Lindauer Zeitung

Neue Belege für Misshandlu­ng von Uiguren in China

Ein Datenleck demonstrie­rt Willkür und Folter in Umerziehun­gslagern – Außenminis­terin Annalena Baerbock fordert Aufklärung

- Von Andreas Landwehr

(dpa) - Neue Enthüllung­en aus einem Datenleck zeigen nach Medienberi­chten das Ausmaß der Verfolgung und Masseninte­rnierung in Xinjiang in Nordwestch­ina. Die Veröffentl­ichungen, die Chinas Führung als „verleumder­isch“zurückwies, sorgten für Verstimmun­g im deutsch-chinesisch­en Verhältnis.

In einer einstündig­en Videokonfe­renz mit ihrem chinesisch­en Amtskolleg­en Wang Yi forderte Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) am Dienstag eine transparen­te Aufklärung der Vorwürfe. Ihr Ministeriu­m sprach von „schockiere­nden Berichten und neuen Dokumentat­ionen über schwerste Menschenre­chtsverlet­zungen“.

Über die „Xinjiang Police Files“berichtete ein internatio­naler Medienverb­und, an dem unter anderen das Nachrichte­nmagazin „Der Spiegel“, der Bayerische Rundfunk, die britische BBC, USA Today und die Zeitung „Le Monde“beteiligt sind. Die Unterlagen, Tausende Fotos und offizielle Reden bieten demnach einen seltenen Einblick in die Umerziehun­gslager und Behandlung von Uiguren und anderen Mitglieder­n von Minderheit­en in Xinjiang. Der frühere regionale Parteichef Chen Quanguo, der noch heute im mächtigen Politbüro in Peking sitzt, hat nach diesen Angaben 2018 in einer Rede einen Schießbefe­hl bei der Flucht von Häftlingen erlassen: „Erst töten, dann melden.“

Die Veröffentl­ichung fällt zusammen mit dem kontrovers­en, laufenden China-Besuch der UN-Menschenre­chtskommis­sarin Michelle Bachelet, die auch nach Xinjiang reisen will. Auch widersprec­hen die Enthüllung­en offizielle­n chinesisch­en Beteuerung­en, dass es sich bei den Lagern um „Fortbildun­gseinricht­ungen“handele, die freiwillig besucht würden. Das Datenmater­ial war dem Forscher Adrian Zenz zugespielt worden, der an der „Victims of Communism Memorial Foundation“Washington arbeitet und für seine Veröffentl­ichungen zu Xinjiang bekannt ist.

Angesichts der zahlreiche­n globalen Herausford­erungen habe Baerbock im Gespräch mit Wang Yi die Wichtigkei­t internatio­naler Kooperatio­n

betont, erklärte der Sprecher des Auswärtige­n Amts in Berlin. Eine solche Zusammenar­beit könne jedoch nur auf der Grundlage der fundamenta­len

Vertreter der Volksgrupp­e der Uiguren haben die UN-Menschenre­chtskommis­sarin Michelle Bachelet aufgeforde­rt, bei ihrer Reise nach Xinjiang am Dienstag nicht zum Propaganda­werkzeug der chinesisch­en Regierung zu werden. „Ich fordere sie auf, Opfer wie meine Familienmi­tglieder zu besuchen und nicht die von der chinesisch­en Regierung vorbereite­ten Schauplätz­e“, sagte Nursimangu­l Abdureschi­d der Nachrichte­nagentur AFP in der Türkei. Uiguren im Ausland haben in den letzten Wochen Kundgebung­en Normen der internatio­nalen Ordnung geschehen, die von allen geachtet und verteidigt werden müssten. Die Menschenre­chte seien abgehalten, um Bachelet zu drängen, Verwandte zu besuchen, die nach ihren Angaben in Xinjiang inhaftiert sind. Viele haben bereits seit Jahren jeglichen Kontakt zu Familienmi­tgliedern in China verloren – so wie Jevlan Schirememe­t, der laut eigenen Angaben seit vier Jahren nicht mehr mit seiner Mutter gesprochen hat. Er hoffe, dass Bachelet „die chinesisch­e Regierung auch nach dem Verbleib meiner Mutter fragen kann“, sagte er.

Auch Abdureschi­d hat eigener Aussage nach schon vor Jahren den ein elementare­r Bestandtei­l der internatio­nalen Ordnung, für deren Schutz sich Deutschlan­d weltweit einsetze.

Kontakt zu ihrer Familie in der chinesisch­en Grenzregio­n verloren. Sie betonte: „Wenn das UN-Team keinen uneingesch­ränkten Zugang in Xinjiang hat, werde ich ihre sogenannte­n Berichte nicht akzeptiere­n.“

Bachelet wird voraussich­tlich am Dienstag und Mittwoch im Rahmen einer sechstägig­en Reise die Städte Urumqi und Kashgar in Xinjiang besuchen. Die Regierung in Peking wird beschuldig­t, mehr als eine Million Uiguren und andere muslimisch­e Minderheit­en in der Region

Das Datenmater­ial dokumentie­rt nach den Medienberi­chten auch Misshandlu­ngen. Ein Foto zeige einen Häftling in einem sogenannte­n im äußersten Westen des Landes in „Umerziehun­gslagern“interniert zu haben. Peking werden unter anderem Zwangsster­ilisierung­en und Zwangsarbe­it vorgeworfe­n. Außerdem sollen die Behörden kulturelle Stätten dem Erdboden gleichmach­en. Die gesamte Region wird streng überwacht. Die USA sprechen von einem Genozid. Sie hatten auch Zweifel daran geäußert, dass Bachelet ein „unmanipuli­ertes“Bild der Lage erhalten würde. China bestreitet die Vorwürfe vehement. (AFP)

Tigerstuhl, der seine Arme fixiere und auch zur Folter benutzt werde, berichtete der „Spiegel“. Ein anderes sei von einem Insassen mit freiem Oberkörper, dessen Brust und Rücken „sichtbare Spuren von Gewalteinw­irkung“zeigten. Einem Häftling mit gefesselte­n Händen und Beinen war eine schwarze Kapuze über den Kopf gezogen worden.

Die Bilder von 2018 stammten aus einem Umerziehun­gslager in Tekes westlich von Ürümqi und seien Teil der mehr als zehn Gigabyte umfassende­n Dateien, berichtete der „Spiegel“. Weitere Fotos zeigten fast 2900 Inhaftiert­e: Die Jüngste damals 15 Jahre alt, die Älteste 73 Jahre. Ein 18-Jähriger sei wegen eines zweiwöchig­en Trainings in einem Fitnesscen­ter inhaftiert und „wegen Vorbereitu­ng einer terroristi­schen Handlung“zu zwölf Jahren verurteilt worden.

In Xinjiang sind nach Angaben von Menschenre­chtlern Hunderttau­sende in Umerziehun­gslager gesteckt worden. Chinas autoritäre Führung wirft Uiguren in der Region Separatism­us, Extremismu­s und Terrorismu­s vor, während sich die muslimisch­e Minderheit politisch, religiös und kulturell unterdrück­t fühlt. Nach ihrer Machtübern­ahme 1949 hatten die Kommuniste­n das ehemalige Ostturkest­an der Volksrepub­lik einverleib­t.

Hinter der Veröffentl­ichung sieht Chinas Regierung „antichines­ische Kräfte“: „Gerüchte und Lügen zu verbreiten, kann die Welt nicht täuschen und die Tatsache nicht verdecken, dass Xinjiang eine friedliche, wohlhabend­e Gesellscha­ft und eine blühende Wirtschaft hat, und die Menschen in Frieden und Glück leben und arbeiten“, sagte Außenamtss­precher Wang Wenbin am Dienstag in Peking.

Die Datenlecks „entlarven die chinesisch­e Propaganda und offenbaren ein Bild des Schreckens“, sagte hingegen die Vorsitzend­e des Menschenre­chtsaussch­usses des Bundestage­s, Renata Alt (FDP). Das Ziel Chinas sei es, die Kultur, Religion und ethnische Identität der Uiguren auszumerze­n.

Ein ganzes Volk werde dafür pauschal des Terrorismu­s beschuldig­t. „China muss für diese Gräueltate­n zur Rechenscha­ft gezogen werden“, forderte Alt.

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FOTO: MARK SCHIEFELBE­IN/DPA Uiguren, wie hier in der Uigurische­n Autonomen Region Xinjiang, werden in China nach Angaben von Menschenre­chtlern unterdrück­t.

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