Der Kreistag ringt um die Krankenhäuser
So sehen die Pläne des Landratsamts aus – Kritik, aber auch Verständnis im Kreistag
- Die Schließung des Krankenhauses in Bad Waldsee, Einschränkungen des Angebots in Wangen – aber auch der Erhalt der dortigen Geburtshilfe. Das sind die wesentlichen Punkte des Vorschlags der Kreisverwaltung für die Zukunft der Oberschwabenklinik (OSK). So sehen die Pläne im Detail aus. Und: Die ersten Reaktionen des Kreistags. Dort gab es am Montag in einer mehrstündigen Debatte in Oberzell Kritik daran – aber nicht nur.
Wie sieht der Beschlussvorschlag aus?
Die Kreisverwaltung will dem vom Hamburger Gutachterbüro BAB vorgelegten Szenario 3 weitgehend folgen. Danach wird das Krankenhaus in Bad Waldsee geschlossen und die geriatrische Reha im Ravensburger Heilig-Geist-Spital ans dortige Elisabethen-Klinikum (EK) verlegt und in eine Akutgeriatrie umgewandelt. In Wangen sollen Teile der Grund- und Regelversorgung wegfallen, Geburtshilfe und Gynäkologie aber unter bestimmten Bedingungen erhalten bleiben. Außerdem will man dort ein Zentrum für Endoprothetik aufbauen. Daraus ergibt sich für das Landratsamt ein so genanntes Szenario 3+.
Wie sieht der zeitliche Rahmen dafür aus?
Chirurgie und Orthopädie in Bad Waldsee sowie Allgemein- und Visceralchirurgie in Wangen sollen bis spätestens 31. Oktober wegverlegt werden, der Umzug der geriatrischen Reha in Ravensburg ist bis Jahresende geplant. Längstens bis 30. September 2023 könnte es laut Vorschlag einen stationären Betrieb in
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Bad Waldsee und die Unfallchirurgie in Wangen geben. Sollten dort doch Gynäkologie und Geburtshilfe wegfallen, würde diese ebenfalls bis spätestens Ende September 2023 betrieben.
Wie begründet der Kreis die Vorschläge?
Wie schon die Gutachter nennt er zuvorderst den Fachkräftemangel. Hervorgerufen durch Personaluntergrenzen und verbesserte Arbeitsbedingungen beschäftige die OSK so viele Mediner und Pflegekräfte wie noch nie, könne gleichzeitig aber ein Drittel der Betten gar nicht belegen. Der Abbau von Doppelstrukturen wirke dem entgegen.
Finanziell ist laut Kreis mit deutlichen Erlös- und Fallzahlsteigerungen nicht zu rechnen. Im Gegenteil: Die Corona-Krise habe bei ambulanten, nicht-stationären Behandlungen wie ein „Katalysator“gewirkt. Unterm Strich geht der OSK-Wirtschaftsplan
für das laufende Jahr von einem Minus von knapp zwölf Millionen Euro aus. Ändere sich nichts, läge es 2025 bei 13 Millionen. Greift hingegen Szenario 3, kalkuliert der Klinikverbund mit einem Defizit zwischen 6,3 und 6,7 Millionen Euro.
Welche Perspektiven bietet der Vorschlag Bad Waldsee?
Am deutlichsten betroffen, soll dort rasch die ambulante Versorgung ausund aufgebaut werden. Kernidee ist die Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) durch die OSK. Diese Gesellschaft sei Voraussetzung für den Betrieb einer allgemeinärztlichen Praxis. Gute Chancen rechnet sich der Kreis für zwei Sonderzulassungen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in den Bereichen Innere und Chirurgie aus.
Alternative dazu könnte das so genannte „Calwer Genossenschaftsmodell“sein. Danach würde auf kommunaler Ebene zusammen mit einen externen Dienstleister eine Genossenschaft für die ambulante Versorgung gegründet. Genossen wären niedergelassene Ärzte, Stadt, Landkreis und/oder das Krankenhaus beziehungsweise ein MVZ in der Region.
Dritte Option ist laut Kreis der Aufbau eines so genannten Primärversorgungszentrums (PVZ). Im Mittelpunkt dabei steht die Telemedizin, wozu der Kreis einen medizinischen Digitalisierungskoordinator einsetzen könnte. Laut Beschlussvorschlag haben Landratsamt und Stadt Bad Waldsee bereits zum 1. Mai fristgerecht zwei PVZ-Anträge auf den Weg gebracht.
Wie könnte die Zukunft in Wangen aussehen?
Der Kreis hält explizit nur den Erhalt einer einzigen zusätzlichen Fachabteilung im Vergleich zum dritten Gutachter-Szenario für ratsam. Dabei spricht er sich für die Geburtshilfe/Gynäkologie
und gegen die AllgemeinVisceral- sowie Unfallchirurgie aus. Der Fortbestand sei aber nur unter drei Bedingungen möglich: Übernahme des operativen Defizits (derzeit gut 1,35 Millionen), ein erfolgreiches Konzept bei der Stellenbesetzung und eine konstant hohe Geburtenanzahl. Sollte eine der drei Bedingungen in zwei Folgejahren nicht erreicht werden, müsste die Abteilung geschlossen werden.
Schnell will die Verwaltung den Krankenhaus-Neubau forcieren, gern im Verbund mit den Fachkliniken. Deren Betreiber, Waldburg-Zeil, hält laut Vorlage eine Kooperation mit der OSK für „gut vorstellbar“, auch in Sachen Neubau.
Wie sehen die finanziellen Folgen aus?
Im Falle des Erhalts der Wangener Frauenklinik erhöht sich das kalkulierte Defizit von rund 6,5 auf 8,5 Millionen Euro. Um dieses auszugleichen, wäre eine Erhöhung der von den Städten und Gemeinden zu zahlenden Kreisumlage von derzeit 25 Prozent um 1,5 bis zwei Prozentpunkte nötig, so das Landratsamt. Dabei mache ein Prozentpunkt Mehreinnahmen für die Kreiskasse in Höhe von 4,8 Millionen Euro aus. Anders gerechnet: Wangen müsste jährlich knapp 500 000 Euro mehr überweisen.
In der Stadt leben etwa zehn Prozent aller Menschen im Kreis und die Umlage hängt vom Anteil an der Bevölkerung abhängig. Auf die Stadt Ravensburg käme ergo fast die doppelte Summe zu.
Wie reagiert der Kreistag auf die Pläne?
Die Kreistagssitzung war die erste Möglichkeit für die Kreisräte, schon vor dem eigentlichen Entscheidungstag am Dienstag, 31. Mai, über die Beschlussvorschlag zu debattieren. Den emotionalen Anfang machte Bad Waldsees Oberbürgermeister Matthias Henne, der zwar nicht Teil des Kreistages ist, aber dennoch das Wort erhielt. „Lassen Sie das bitte nicht zu“, sagte er in Bezug auf die geplante Schließung der stationären Klinik. „Erfüllen Sie Ihren Auftrag und berücksichtigen zuallererst die Interessen der Bürger. Denn in dieser Vorlage stehen die finanziellen Interessen im Vordergrund.“
Kreisräte von ÖDP, Linke und SPD kündigten an, gegen die Vorlage zu stimmen. Allen voran SPD-Fraktionschef Rudolf Bindig. Die Verwaltung missachte die Interessen der Bürger: „So kann man nicht mit wichtigen Problemen von hunderttausenden Menschen umgehen.“
Viele Kreisräte zeigten jedoch Verständnis, dass sich an der Struktur etwas ändern muss. „Irgendwann ist eine Grenze an Verlusten erreicht“, sagte Freie-Wähler-Fraktionsvorsitzender Oliver Spieß. Es gebe weitere wichtige Aufgaben des Kreises wie Energiewende und Schulen.
Die Vorlage könnte dabei eine geeignete Lösung sein. „Wir haben einen Handlungsdruck, der vielen und mir selbst nicht gefällt, aber uns wird die Pistole auf die Brust gesetzt“, ergänzte FDP-Vorsitzender Daniel Gallasch.
Der Eindruck entstand, dass sich die Mehrheit der Kreisräte mit der Schließung Bad Waldsees abgefunden hat und sich bereits um die Zukunft des Standortes als MVZ sorgt.Währenddessen gibt es rund um Wangen jede Menge Fragezeichen. Während der Kreis nur die Abteilung Geburtshilfe/Gynäkologie behalten will, forderten viele Räte aus dem Allgäu eine Krankenhaus mit Geburtshilfe/Gynäkologie und einer Unfallchirurgie.