Präsident Selenskyj fordert dringend mehr Waffen
600 Krankenhäuser in der Ukraine zerstört oder beschädigt – Moskau gibt sich siegesgewiss
(dpa) - Nach drei Monaten Krieg gegen Russland verlangt die Ukraine vom Westen dringend mehr Militärhilfen. Präsident Wolodymyr Selenskyj stellte seine Landsleute angesichts schwerer russischer Angriffe im Osten auf harte Wochen ein. Außenminister Dmytro Kuleba schrieb am Dienstag auf Twitter: „Die russische Offensive im Donbass ist eine erbarmungslose Schlacht, die größte auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Russland zeigte sich trotz bisheriger Rückschläge siegesgewiss. Unterdessen warf Polen Deutschland einen Wortbruch bei Waffenlieferungen vor.
„Die kommenden Wochen des Krieges werden schwierig sein“, sagte Selenskyj in einer neuen Videoansprache. „Dennoch haben wir keine Alternative als zu kämpfen. Kämpfen und gewinnen.“Erneut fordert er vom Westen mehr Waffen. Außenminister Kuleba meinte: „Es ist zu früh, um zum Schluss zu kommen, dass die Ukraine bereits über alle Waffen verfügt, die sie benötigt.“Sein Land brauche insbesondere Mehrfachraketenwerfer und Langstreckenartillerie. Selenskyj forderte moderne Raketenabwehrwaffen und Kampfflugzeuge.
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu gab sich zuversichtlich. „Trotz der umfangreichen westlichen Hilfe für das Kiewer Regime und des Sanktionsdrucks auf Russland werden wir die spezielle Militäroperation fortsetzen, bis alle Aufgaben erfüllt sind“, sagte er der Agentur Interfax zufolge.
Russlands Armee hat sich inzwischen vor allem auf Angriffe im Osten des Nachbarlandes konzentriert.
Nach dem Fall der Hafenstadt Mariupol vor einigen Tagen fürchtet die Ukraine dort nun verstärkt russische Offensiven. Russlands Truppen streben im Donbass die vollständige Eroberung des Gebiets Luhansk an. „Der Feind hört nicht auf anzugreifen“, teilte der ukrainische Generalstab mit. Insbesondere werde versucht, die strategisch wichtigen Städte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk einzukreisen.
Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind nach ukrainischen Angaben bereits 600 Krankenhäuser zerstört oder beschädigt worden. Etwa 100 Kliniken könnten nicht wieder aufgebaut werden, sagte das Vorstandsmitglied des Ukrainischen Ärzteverbandes Andrij Basylewytsch. Viele Medizinerinnen und Mediziner seien getötet oder verwundet worden.
Die medizinische Betreuung sei stark beeinträchtigt. „Frauen müssen unter unzumutbaren Umständen gebären.“Zugleich habe sich der Arbeitsanfall verdoppelt oder verdreifacht. Verletzungen nicht nur von Soldaten, sondern auch von Zivilisten, Frauen und Kindern müssten behandelt werden, sagte der Medizinprofessor aus Lwiw am Montag.
Er dankte der deutschen Ärzteschaft für humanitäre Hilfe. Von Deutschland als einer wichtigen Nation forderte er die Lieferung schwerer Waffen und Luftabwehrwaffen. Deutschland könne auch beim Aufbau von Orthopädiewerkstätten in der Ukraine helfen, denn viele Menschen hätten Gliedmaßen verloren. Auch sollten westliche Einrichtungen Ärztinnen und Ärzten aus der Ukraine Assistenzstellen oder Praktika geben, damit sie besser ausgebildet in ihre Heimat zurückkehrten, sagte Basylewytsch
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigte sich optimistisch, dass Bedenken der Türkei gegen die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die Militärallianz ausgeräumt werden. Er sei zuversichtlich, dass man einen Weg finden werde, das Problem zu lösen, sagte der Norweger beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Finnland und Schweden haben vergangene Woche den Beitritt zur Nato beantragt. Die Türkei stellt sich als einziges Mitglied dagegen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zog mit Blick auf den russischen Umgang mit Getreide in der Ukraine Parallelen zur Sowjetzeit. „In der von Russland besetzten Ukraine konfisziert die Armee des Kremls die Getreidebestände und Maschinen“, sagte sie in Davos. „Das erinnert einige an eine dunkle Vergangenheit – die Zeiten der sowjetischen Beschlagnahme der Ernten und der verheerenden Hungersnot der 1930er-Jahre.“Moskau setze nicht nur die Energieversorgung als Waffe ein, bei der Ernährungssicherheit zeichne sich ein ähnliches Muster ab.
Das Bundeswirtschaftsministerium will weitere Vorkehrungen für den Fall wegbrechender russischer Gaslieferungen treffen. Bei Gasmangel solle der Gasverbrauch in der Stromerzeugung deutlich reduziert werden, hieß es aus dem Ministerium. Als eine Art Versicherung will das Wirtschaftsministerium eine Gasersatz-Reserve einrichten, die bis April 2024 befristet sein soll. Dazu sollen Kohlekraftwerke länger in Reserve bleiben, Braunkohlekraftwerke in Bereitschaft sollen im Bedarf schneller einsatzbereit sein.