Beschichtung erneuert
Der Markdorfer Sprühspezialist Wagner verkauft seine Produkte heute mithilfe von Hologramm-Brillen und App
- Wenn Ikea eine neue Schrankfront entwickelt und diese beschichten will, ruft der bekannte Möbelhersteller gerne mal in Markdorf im Bodenseekreis an. Hier sitzt das Beschichtungstechnikunternehmen Wagner, das Anlagen und Geräte zum Auftragen von flüssigen Materialien, insbesondere von Nassund Pulverlacken sowie von Farben auf Oberflächen fertigt und vertreibt. Das Unternehmen besteht bereits seit 75 Jahren und doch ist heute alles ganz anders als früher, nämlich viel digitaler.
Statt dass Ikea zu Wagner kommen muss oder Wagner zu Ikea, können die Markdorfer mittlerweile holografische Projektionen verwenden. Dabei setzt sich ein WagnerMitarbeiter eine Spezialbrille auf, die beispielsweise das Aussehen der neuen Schrankfront live an eine weitere Spezialbrille überträgt, die der Kunde trägt. Damit können die Kunden also direkt erfahren, wie sie sich das fertige Produkt vorzustellen haben. Mit der holografischen Projektionsbrille können aber auch Serviceeinsätze in anderen Ländern optimiert und Verkaufsgespräche ortsunabhängig geführt werden.
Als das Unternehmen 1947 entstand, konnte sich Gründer Josef Wagner solche Entwicklungen noch nicht ausmalen. Dennoch hatte Wagner Visionen. „Unser Firmengründer hat das Unternehmen als Pionier global aufgebaut“, sagt der heutige Geschäftsführer Bruno Niemeyer. Niemeyer ist seit 14 Jahren bei Wagner tätig, seit sechs Jahren Vorstandsvorsitzender.
Unternehmer Josef Wagner entwickelte nach der Firmengründung in Friedrichshafen unter anderem die erste elektrische Sprühpistole. Mit Sprühpistolen können Farben oder Lacke ohne Pinsel an Wände und andere Oberflächen aufgetragen werden. Heute arbeiten 1700 Mitarbeiter weltweit für die 16 Unternehmen der Wagner Gruppe, 526 davon in Markdorf.
Farbe, Schutz und Funktionen auf Oberflächen, damit kennt sich Wagner aus. „Mit unseren Produkten sind wir Pinsel und Rolle überlegen“, sagt Niemeyer. Wagner produziert Sprühsysteme für den Heimwerker über den profesionellen Maler bis hin zu Kunden in der Industrie und agiert dabei auf der ganzen Welt. Etwa 63 Prozent der Umsätze macht Wagner mit Produkten für Heim- und Handwerker, zum Beispiel
Farbsprühsysteme zur Beschichtung von Türen und Geländern. 37 Prozent des Umsatzes generiert Wagner mit Industrieanlagen. Hier hat Wagner etwa ein Pulversorgungssystem entwickelt, dass sich vollautomatisch selbst reinigt. Dadurch entsteht keine Vermischung von Farbpartikeln und die Arbeitsplätze in den Fabriken sind sauberer.
In den vergangenen Jahren hat die Wagner Gruppe ein stetiges Wachstum verzeichnen können. 2014 hat die Gruppe noch einen Umsatz von 338 Millionen Euro verzeichnet, 2021 waren es 519 Millionen Euro. Zum Gewinn macht das Unternehmen traditionell keine Angaben. Mit 44 Prozent ist Amerika der größte Absatzmarkt von Wagner, gefolgt von Europa (33 Prozent), Deutschland (zwölf Prozent) und Asien (elf Prozent). Vor allem die Corona-Pandemie hat zum guten Umsatz der Wagner-Gruppe beigetragen. Während den Lockdowns haben die Menschen an ihren Häusern gearbeitet. „An eine Elektroleitung traut sich nicht jeder ran. Farbe ist da einfacher“, sagt Niemeyer.
In diesem Jahr rechnet Niemeyer aber mit einer Delle im Umsatz. Lieferkettenprobleme und das Wegbrechen des Russlandgeschäfts gehen auch an Wagner nicht spurlos vorbei. Trotzdem schaut das Unternehmen positiv in die Zukunft. Bis 2025 will Wagner noch innovativer bei den Nass- und Pulverbeschichtungen sein.
Diese Innovationen zeigen sich vor allem in den beiden Produktsparten Industrie und Heimwerkerbereich. „Autokarosserien machen wir nicht, aber alles andere“, sagt Michael Müller, der sich als Geschäftsführer um die Industriesparte kümmert. Mit Anlagen zum Versprühen von Nass- und Pulverlacken ist Wagner auf dem Markt und besprüht alles von Tischbeinen über Kaffeetassen bis zu Küchenoberflächen. Um innovativ und digital in die Zukunft zu gehen, hat Wagner ein eigenes zentrales Kundenportal entwickelt.
Mit „Wagner365“können Unternehmen online Geräte kaufen, Schulungen oder Versuche in den Versuchsanlagen in Markdorf buchen.
Um auch Privatkunden den Umgang mit Wagner-Produkten zu vereinfachen, hat das Unternehmen außerdem eine App entwickelt. „Die App gibt den Kunden alle Informationen zur Farbe und wie die Pumpe des Sprühgeräts eingestellt werden muss“, sagt Guido Bergman, Geschäftsführer der Heimund Handwerkersparte. Als nächster Schritt können intelligente Pumpen mit der App verbunden werden, die die Pumpe dann automatisch für die richtige Verarbeitung einstellt.
Damit die Produktpalette auch bei Messen vorgestellt werden kann, gibt es bei Wagner in Markdorf mittlerweile ein eigenes TV-Studio. Mit dem Farbsprühgerät in der einen Hand und einem Verbindungsschlauch in der anderen lackiert Mitarbeiter Ingo Bauer hier an diesem Tag eine Holzpalette in hellem Braun. Bauer hat schon in mehr als 60 Aufnahmen die Sprühsysteme von Wagner vorgestellt. Das meistgeklickte Video haben 13 000 Menschen gesehen.
Das Beschichtungsunternehmen hat zuletzt auch eine „neue“Oberfläche für sich entdeckt. Aus einem Freitagmittagprojekt hat sich das Unternehmen „IONIQ“Hautpflege entwickelt. Es vereint Körperpflegeprodukte mit bewährter WagnerTechnologie. „Die Haut ist auch eine Oberfläche und wir haben einen Weg gefunden, diese Oberfläche besser zu beschichten“, sagt Bergman. Mit einem elektrostatischen Verfahren wird zum Beispiel Sonnencreme ohne einschmieren mit einem Sprühnebel auf die Haut übertragen. Dabei landen 97 Prozent der Creme auf dem Körper. Bei herkömlichen Sonnensprays gehen oft 40 Prozent daneben oder der Schutzfilm wird beim Auftragen auf die Haut zerstört. „Damit lösen wir auch das Problem der klebrigen Hände nach dem Eincremen“, sagt Bergman.
Die Innovation wurde erst vor Kurzem belohnt: IONIQ gewann unter anderem einen Innovationspreis und das Design wurde ausgezeichnet. „Uns werden auch in Zukunft die Ideen nicht ausgehen, auch während Corona haben wir einiges umgesetzt“, sagt Bruno Niemeyer. „Außerdem werden ständig neue Materialien entwickelt, die beschichtet werden müssen“, sagt er. Vor allem Südostasien mit einer ähnlich stark zu erwartenden Wachstumsdynamik wie China sieht Niemeyer als interessanten Markt.
Innovationen sind abhängig von den beiden Josef-Wagner-Stiftungen. Sie sind zu gleichen Anteilen Eigentümer der Gruppe und entscheiden, wie viel Geld in die Unternehmen zurückfließt. Im vergangenen Jahr konnte Wagner 17 Millionen Euro unter anderem in das Kundenportal Wagner365 und die holografische Übertragung von Kundengesprächen und Beschichtungsversuche an Firmen wie Ikea investieren. Damit können die Schweden auch weiterhin die richtige Beschichtung für ihre Schranktüren in Markdorf testen lassen, ohne selbst an den Bodensee reisen zu müssen.