Neuer Blick auf die Römer und ihre Götterwelt
Dauerausstellung im Tempelbezirk von Kemptens antiker Vorgängerstadt Cambodunum sieht nun ganz anders aus.
- Welche Gottheiten verehrten die Menschen in Kemptens Vorgängerstadt Cambodunum vor 2000 Jahren? Welche Zeremonien und Rituale vollzogen die Römer und Römerinnen, um die überirdischen Mächte milde zu stimmen? Und warum taten sie das überhaupt? Darauf gibt die Sonderausstellung im Tempelbezirk des Archäologischen Parks auf dem Kemptener Lindenberg auf ganz andere Weise als bisher Auskunft. Für 267000 Euro hat die Stadt die in die Jahre gekommene Vorgängerschau im Eingangsbereich des Tempelbezirks völlig neu gestaltet. Viele historische Objekte, die bei Ausgrabungen ans Tageslicht kamen, sollen – zusammen mit kleinen Texten, große Bildern, einem Video und drei Hörstationen, Objekten zum Befühlen sowie Spielen und Mitmachstationen – Einheimischen wie Gästen Wissenswertes über die antiken Glaubensvorstellungen der damaligen Menschen vermitteln. Wie schon berichtet, wird dies am jetzigen Wochenende mit einem Fest gefeiert.
Die Ausstellung haben die Stadtarchäologen unter Leitung von Maike Sieler ganz an den Anfang platziert. Betritt man den Tempelbezirk mit den Mauerresten und den Nachbauten einstiger Kultstätten, gelangt man erst einmal in die sogenannte Umgangshalle, die ebenfalls rekonstruiert wurde. Hier haben Besucher durch große Glasfenster hindurch eine beeindruckende Aussicht auf jenen Teil der antiken Römerstadt, der, wenngleich er nicht im Zentrum lag, eine zentrale Funktion für die Bewohnerinnen und Bewohner hatte, die sich ab etwa dem Jahr Null unserer Zeitrechnung am Hochufer der Iller niedergelassen und eine zivile Stadt nach mediterranem Vorbild errichtet hatten.
„Kult und Glauben spielten in allen Bereichen des Lebens eine Rolle“, kann man auf den großen Schautafeln lesen, die in dezentem Rot Infos bieten – samt den bunten Zeichnungen von Roger Mayrock, die so anschaulich den Alltag in Cambodunum visualisieren. Und man erfährt auch, dass die Römer ihre Mitmenschen mit Flüchen und Schadenszaubern belegen wollten – obwohl dies offiziell verboten war.
Der Götterhimmel der Römer war groß. Das ist schön an einem Tableau abzulesen, das die Grafiker, die das städtische Kulturamt engagiert hatte, auf den Glasflächen anbrachten. Unter die römischen Gottheiten wie Jupiter, Merkur, Venus und Herkules mischten sich auch lokale Gottheiten, die die Römer von den vorher hier lebenden Kelten übernommen hatten. Etwa Epona, die Schutzherrin der Pferde, Maultiere und Esel sowie der Wagenführer und Reiter. Die Ausstellungsmacher setzen neben Wissenswertem auch auf Unterhaltung. So können sich Kinder (und natürlich Erwachsene) aus Holzklötzen eine Gottheit bauen. Und wer sich die Zukunft vorhersagen lassen möchte, muss mit Knöchelchen würfeln und deren Lage orakelhaft interpretieren.
In den vergangenen Jahren besuchten durchschnittlich 30 000 Menschen den Römerpark. Durch die neue Dauerausstellung wollen das Kulturamt und seine Archäologieabteilung
die Attraktivität des APC weiter steigern. Schon vor rund zwei Jahren installierten sie auf dem nebenanliegenden Freigelände einen Rundweg mit Schautafeln und einer interaktiven App für Smartphones. Nun werten sie den Tempelbezirk auf. Ihre Ambitionen spiegeln sich auch im Titel: „Um Gottes Willen: Die Tempel von Cambodunum – neu entdeckt“. Auf die Gestaltung, die internationale
Designer schufen, sei sie stolz, sagt Stadtarchäologin Maike Sieler. Von den 267 000 Euro Kosten kamen 107 000 durch Zuschüsse (von Bezirk und Landestelle für nichtstaatliche Museen) wieder herein, so dass die Stadt 160000 Euro hinlegte. Auch regionale Unterstützer gab es (Gewerbepark Kempten, Seitz Investment).
„Wir wollten so wenig Geld wie möglich ausgeben“, sagt Sieler und versichert, dass man das Ganze auch teurer hätte inszenieren können. Auf modernste Medien-Technologie, die derzeit gern in neue Museen eingebaut werde, habe man bewusst verzichtet und stattdessen „Lowtech“eingesetzt. Damit Menschen mit Handicaps die Ausstellung anschauen können, wurde sie barrierefrei konzipiert, etwa mit einem taktilen Leitsystem für Sehbehinderte und blinde Menschen.
Wer sich nach dem Betreten der Umgangshalle nicht nach links zu den Gottheiten wendet, sondern nach rechts, sieht auf die Wand gezeichnete Schafe, die seelenruhig Gras fressen. So sah es vor 1937 an diesem Ort aus: Wiesen bedeckten die steinernen und hölzernen Reste des einstigen Cambodunum. Dieser Teil der neuen Dauerausstellung erläutert die Ausgrabungsgeschichte. Sie beginnt mit einem Spatenstich im Jahr 1937. Damals sollte auf dem Lindenberg ein Offiziersheim errichtet werden. Doch bald stieß man auf Mauerreste aus der Antike.
Die Entdeckung des Tempelbezirks stoppte den Bau des Offiziersheims und ermöglichte es dem Archäologen Ludwig Ohlenroth und seinem Team, in die Tiefe zu graben. 1982 wurde die Erforschung der Vorgängerstadt Kemptens fortgesetzt – mit dem Archäologen Gerhard Weber. Unter seiner Ägide wurde auch der Tempelbezirk teilweise rekonstruiert.