem für Sehbehinde­rte und blinde Menschen.

Wer sich nach dem Betreten der Umgangshal­le nicht nach links zu den Gottheiten wendet, sondern nach rechts, sieht auf die Wand gezeichnet­e Schafe, die seelenruhi­g Gras fressen. So sah es vor 1937 an diesem Ort aus: Wiesen bedeckten die steinernen und hölzernen Reste des einstigen Cambodunum. Dieser Teil der neuen Dauerausst­ellung erläutert die Ausgrabung­sgeschicht­e. Sie beginnt mit einem Spatenstic­h im Jahr 1937. Damals sollte auf dem Lindenberg ein Offiziersh­eim errichtet werden. Doch bald stieß man auf Mauerreste aus der Antike.

Die Entdeckung des Tempelbezi­rks stoppte den Bau des Offiziersh­eims und ermöglicht­e es dem Archäologe­n Ludwig Ohlenroth und seinem Team, in die Tiefe zu graben. 1982 wurde die Erforschun­g der Vorgängers­tadt Kemptens fortgesetz­t – mit dem Archäologe­n Gerhard Weber. Unter seiner Ägide wurde auch der Tempelbezi­rk teilweise rekonstrui­ert.

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FOTO: MATTHIAS BECKER Die Ausstellun­gsmacher haben sich einiges einfallen lassen: Fotos, Texte und noch viel mehr zeigen, wie die Römer im Tempelbezi­rk ihren Glauben lebten.

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