Wie Öl, Keime und Gift dem See zusetzen
Verunreinigungen im Bodensee bedeuten im schlimmsten Fall nicht nur eine Naturkatastrophe
- Der Bodensee versorgt vier Millionen Menschen mit Trinkwasser. Verunreinigungen im See bedeuten im schlimmsten Fall nicht nur eine Naturkatastrophe, sondern auch eine große Gefahr für die Wasserversorgung. Wie Öl, Keime und Giftstoffe dem See zusetzen.
Der Chemieunfall des Schweizer Unternehmens Sandoz 1986 war der Super-Gau: Nach einem Brand flossen tonnenweise Pestizide in den Rhein und färbten ihn rot. Ein Massensterben von vielen Tieren war die Folge. Der Rhein war ökologisch tot – innerhalb kurzer Zeit.
Etwas Vergleichbares hat es am Bodensee zum Glück bislang nicht gegeben, wie Tatjana Erkert, Pressesprecherin der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) betont. Doch auch ohne „den einen großen Schadensunfall“ist der Bodensee nicht von teils gefährlichen Verschmutzungen verschont geblieben. „Die bisher nachgewiesenen Schadstoffe im See gelangten über unterschiedliche Eintragspfade in das Gewässer“, sagt Erkert. „Also sowohl direkt als auch indirekt über das Einzugsgebiet, diffus oder auch punktuell.“
Das bestätigt auch Klaus Achtelstetter, Leiter der Lindauer Wasserschutzpolizei. Vor allem Verunreinigungen mit Öl beschäftigen ihn und seine Kollegen immer wieder. Drei Fälle in Wasserburg und Lindau sind ihm besonders in Erinnerung geblieben. „Wir haben dort immer wieder geringe Mengen Öl entdeckt“, sagt er. Wiederholt richtete die Feuerwehr eine Ölsperre ein, doch einige Zeit später war das Öl wieder da. Das ging über Wochen. Die Ermittlungen waren „sehr zeitaufwendig“, aber am Ende erfolgreich: Es stellte sich heraus, dass eine defekte Kraftstoffanlage eines Bootes die Ursache war.
Eine ganz andere Dimension hatte der internationale Ölalarm 2009, bei dem 100 Einsatzkräfte, acht Boote und zwei Hubschrauber aus München und Vorarlberg im Einsatz waren. „Da war ein Ölfilm von der Rheinmündung bis vor die Insel“, erinnert sich Achtelstetter an den bisher größten Öl-Einsatz in seiner Amtszeit. Ein Fischer hatte damals die Polizei alarmiert, weil er vor Wasserburg einen Ölfilm auf dem See entdeckt hatte. Das gesamte Ausmaß des Ölteppichs zeigte sich erst nach einem Flug mit dem Polizeihubschrauber: Er war rund sieben Kilometer lang und 100 Meter breit.
Die Prognose war, dass der Ölteppich weiter nach Westen, später Richtung Süden treiben würde, so Achtelstetter weiter. Ein Großaufgebot an Feuerwehr- und THW-Booten schleppte insgesamt 1200 Meter Ölsperre vom Lindauer Hafen aus in die Bregenzer Bucht, um dort den Ölfilm daran zu hindern, das Ufer zu erreichen. Die Ermittlungen ergaben, dass ein Schwimmbagger im Bereich des neuen Rheins gereinigt worden war und dort 55 Liter Hydrauliköl ausgetreten waren. Allerdings konnte nicht sicher geklärt werden, ob das Öl im See tatsächlich von dem Bagger stammte.
Öl auf dem Bodensee – das bedeutet im schlimmsten Fall nicht nur eine Naturkatastrophe, sondern auch eine große Gefahr für die Wasserversorgung. Zum Glück war das Seepumpwerk in Nonnenhorn nicht durch diesen Ölfilm gefährdet. Doch was passiert, wenn der Super-Gau am See drohen sollte? Dazu gibt es einen von der Internationalen Gewässerschutzkommission (IGKB) erstellten internationalen Alarm- und Einsatzplan, erklärt Tatjana Erkert. Der regle auch die Informationsweitergabe an das Institut für Seenforschung in Langenargen.
Um vorhersagen zu können, wie sich Schadstoffe ausbreiten, werden hydrodynamische Modellrechnungen genutzt. Das Land Baden-Württemberg betreibt für solche Fragestellungen das Modell- und Informationssystem
BodenseeOnline, das auch beim internationalen Öleinsatz 2009 genutzt wurde. „Das System ermöglicht eine Abschätzung der Ausbreitung von gelösten oder auch aufschwimmenden Stoffen im Bodensee“, erklärt Erkert. Den Modellberechnungen liegen auch meteorologische Vorhersagen zugrunde. Allerdings: „Die Schwierigkeit der Vorhersage beziehungsweise die Aussagekraft der Berechnungen kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein.“
2015 gab es ein rätselhaftes Fischsterben im Tobelbach in Hergatz. „Auf zwei Kilometer haben wir in dem Bach tote Fische gefunden“, erinnert sich Klaus Achtelstetter. Die Ursache war kurios: Eine Kuh hatte mit den Hörnern den Schieber eines Güllebehälters auf der Weide geöffnet – weshalb 112 Kubikmeter Gülle nachts unbemerkt in den Bach geflossen sind. Der Tobelbach fließt über die Dürrach in die Leiblach, die in Zech in den Bodensee mündet. Ein anderes Mal brachten spielende Kinder den entscheidenden Hinweis auf ein mysteriöses Fischsterben in einem Lindauer Bach. Etiketten und Strohhalme, die sie fanden, führten zu einer Flaschenwaschanlage. Aber nicht nur Gülle und Gifte können Fischen gefährlich werden. Achtelstetter erinnert sich an einen Landwirt, der Milch in den Gulli seines Hofes geschüttet hatte – und damit ein Fischsterben in einem Bach verursacht hat. „Die Fische sind erstickt.“
Auf Menschen hatten Verschmutzungen am bayerischen Teil des Sees laut Achtelstetter keine erkennbaren gesundheitlichen Auswirkungen. Anders als am westlichen Bodensee, wo sich vor drei Jahren viele Menschen mit Kolibakterien infiziert hatten: 232 Menschen wurden im Sommer 2019 krank, nachdem sie im Bodensee in Manzell oder Fischbach geschwommen sind. Dort waren tagelang Fäkalien und Klinik-Abwasser in den See geflossen, weil ein Kanal und ein Regenüberlaufbecken verstopft waren.
2021 wurde es auf Schweizer Seite des Bodensees brenzlig. Gefährliche Chemikalien flossen durch einen Industrieunfall bei der Goldacher Firma Amcor in den Bodensee. Dort fand sich kontaminierter Schaum aus einer defekten Brandschutzanlage. Was den Fall besonders heikel machte: Sogar offizielle Stellen des Gewässerschutzes sind erst sehr viel später informiert worden. Hatte das
Auswirkungen auf das deutsche Seeufer? Laut Presseagentur dpa konnte das Institut für Seenforschung in Langenargen im Januar 2021 keine Veränderung der PFOS-Gehalte im Obersee feststellen.
Nicht alle Verschmutzungen sind sichtbar. Eine große Herausforderung für den Gewässerschutz am Bodensee sind Spurenstoffe. Darunter werden vor allem im Wasser befindliche, unerwünschte, mikroskopisch kleine, gelöste Stoffe verstanden, die auch als Mikroschadstoffe bezeichnet werden. Auch im Bodensee sind Spurenstoffe, wie beispielsweise Pflanzenschutzmittel, nachweisbar. Die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee und die Internationale Bodensee-Konferenz arbeiten an Strategien und Maßnahmen, wie der Eintrag von Pflanzenschutzmitteln und Spurenstoffen reduziert werden kann.
Doch was wäre der „Worst Case“für den Bodensee? Für Tatjana Erkert wäre das „ein Anschlag, bei dem in relevanten Mengen Gefahrstoffe in die Wasserentnahmen der Wasserwerke gelangen würden“. Dass so etwas möglich sein kann, zeigte 2005 der Giftanschlag auf das BodenseeTrinkwasser in Sipplingen. Damals teilte ein Unbekannter mit, Kanister mit Pflanzenschutzmitteln im See versenkt zu haben, in der Nähe der Stelle, aus der das Wasser entnommen wird. Es blieb nicht bei der Drohung: Drei Kanister und eine Tüte mit Spuren von Atrazin und anderen Pflanzenschutzmitteln fischten die Ermittler aus rund 60 Metern Tiefe. Gift ist nicht ausgetreten.
Weitere Texte aus unserer Wasserserie finden Sie im Internet unter www.schwaebische.de/ unserwasser