Lindauer Zeitung

Strobl in Erklärungs­not

Oberster Datenschüt­zer sieht Gesetzesve­rstoß beim Innenminis­ter – Kretschman­n schweigt

- Von Theresa Gnann und dpa

- Der Druck auf Innenminis­ter Thomas Strobl erhöht sich. Aus Sicht des obersten Datenschüt­zers im Land, Stefan Brink, hat der CDU-Politiker mit der Weiterleit­ung eines Schreibens des Anwalts eines ranghohen Polizisten an einen Journalist­en klar gegen das Gesetz verstoßen. Brink eröffnete ein aufsichtsb­ehördliche­s Verfahren in der Sache. Damit gerät der Innenminis­ter, gegen den bereits staatsanwa­ltschaftli­che Ermittlung­en laufen, weiter in Bedrängnis.

Die Opposition aus SPD, FDP und AfD forderten Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n auf, Konsequenz­en zu ziehen. FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke verlangte erneut Strobls Entlassung. Kretschman­n aber zog sich darauf zurück, er kenne das Gutachten noch nicht und müsse es prüfen. „Das Schreiben liegt mir nicht vor.“Er habe lediglich aus der Presse davon erfahren.

Zugleich zeigte sich der Grüne irritiert über das Vorgehen des Datenschüt­zers. Strobl habe ihm gesagt, Brink habe das Ministeriu­m nicht angehört. „Das verwundert mich.“AfD-Fraktionsc­hef Bernd Gögel kritisiert­e, Kretschman­n habe sich um eine Antwort gedrückt. Das zeige, welche Prioritäte­n er habe: „Persönlich­e Sympathie schlägt Staatsräso­n.“Deutlich wurde auch SPDFraktio­nschef Andreas Stoch. „Dass ein derart wichtiges Schreiben einfach im Posteingan­g liegen bleibt, kann niemand glauben. Der Ministerpr­äsident scheint zu denken, die Vorwürfe seien vom Tisch, wenn er Dokumente einfach nicht zur Kenntnis nimmt. Er wirkt wie ein Kind, das sich die Augen zuhält und meint, nun werde es unsichtbar. Aber Verstecksp­iele helfen jetzt nicht mehr weiter.“

Für Strobl kommt das Datenschut­z-Gutachten zur Unzeit. Denn auch die Staatsanwa­ltschaft ermittelt gegen den 62 Jahre alten Minister und Vize-Regierungs­chef der grün-schwarzen Koalition unter anderem wegen des Verdachts verbotener Mitteilung über Gerichtsve­rhandlunge­n. Der Reporter wird verdächtig­t, aus amtlichen Dokumenten des laufenden Verfahrens gegen den Polizisten zitiert zu haben. Strobl wiederum soll ihn dazu angestifte­t haben.

Die FDP-Fraktion stellte zudem Strafanzei­ge gegen Thomas Strobl, unter anderem wegen des Verrats von Dienstgehe­imnissen und wegen des Verstoßes gegen den Datenschut­z. Auch hier ermittelt die Anklagebeh­örde. SPD und FDP planen zudem einen Untersuchu­ngsausschu­ss.

Brink begründet in einem neunseitig­en Schreiben, warum Strobl aus seiner Sicht gegen den Datenschut­z verstoßen hat. Die Weitergabe des Schreibens sei weder nach Fachgesetz­en noch nach allgemeine­n Datenschut­zvorschrif­ten zu rechtferti­gen. „Die Übermittlu­ng verletzt daher das einschlägi­ge Datenschut­zrecht und ist deshalb als rechtswidr­ig zu bewerten“, schreibt Brink. In dem Fall seien personenbe­zogene Daten eines Landesbeam­ten an einen Dritten übermittel­t worden. Weder habe eine Einwilligu­ng der betroffene­n Person vorgelegen noch habe es eine spezifisch­e gesetzlich­e Regelung gegeben, die die Datenüberm­ittlung legitimier­t hätte.

Das Datenschut­zverfahren werde „erst nach förmlichem Abschluss des Ermittlung­sverfahren­s der Staatsanwa­ltschaft und unter Einbeziehu­ng der dann vorliegend­en Ermittlung­sergebniss­e weitergefü­hrt“, teilte Brink mit. Sein Sprecher wies darauf hin, dass eine Verwarnung möglich sei. Bußgelder gebe es bei Verfahren gegen Behörden nicht. „Bei besonders schweren Verstößen können Datenschut­zverstöße strafrecht­liche Konsequenz­en haben.“Hier liefen ja schon Ermittlung­en der Anklagebeh­örde.

Polizei-Gewerkscha­fter Kusterer erklärte, dass Verstöße gegen den Datenschut­z – soweit sie eine

Ordnungswi­drigkeit darstellte­n – mit einer Strafe von bis zu 20 Millionen Euro belegt werden könnten. Ein Entlassung­sverfahren allein wegen einer Ordnungswi­drigkeit sei zwar selten, allerdings gehe es bei Strobl um einen schwerwieg­enden Fall. „Vermutlich wird es der Innenminis­ter damit in den Datenschut­zbericht 2022 des Landesdate­nschutzbea­uftragten schaffen. Das dürfte in Deutschlan­d so noch nicht vorgekomme­n sein.“

Aber worum geht es in der Affäre eigentlich? Im Zentrum stehen Ermittlung­en gegen einen führenden Polizisten wegen des Verdachts der sexuellen Belästigun­g. Der Mann soll eine Hauptkommi­ssarin in einem Videochat belästigt haben. Aus Kreisen des Innenaussc­husses hieß es, aus der Abschrift des Videochats, die den Abgeordnet­en vorliegt, gehe deutlich hervor, dass der Mann der Polizistin angeboten habe, ihr bei der Karriere zu helfen, wenn sie ihm sexuell zu Diensten sei. Besonders brisant: Der Beamte war vor seiner Suspendier­ung bei der Landespoli­zei für die interne Wertekampa­gne gegen sexualisie­rte Gewalt zuständig.

Strobl räumt ein, das Schreiben des Anwalts im Dezember an die Presse durchgesto­chen zu haben. Der Minister argumentie­rt, er habe damit für „maximale Transparen­z“sorgen wollen. In dem Schreiben hatte der Anwalt des suspendier­ten Beamten dem Ministeriu­m ein persönlich­es Gespräch angeboten, das für beide Seiten besser sei als ein juristisch­es Verfahren. Strobl argumentie­rt, dies sei ein „vergiftete­s Angebot“für einen Deal gewesen. Um einer möglichen Veröffentl­ichung durch die Gegenseite zuvorzukom­men, habe er das Schreiben einem Journalist­en gegeben.

Brink ist hingegen der Ansicht, durch das konkrete Gesprächsa­ngebot werde keineswegs bei unbefangen­en Dritten der Anschein erweckt, es solle „gemauschel­t“oder „unter den Teppich gekehrt“werden. Vielmehr entspreche das Anwaltssch­reiben und die darin geäußerte Gesprächso­fferte „den üblichen Gepflogenh­eiten“im Rahmen einer rechtliche­n Auseinande­rsetzung, „wonach die anwaltlich­e Vertretung den Versuch einer einvernehm­lichen Konfliktlö­sung mit dem Dienstherr­n“unternehme.

 ?? FOTO: ARNULF HETTRICH/IMAGO ?? Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt, die Opposition will seinen Rücktritt, nun eröffnet auch noch der oberste Datenschüt­zer des Landes ein Verfahren gegen Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU, links). Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne, rechts) stärkt Strobl bislang den Rücken.
FOTO: ARNULF HETTRICH/IMAGO Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt, die Opposition will seinen Rücktritt, nun eröffnet auch noch der oberste Datenschüt­zer des Landes ein Verfahren gegen Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU, links). Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne, rechts) stärkt Strobl bislang den Rücken.

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