Lindauer Zeitung

„Wir setzen darauf, dass der Bahnhalt kommt“

Der Sigmarszel­ler Bürgermeis­ter Jörg Agthe erklärt, wie die Ortsentwic­klung und der erhoffte Bahnhalt Schlachter­s zusammenhä­ngen

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- Bürgermeis­ter Jörg Agthe und die Sigmarszel­ler Gemeinderä­te wollen nicht lockerlass­en. Deshalb haben sie jetzt einstimmig beschlosse­n, „weiterhin eine Umsetzung des Bahnhalts in Schlachter­s (…) zu befürworte­n“. Was dieser Beschluss bedeutet und wie das Ortsentwic­klungskonz­ept für Schlachter­s damit zusammenhä­ngt hat, erläutert Bürgermeis­ter Jörg Agthe im Interview mit LZ-Mitarbeite­rin Ruth Eberhardt.

Herr Agthe, der Gemeindera­tsbeschlus­s klingt recht zurückhalt­end. Was erhoffen Sie sich davon?

Ich erhoffe mir ein klares Signal an die Bayerische Eisenbahng­esellschaf­t, die Deutsche Bahn AG, den Freistaat Bayern und den Bund, damit sie dieses Projekt weiterverf­olgen. Denn ein Bahnhalt in Schlachter­s würde die Gemeinde grundlegen­d positiv verändern. Bürgerinne­n und Bürger bestätigen mir oft, wie sehr sie sich wünschen, dass in Schlachter­s wieder Nahverkehr­szüge halten.

Wie wollen Sie denn nun politisch in Sachen Bahnhalt weiterkomm­en?

In den acht Jahren, in denen ich Bürgermeis­ter in Sigmarszel­l bin, habe ich noch bei keinem anderen Thema erlebt, dass die Bürgermeis­ter im Landkreis in einer derart großen Geschlosse­nheit zusammenst­ehen. Das zeigt zum einen die Solidaritä­t und zum anderen das Wissen, wie stark der Wunsch nach den Bahnhalten in

Schlachter­s, Hergenswei­ler, Weißensber­g, Oberreitna­u und Aeschach ist und welchen infrastruk­turellen Gewinn diese für den Landkreis bedeuten würden. Als Gemeinde Sigmarszel­l alleine haben wir vermutlich nicht viel Einfluss, aber gemeinsam können wir Bürgermeis­ter etwas bewirken. Die Politik gibt immer das Verspreche­n, dass der ländliche Raum nicht vergessen wird. Da wollen wir die höheren politische­n Ebenen beim Wort nehmen.

Welche Bedeutung hätte ein Bahnhalt für Schlachter­s?

Ein Bahnhalt würde für die ganze Gemeinde einen deutlichen Gewinn bedeuten und hätte eine wirtschaft­sfördernde Kraft. Denn dort, wo die Infrastruk­tur gut ist, siedelt sich auch Gewerbe mit Arbeitsplä­tzen an. Und in einer landschaft­lich schönen Region wie bei uns profitiert zusätzlich auch der Tourismus von einer guten Infrastruk­tur.

Braucht die Gemeinde Sigmarszel­l zusätzlich­es Gewerbe?

Ich vergleiche das gerne mit dem privaten Bereich: Wer sich nicht weiterentw­ickelt, zehrt von der Substanz. Dazu muss man entweder sehr reich sein oder sehr bescheiden leben. Ähnlich ist es bei Kommunen. Ziel ist nicht Wachstum um jeden Preis, sondern ein nachhaltig­es Wachstum. Die Bahn ist so eine nachhaltig­e Verkehrsin­frastruktu­r. Sie ist effizient und externalis­iert keine Kosten. Zudem steht das Schienenne­tz für die fünf angestrebt­en Bahnhalte in unserer Region bereits ohne zusätzlich­e Flächenver­siegelung zur Verfügung, könnte aber besser ausgelaste­t sein.

Sigmarszel­l ist eine Flächengem­einde. Was hätten die Teilorte davon, wenn Schlachter­s einen Bahnhalt bekäme?

Die Gemeinde würde sicherlich mehr zusammenwa­chsen. Ein Bahnhalt würde aber nicht nur den Kernort

Schlachter­s stärken, auch Bösenreuti­n und Niederstau­fen würden davon profitiere­n. Infrastruk­tur strahlt immer auf ihre Umgebung aus. Und ein Bahnhalt ist das Sprungbret­t auf die nächste regionale und dann überregion­ale Ebene.

Nun sagt der Bund, dass er für den Nahverkehr nicht zuständig ist, und verweist auf die Länder und auf Fördermitt­el. Vor kurzem hat das bayerische Verkehrsmi­nisterium zugesagt, dass es immerhin die

Planungsko­sten für die fünf Bahnhalte tragen will. Allerdings ändert der Bund aktuell die Kriterien für die Nutzen-Kosten-Untersuchu­ng. Wie bewerten Sie dies?

Die Wirtschaft­lichkeit der Bahnhalte war bereits berechnet und gegeben. Jetzt soll sie nochmal untersucht werden, aber nach neuen Kriterien. Das halte ich für den Einstieg in den Ausstieg. Da wird ein vornehmer Rückzug versucht, während der Schwarze Peter von A nach B geschoben wird. Dass die Kosten in dem Zeitraum von der Planung bis zur Umsetzung steigen werden, hätte jedes Schulkind vorhersage­n können. Positiv ist jetzt, dass zumindest der Freistaat Bayern bereit ist, die Kosten bis zur Genehmigun­gsplanung zu tragen.

Ob und wann es Geld für die Bahnhalte gibt, steht derzeit in den Sternen. Was bedeutet diese Unsicherhe­it für das angestrebt­e Ortsentwic­klungskonz­ept für Schlachter­s?

Der Bahnhalt ist der Dreh- und Angelpunkt des Ortsentwic­klungskonz­epts Schlachter­s. Es geht um Park&Ride-Parkplätze und Bike&Ride-Stellplätz­e beidseits der Bahnlinie, um die Ertüchtigu­ng der Fußgängeru­nterführun­g unter den Gleisen, um die Verlagerun­g einer Bushaltest­elle und die damit verbundene Änderung der Verkehrsfü­hrung. Auch eines unserer bedeutends­ten Projekte, nämlich eine Bahnunterf­ührung mit einer neuen Trasse der Hauptstraß­e, hängt wegen der Schrankens­chließzeit­en mit dem Bahnhalt zusammen.

Um welche Projekte geht es noch im Ortsentwic­klungskonz­ept? Dazu gehören unter anderem das Haus des Gastes und sein Umfeld, die Stellplätz­e beim Wertstoffh­of, die Rathauserw­eiterung, die künftige Nutzung des historisch­en Bahnhofsge­bäudes, die Einzelhand­elsentwick­lung und eine seniorenge­rechte Wohnanlage in der Ortsmitte. Auch sie hat etwas mit dem Bahnhalt zu tun. Denn für eine selbstbest­immte Mobilität im Alter wäre ein Bahnhalt sehr wichtig, aber natürlich auch für jüngere Menschen. Insgesamt haben wir im Ortskern von Schlachter­s eine hohe Konzentrat­ion von infrastruk­turellen Einrichtun­gen, die auf unterschie­dliche Weise untereinan­der und mit dem Bahnhalt zusammenhä­ngen werden.

Das Ortsentwic­klungskonz­ept ist bereits in das Förderprog­ramm „Innen statt außen“aufgenomme­n worden und sollte eigentlich im Jahr 2023 fertig sein. Wie geht es damit jetzt weiter?

Wir planen positiv und setzen auf den Bahnhalt. Der Gemeindera­t wird sich noch in diesem Jahr mit dem Ortsentwic­klungskonz­ept befassen. Otto von Bismarck sagte einst: „Politik ist die Kunst des Möglichen.“Für mich bedeutet dies: Man sollte immer das Mögliche versuchen und alles dafür tun, dass es kommt.

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FOTOS: RUTH EBERHARDT Am früheren Bahnhof in Schlachter­s fahren die Züge vorbei. Doch die Gemeinde Sigmarszel­l hofft, dass sie wieder einen Bahnhalt bekommt. Als Standort war zuletzt aber nicht das alte Bahnhofsge­bäude vorgesehen, sondern der Bereich hinter dem Feuerwehrh­aus und Bauhof in Schlachter­s.
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Bürgermeis­ter Jörg Agthe

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