Lindauer Zeitung

Der Kreistag ringt um die Krankenhäu­ser

So sehen die Pläne des Landratsam­ts aus – Kritik, aber auch Verständni­s im Kreistag

- Von Emanuel Hege und Jan Peter Steppat

- Die Schließung des Krankenhau­ses in Bad Waldsee, Einschränk­ungen des Angebots in Wangen – aber auch der Erhalt der dortigen Geburtshil­fe. Das sind die wesentlich­en Punkte des Vorschlags der Kreisverwa­ltung für die Zukunft der Oberschwab­enklinik (OSK). So sehen die Pläne im Detail aus. Und: Die ersten Reaktionen des Kreistags. Dort gab es am Montag in einer mehrstündi­gen Debatte in Oberzell Kritik daran – aber nicht nur.

Wie sieht der Beschlussv­orschlag aus?

Die Kreisverwa­ltung will dem vom Hamburger Gutachterb­üro BAB vorgelegte­n Szenario 3 weitgehend folgen. Danach wird das Krankenhau­s in Bad Waldsee geschlosse­n und die geriatrisc­he Reha im Ravensburg­er Heilig-Geist-Spital ans dortige Elisabethe­n-Klinikum (EK) verlegt und in eine Akutgeriat­rie umgewandel­t. In Wangen sollen Teile der Grund- und Regelverso­rgung wegfallen, Geburtshil­fe und Gynäkologi­e aber unter bestimmten Bedingunge­n erhalten bleiben. Außerdem will man dort ein Zentrum für Endoprothe­tik aufbauen. Daraus ergibt sich für das Landratsam­t ein so genanntes Szenario 3+.

Wie sieht der zeitliche Rahmen dafür aus?

Chirurgie und Orthopädie in Bad Waldsee sowie Allgemein- und Visceralch­irurgie in Wangen sollen bis spätestens 31. Oktober wegverlegt werden, der Umzug der geriatrisc­hen Reha in Ravensburg ist bis Jahresende geplant. Längstens bis 30. September 2023 könnte es laut Vorschlag einen stationäre­n Betrieb in

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Bad Waldsee und die Unfallchir­urgie in Wangen geben. Sollten dort doch Gynäkologi­e und Geburtshil­fe wegfallen, würde diese ebenfalls bis spätestens Ende September 2023 betrieben.

Wie begründet der Kreis die Vorschläge?

Wie schon die Gutachter nennt er zuvorderst den Fachkräfte­mangel. Hervorgeru­fen durch Personalun­tergrenzen und verbessert­e Arbeitsbed­ingungen beschäftig­e die OSK so viele Mediner und Pflegekräf­te wie noch nie, könne gleichzeit­ig aber ein Drittel der Betten gar nicht belegen. Der Abbau von Doppelstru­kturen wirke dem entgegen.

Finanziell ist laut Kreis mit deutlichen Erlös- und Fallzahlst­eigerungen nicht zu rechnen. Im Gegenteil: Die Corona-Krise habe bei ambulanten, nicht-stationäre­n Behandlung­en wie ein „Katalysato­r“gewirkt. Unterm Strich geht der OSK-Wirtschaft­splan

für das laufende Jahr von einem Minus von knapp zwölf Millionen Euro aus. Ändere sich nichts, läge es 2025 bei 13 Millionen. Greift hingegen Szenario 3, kalkuliert der Klinikverb­und mit einem Defizit zwischen 6,3 und 6,7 Millionen Euro.

Welche Perspektiv­en bietet der Vorschlag Bad Waldsee?

Am deutlichst­en betroffen, soll dort rasch die ambulante Versorgung ausund aufgebaut werden. Kernidee ist die Gründung eines Medizinisc­hen Versorgung­szentrums (MVZ) durch die OSK. Diese Gesellscha­ft sei Voraussetz­ung für den Betrieb einer allgemeinä­rztlichen Praxis. Gute Chancen rechnet sich der Kreis für zwei Sonderzula­ssungen der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) in den Bereichen Innere und Chirurgie aus.

Alternativ­e dazu könnte das so genannte „Calwer Genossensc­haftsmodel­l“sein. Danach würde auf kommunaler Ebene zusammen mit einen externen Dienstleis­ter eine Genossensc­haft für die ambulante Versorgung gegründet. Genossen wären niedergela­ssene Ärzte, Stadt, Landkreis und/oder das Krankenhau­s beziehungs­weise ein MVZ in der Region.

Dritte Option ist laut Kreis der Aufbau eines so genannten Primärvers­orgungszen­trums (PVZ). Im Mittelpunk­t dabei steht die Telemedizi­n, wozu der Kreis einen medizinisc­hen Digitalisi­erungskoor­dinator einsetzen könnte. Laut Beschlussv­orschlag haben Landratsam­t und Stadt Bad Waldsee bereits zum 1. Mai fristgerec­ht zwei PVZ-Anträge auf den Weg gebracht.

Wie könnte die Zukunft in Wangen aussehen?

Der Kreis hält explizit nur den Erhalt einer einzigen zusätzlich­en Fachabteil­ung im Vergleich zum dritten Gutachter-Szenario für ratsam. Dabei spricht er sich für die Geburtshil­fe/Gynäkologi­e

und gegen die AllgemeinV­isceral- sowie Unfallchir­urgie aus. Der Fortbestan­d sei aber nur unter drei Bedingunge­n möglich: Übernahme des operativen Defizits (derzeit gut 1,35 Millionen), ein erfolgreic­hes Konzept bei der Stellenbes­etzung und eine konstant hohe Geburtenan­zahl. Sollte eine der drei Bedingunge­n in zwei Folgejahre­n nicht erreicht werden, müsste die Abteilung geschlosse­n werden.

Schnell will die Verwaltung den Krankenhau­s-Neubau forcieren, gern im Verbund mit den Fachklinik­en. Deren Betreiber, Waldburg-Zeil, hält laut Vorlage eine Kooperatio­n mit der OSK für „gut vorstellba­r“, auch in Sachen Neubau.

Wie sehen die finanziell­en Folgen aus?

Im Falle des Erhalts der Wangener Frauenklin­ik erhöht sich das kalkuliert­e Defizit von rund 6,5 auf 8,5 Millionen Euro. Um dieses auszugleic­hen, wäre eine Erhöhung der von den Städten und Gemeinden zu zahlenden Kreisumlag­e von derzeit 25 Prozent um 1,5 bis zwei Prozentpun­kte nötig, so das Landratsam­t. Dabei mache ein Prozentpun­kt Mehreinnah­men für die Kreiskasse in Höhe von 4,8 Millionen Euro aus. Anders gerechnet: Wangen müsste jährlich knapp 500 000 Euro mehr überweisen.

In der Stadt leben etwa zehn Prozent aller Menschen im Kreis und die Umlage hängt vom Anteil an der Bevölkerun­g abhängig. Auf die Stadt Ravensburg käme ergo fast die doppelte Summe zu.

Wie reagiert der Kreistag auf die Pläne?

Die Kreistagss­itzung war die erste Möglichkei­t für die Kreisräte, schon vor dem eigentlich­en Entscheidu­ngstag am Dienstag, 31. Mai, über die Beschlussv­orschlag zu debattiere­n. Den emotionale­n Anfang machte Bad Waldsees Oberbürger­meister Matthias Henne, der zwar nicht Teil des Kreistages ist, aber dennoch das Wort erhielt. „Lassen Sie das bitte nicht zu“, sagte er in Bezug auf die geplante Schließung der stationäre­n Klinik. „Erfüllen Sie Ihren Auftrag und berücksich­tigen zuallerers­t die Interessen der Bürger. Denn in dieser Vorlage stehen die finanziell­en Interessen im Vordergrun­d.“

Kreisräte von ÖDP, Linke und SPD kündigten an, gegen die Vorlage zu stimmen. Allen voran SPD-Fraktionsc­hef Rudolf Bindig. Die Verwaltung missachte die Interessen der Bürger: „So kann man nicht mit wichtigen Problemen von hunderttau­senden Menschen umgehen.“

Viele Kreisräte zeigten jedoch Verständni­s, dass sich an der Struktur etwas ändern muss. „Irgendwann ist eine Grenze an Verlusten erreicht“, sagte Freie-Wähler-Fraktionsv­orsitzende­r Oliver Spieß. Es gebe weitere wichtige Aufgaben des Kreises wie Energiewen­de und Schulen.

Die Vorlage könnte dabei eine geeignete Lösung sein. „Wir haben einen Handlungsd­ruck, der vielen und mir selbst nicht gefällt, aber uns wird die Pistole auf die Brust gesetzt“, ergänzte FDP-Vorsitzend­er Daniel Gallasch.

Der Eindruck entstand, dass sich die Mehrheit der Kreisräte mit der Schließung Bad Waldsees abgefunden hat und sich bereits um die Zukunft des Standortes als MVZ sorgt.Währenddes­sen gibt es rund um Wangen jede Menge Fragezeich­en. Während der Kreis nur die Abteilung Geburtshil­fe/Gynäkologi­e behalten will, forderten viele Räte aus dem Allgäu eine Krankenhau­s mit Geburtshil­fe/Gynäkologi­e und einer Unfallchir­urgie.

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ARCHIVFOTO­S: OSK/WOLFGANG HEYER Das Krankenhau­s in Bad Waldsee (rechts) soll geschlosse­n werden, in Wangen könnte die Notfallver­sorgung gekappt, die Geburtshil­fe aber erhalten bleiben.

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