„Ja, ich wollte meinen Vater töten“
20-Jähriger ist wegen versuchten Mordes angeklagt – Prozessauftakt am Landgericht
- Äußerlich gefasst hat sich der Angeklagte zum Prozessauftakt in das Landgericht Ravensburg führen lassen. Versuchter Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, so lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft. Der 20Jährige räumt den ihm vorgeworfenen Sachverhalt vollumfänglich ein. „Ja, ich wollte meinen Vater töten.“
Er erklärte, dass er seit einigen Jahren psychische Probleme habe und unter paranoider Schizophrenie leide. Seit er denken könne, halluziniere er optisch und akustisch. „Ich höre Stimmen und habe das Gefühl, Menschen können meine Gedanken lesen. Die Stimmen sagen, ich sei eine Schande und könne nichts. Manchmal sah ich einen Keiler, der mich verfolgt und beobachtet hat.“
Der damals 19-Jährige soll sich bereits am Abend des 14. Dezember 2021 nach Wolfegg begeben haben und die Nacht über dort ziellos herumgelaufen sein. In den frühen Morgenstunden begab er sich schließlich zur elterlichen Wohnung, um seinen Vater in der Tiefgarage des Mehrfamilienhauses abzupassen. Da Vater und Sohn zu diesem Zeitpunkt seit geraumer Zeit keinen Kontakt mehr hatten, soll der Vater über das plötzliche Auftauchen seines Sohnes überrascht gewesen sein. Er erkannte ihn nicht sofort, soll sich dann aber gefreut und auf eine mögliche Versöhnung gehofft haben. Weil der Vater zur Arbeit aufbrechen musste, umarmten sich die beiden zum Abschied. Dabei zog der Angeklagte unvermittelt ein Küchenmesser mit einer ungefähr acht Zentimetern langen Klinge aus der Jackentasche und versuchte damit, den Vater mit einem gezielten Stich in den Hals zu töten. Der Versuch misslang. Das Messer glitt möglicherweise an der Lederjacke des Vaters ab. Der Angeklagte soll danach noch mehrmals Stichbewegungen in Richtung des Vaters ausgeführt haben.
Bei der Abwehr zog sich der Geschädigte eine Schnittverletzung an der linken Hand zu. Die beiden Männer stürzten im Gerangel, wobei die Tatwaffe zu Boden fiel. Der Vater konnte das Messer zuerst unter das Auto schieben, bevor er es anschließend in sein Auto warf. Der Angeklagte habe sich schnell beruhigt, als er realisierte, dass sein Tötungsversuch misslungen war. Auf die Frage des Vaters, warum er denn so etwas getan habe, er wisse doch genau, wie schwer krank der Vater sei, antwortete der Angeklagte: „Auf deinem Grab werde ich tanzen.“Der Vater fuhr daraufhin mit seinem Auto aus der Garage. Der Angeklagte selbst informierte nach eigenen Angaben kurz nach der Tat die Polizei. Er befindet sich seither in einer entsprechend spezialisierten Klinik. Die Tat sei ein hinterlistiger Überfall gewesen und eine heimtückische Art, einen Menschen töten zu wollen, so Oberstaatsanwalt Wolfgang Angster.
An seine Kindheit, nach der sich der Vorsitzende Richter Bernhard erkundigte, könne sich der Angeklagte kaum erinnern. In der Pubertät habe es zunehmend Stress zu Hause gegeben. Zu viel Zeit am Computer, zu wenig Mithilfe bei der Hausarbeit oder schlechte Noten. Es soll auch zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. „Ich habe es zu Hause psychisch nicht gepackt“, so der Angeklagte, der im Prozess von Strafverteidigung Nicole Pfuhl verteidigt wird.
Mit ungefähr 15 Jahren habe er bemerkt, dass mit seiner Psyche etwas nicht stimme. Es sei ihm nicht gut gegangen. Seine Eltern sollen ihm einen Arztbesuch jedoch verweigert haben. Der strenggläubige Vater habe die Halluzinationen, wie das Sehen von Engeln, als Gottesgabe betrachtet. Nach seinem Bundesfreiwilligendienst brach er den Kontakt zu den Eltern ab und kehrte dem Elternhaus den Rücken. Der Angeklagte fand Halt bei seinem älteren Bruder, der ebenfalls unter paranoider Schizophrenie leide. „Wir haben beide mit depressiven Phasen zu kämpfen“, so der Bruder. Antriebslosigkeit, Flashbacks und Suizidgedanken sollen den Alltag erschwert haben. Gelegentlich habe der Angeklagte Cannabis konsumiert. Ob dies psychische Symptome begünstigt haben könnte, ist noch unklar.
Die Eltern berichteten, dass die Kindheit des Angeklagten bis zum Eintritt in die Pubertät ganz normal verlaufen sei. Erst dann habe es zunehmend Streit gegeben. Der Vater räumte ein, gelegentlich verbal ausfällig und handgreiflich geworden zu sein. Gut gemeinte Ratschläge seien einfach abgeprallt. Unter dem Kontaktabbruch habe er gelitten. Er selbst, so sagte er, hätte gegen seinen Sohn keine Anzeige wegen Mordes erstattet. Am Abend vor der Tat soll der Angeklagte zu Besuch beim Bruder gewesen sein. „Es ging ihm sehr schlecht“, erzählt dieser. Er soll den Angeklagten überredet haben, sich am folgenden Tag einweisen zu lassen, was dieser zu tun versprach. Gegen Abend, so erzählte der Angeklagte, habe sich bei ihm ein Gedanke manifestiert: Nur, indem er den Vater umbringt, könne er seine Krankheit besiegen. „Ich bin überzeugt, dass mein Vater für die Krankheit verantwortlich ist.“Wie die Tat konkret hätte ablaufen sollen, habe er nicht gewusst. „Ich habe vielmehr auf den passenden Moment gewartet. Ich war mir sicher, dass ich es tun werde.“
Er habe mit dem Messer gezielt den Hals treffen wollen. Es sei ihm auch klar gewesen, dass er durch die Tat mit der Polizei in Konflikt kommen würde, allerdings nicht, mit welchen Konsequenzen er genau zu rechnen habe.
Am kommenden Dienstag findet der Fortsetzungstermin statt. Unter anderem wird ein psychologischer Gutachter seine Einschätzung zum Fall wiedergeben.