Lindauer Geräusche läuten Biennale ein
Ausstellung startet mit Vernissage im Strandbad Bad Schachen und soll Debatten anstoßen
- Die erste Lindauer Biennale ist offiziell eröffnet. Bei der Vernissage am Samstag haben rund 300 eingeladene Gäste gefeiert. Los ging die Vernissage am Nachmittag im Lindauer Hafen.
Das Schiff „Konstanz“bringt die Gäste nach Bad Schachen, doch nicht auf dem direkten Weg: Zuerst dreht es eine Schleife in Richtung Reutiner Bucht. Eine Schifffahrt bei strahlendem Sonnenschein auf dem glitzernden Bodensee passt zum Titel der Biennale: In Situ Paradise. Der lateinische Begriff „in situ“kann mit „am Ort“oder „vor Ort“übersetzt werden, während die Bedeutung des englischen Begriffs für Paradies völlig klar ist. Die meisten Menschen, die am Bodensee leben, wissen es ohnehin: Hier vor Ort ist es paradiesisch. Zumindest fast.
Aus den Lautsprechern auf der „Konstanz“klingen an diesen Nachmittag ganz spezielle Laute. Es ist keine Musik, aber auch kein Krach. Manches erkennt man klar wieder: eine Schiffshupe, Kirchenglocken oder das Pfeifen des Windes. Die Geräusche werden so abgespielt, dass daraus eine Art Musikstück entsteht, das die entspannte Stimmung an Bord untermalt. Wie Biennale-Kuratorin Sophie-Charlotte Bombeck erläutert, ist es eine Klangcollage des Künstlers Bernd Josef Bartolome. Zusammengestellt hat sie eine künstliche Intelligenz, die er programmiert hat, und die für die Collage Geräusche aus Lindau und der Umgebung verwendet.
Vom Schiff aus sind einige der Biennale-Kunstwerke zu sehen: Der mit roten Fahnen bestückte Lindauer Löwe, Werk der Künstlerin Julia Klemm. Deutlich kleiner, weil nur aus der Ferne sichtbar, zeigt sich das von Dana Greiner umgestaltete Pumpenhäuschen am Europaplatz. Das nächste Werk empfängt die Gäste in Bad Schachen beim Schiffsanleger. Die Skulptur stammt von Bernd Josef Bartolome, der die Klangcollage entwickelt hat, die auf dem Schiff zu hören war. Die Skulptur stammt ebenfalls von der künstlichen Intelligenz. Sie schafft virtuell alle acht Sekunden ein Kunstwerk – und zerstört damit unwiederbringlich das vorangegangene Werk. Zu sehen ist das in der Biennale-App, die es bisher nur für Android-Geräte gibt. Die Skulptur in Bad Schachen – eine große, weiße Linie, die auf einem quadratischen Sockel steht, ist auf diese Weise gestaltet und dann aus Beton und Stahl hergestellt worden.
„Wir leben hier in Lindau im Paradies“, sagt Oberbürgermeisterin Claudia Alfons im Strandbad Bad Schachen, wo sich die Festgesellschaft versammelt hat. Doch im Alltag, wenn die Sonne nicht scheine, sei zu spüren, dass das Paradies nichts Dauerhaftes, sondern etwas sehr Flüchtiges sei, was auch noch von der Perspektive abhänge. Die Stadt habe 20 Künstler eingeladen, ihre Sicht von außen einzubringen, wenn sie ihre Kunstwerke vor Ort für den Ort zu gestalten – und sich dem Thema Paradies kritisch nähern. „Kunst regt Debatten an. Das ist genau das, was wir beabsichtigt haben“, sagt Alfons. Das Ziel seien offener Austausch und Kommunikation in der Stadtgemeinschaft.
„Kunst ist der Kitt, der unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhält“, sagt Kulturamtsleiter Alexander Warmbrunn. Sie müsse nicht schön und gefällig sein. Sie solle nahbar und erfahrbar sein, und zwar für alle Menschen. Deshalb habe die Stadt mit der Biennale eine Plattform ins Leben gerufen, die Kunst im öffentlichen Raum frei zugänglich macht, an 24 Stunden in sieben Tage pro Woche.
„Biennale ist, wenn alle zusammenkommen“, sagt Kuratorin Sophie-Charlotte Bombeck und meint Künstlerinnen und Künstler, Lindauerinnen und Lindauer, aber auch Touristinnen und Touristen. Etwas Neues entstehe, etwas das begeistere und belebe, aber auch kritisiere und manches Verborgene sichtbar mache. Etwas, das neue Wege aufzeige und offen für Veränderung sei. Anlass, der Biennale das Thema
Sophie-Charlotte Bombeck
Biennale-Kuratorin
Paradies zu geben, sei der Lindauer Werbeslogan „Ganz schön nah am Paradies“gewesen.
Als Tänzerin und Choreographin Simone Elliott ihre Performance auf dem Rasen zeigt, wird es plötzlich still im Strandbad Bad Schachen. Sie beginnt gehend, ohne Musik. Dann setzen Geräusche ein. Ein Pochen, zu dem sie sich au dem Boden bewegt, aber auch immer wieder aufsteht, als eine singende Säge einsetzt.
Für das Abendessen, aber auch, um miteinander ins Gespräch zu kommen, gibt es eine lange, mit Wiesenblumen und Weinflaschen geschmückte Tafel im Garten. Sie lädt auch dazu ein, eine Unterhaltung mit den Künstlerinnen und Künstlern zu beginnen. „Das Paradies ist eine Vorstellung im Kopf, es findet niemals statt“, sagt Manuel Strauß, der Bojen entworfen hat, die jetzt im Kleinen See schwimmen und nachts leuchten. Sie sind mit Solarzellen ausgestattet und versorgen sich selbst. „Mich interessiert die Grenze zwischen Land und Wasser, wo etwas stattfindet, das im Wandel ist“, sagt er.
Esther Zahles Werk heißt „Jedem Anfang geht ein Ende voraus“. Die schneckenförmige Skulptur steht auf der Casinowiese. „Für mich hat das Paradies etwas mit Unendlichkeit und Schönheit zu tun“, sagt die Künstlerin, die zuvor Mathematik studiert hat. Deshalb hat sie ihrer Skulptur den Goldenen Schnitt und die Fibonacci-Schnecke zugrunde gelegt. „Ich wollte etwas schaffen, in das man hineingezogen wird“, sagt sie. Auf die Wände hat sie Skizzen gezeichnet, mit denen sie imaginäre Lösungen für Probleme anbietet, etwa eine Liebeskummermaschine oder eine Zeitreise.
Ihr Mann Peter Zahel hat für die Biennale ein rundes Boot gebaut und „Kontemplationsschale“genannt. Die Schale ist so groß, dass man sich allein oder zu zweit hineinlegen und auf dem Wasser treiben kann. Anders als ein Kanu etwa lässt sich die Schale nicht fortbewegen. Aber darum geht es dem Künstler auch nicht, sondern um das Gefühl des SichTreiben-Lassens. „Das möchte ich für die Menschen reproduzierbar machen“, sagt er. Die Kontemplationsschale schwimmt nur manchmal beim Schützingerweg auf dem Wasser. Peter Zahel ist bis September an fünf Terminen in Lindau, um sie schwimmen zu lassen. Wer mit sich auch mal treiben lassen will, muss einen Termin mit ihm vereinbaren.
Als die Vernissage zu Ende geht, fällt es einigen Gästen schwer, Abschied zu nehmen. Sie verabreden sich deshalb einfach auf der Lindenschanze. Dank der Installation der Bregenzer Künstlerin Maria Anwander können sie dort noch unter einer Discokugel in die Nacht tanzen.