Lindauer Zeitung

„Ja, ich wollte meinen Vater töten“

20-Jähriger ist wegen versuchten Mordes angeklagt – Prozessauf­takt am Landgerich­t

- Von Stefanie Keppeler

- Äußerlich gefasst hat sich der Angeklagte zum Prozessauf­takt in das Landgerich­t Ravensburg führen lassen. Versuchter Mord in Tateinheit mit gefährlich­er Körperverl­etzung, so lautet die Anklage der Staatsanwa­ltschaft. Der 20Jährige räumt den ihm vorgeworfe­nen Sachverhal­t vollumfäng­lich ein. „Ja, ich wollte meinen Vater töten.“

Er erklärte, dass er seit einigen Jahren psychische Probleme habe und unter paranoider Schizophre­nie leide. Seit er denken könne, halluzinie­re er optisch und akustisch. „Ich höre Stimmen und habe das Gefühl, Menschen können meine Gedanken lesen. Die Stimmen sagen, ich sei eine Schande und könne nichts. Manchmal sah ich einen Keiler, der mich verfolgt und beobachtet hat.“

Der damals 19-Jährige soll sich bereits am Abend des 14. Dezember 2021 nach Wolfegg begeben haben und die Nacht über dort ziellos herumgelau­fen sein. In den frühen Morgenstun­den begab er sich schließlic­h zur elterliche­n Wohnung, um seinen Vater in der Tiefgarage des Mehrfamili­enhauses abzupassen. Da Vater und Sohn zu diesem Zeitpunkt seit geraumer Zeit keinen Kontakt mehr hatten, soll der Vater über das plötzliche Auftauchen seines Sohnes überrascht gewesen sein. Er erkannte ihn nicht sofort, soll sich dann aber gefreut und auf eine mögliche Versöhnung gehofft haben. Weil der Vater zur Arbeit aufbrechen musste, umarmten sich die beiden zum Abschied. Dabei zog der Angeklagte unvermitte­lt ein Küchenmess­er mit einer ungefähr acht Zentimeter­n langen Klinge aus der Jackentasc­he und versuchte damit, den Vater mit einem gezielten Stich in den Hals zu töten. Der Versuch misslang. Das Messer glitt möglicherw­eise an der Lederjacke des Vaters ab. Der Angeklagte soll danach noch mehrmals Stichbeweg­ungen in Richtung des Vaters ausgeführt haben.

Bei der Abwehr zog sich der Geschädigt­e eine Schnittver­letzung an der linken Hand zu. Die beiden Männer stürzten im Gerangel, wobei die Tatwaffe zu Boden fiel. Der Vater konnte das Messer zuerst unter das Auto schieben, bevor er es anschließe­nd in sein Auto warf. Der Angeklagte habe sich schnell beruhigt, als er realisiert­e, dass sein Tötungsver­such misslungen war. Auf die Frage des Vaters, warum er denn so etwas getan habe, er wisse doch genau, wie schwer krank der Vater sei, antwortete der Angeklagte: „Auf deinem Grab werde ich tanzen.“Der Vater fuhr daraufhin mit seinem Auto aus der Garage. Der Angeklagte selbst informiert­e nach eigenen Angaben kurz nach der Tat die Polizei. Er befindet sich seither in einer entspreche­nd spezialisi­erten Klinik. Die Tat sei ein hinterlist­iger Überfall gewesen und eine heimtückis­che Art, einen Menschen töten zu wollen, so Oberstaats­anwalt Wolfgang Angster.

An seine Kindheit, nach der sich der Vorsitzend­e Richter Bernhard erkundigte, könne sich der Angeklagte kaum erinnern. In der Pubertät habe es zunehmend Stress zu Hause gegeben. Zu viel Zeit am Computer, zu wenig Mithilfe bei der Hausarbeit oder schlechte Noten. Es soll auch zu Handgreifl­ichkeiten gekommen sein. „Ich habe es zu Hause psychisch nicht gepackt“, so der Angeklagte, der im Prozess von Strafverte­idigung Nicole Pfuhl verteidigt wird.

Mit ungefähr 15 Jahren habe er bemerkt, dass mit seiner Psyche etwas nicht stimme. Es sei ihm nicht gut gegangen. Seine Eltern sollen ihm einen Arztbesuch jedoch verweigert haben. Der strenggläu­bige Vater habe die Halluzinat­ionen, wie das Sehen von Engeln, als Gottesgabe betrachtet. Nach seinem Bundesfrei­willigendi­enst brach er den Kontakt zu den Eltern ab und kehrte dem Elternhaus den Rücken. Der Angeklagte fand Halt bei seinem älteren Bruder, der ebenfalls unter paranoider Schizophre­nie leide. „Wir haben beide mit depressive­n Phasen zu kämpfen“, so der Bruder. Antriebslo­sigkeit, Flashbacks und Suizidgeda­nken sollen den Alltag erschwert haben. Gelegentli­ch habe der Angeklagte Cannabis konsumiert. Ob dies psychische Symptome begünstigt haben könnte, ist noch unklar.

Die Eltern berichtete­n, dass die Kindheit des Angeklagte­n bis zum Eintritt in die Pubertät ganz normal verlaufen sei. Erst dann habe es zunehmend Streit gegeben. Der Vater räumte ein, gelegentli­ch verbal ausfällig und handgreifl­ich geworden zu sein. Gut gemeinte Ratschläge seien einfach abgeprallt. Unter dem Kontaktabb­ruch habe er gelitten. Er selbst, so sagte er, hätte gegen seinen Sohn keine Anzeige wegen Mordes erstattet. Am Abend vor der Tat soll der Angeklagte zu Besuch beim Bruder gewesen sein. „Es ging ihm sehr schlecht“, erzählt dieser. Er soll den Angeklagte­n überredet haben, sich am folgenden Tag einweisen zu lassen, was dieser zu tun versprach. Gegen Abend, so erzählte der Angeklagte, habe sich bei ihm ein Gedanke manifestie­rt: Nur, indem er den Vater umbringt, könne er seine Krankheit besiegen. „Ich bin überzeugt, dass mein Vater für die Krankheit verantwort­lich ist.“Wie die Tat konkret hätte ablaufen sollen, habe er nicht gewusst. „Ich habe vielmehr auf den passenden Moment gewartet. Ich war mir sicher, dass ich es tun werde.“

Er habe mit dem Messer gezielt den Hals treffen wollen. Es sei ihm auch klar gewesen, dass er durch die Tat mit der Polizei in Konflikt kommen würde, allerdings nicht, mit welchen Konsequenz­en er genau zu rechnen habe.

Am kommenden Dienstag findet der Fortsetzun­gstermin statt. Unter anderem wird ein psychologi­scher Gutachter seine Einschätzu­ng zum Fall wiedergebe­n.

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