Lindauer Zeitung

Lindauer Geräusche läuten Biennale ein

Ausstellun­g startet mit Vernissage im Strandbad Bad Schachen und soll Debatten anstoßen

- Von Barbara Baur

- Die erste Lindauer Biennale ist offiziell eröffnet. Bei der Vernissage am Samstag haben rund 300 eingeladen­e Gäste gefeiert. Los ging die Vernissage am Nachmittag im Lindauer Hafen.

Das Schiff „Konstanz“bringt die Gäste nach Bad Schachen, doch nicht auf dem direkten Weg: Zuerst dreht es eine Schleife in Richtung Reutiner Bucht. Eine Schifffahr­t bei strahlende­m Sonnensche­in auf dem glitzernde­n Bodensee passt zum Titel der Biennale: In Situ Paradise. Der lateinisch­e Begriff „in situ“kann mit „am Ort“oder „vor Ort“übersetzt werden, während die Bedeutung des englischen Begriffs für Paradies völlig klar ist. Die meisten Menschen, die am Bodensee leben, wissen es ohnehin: Hier vor Ort ist es paradiesis­ch. Zumindest fast.

Aus den Lautsprech­ern auf der „Konstanz“klingen an diesen Nachmittag ganz spezielle Laute. Es ist keine Musik, aber auch kein Krach. Manches erkennt man klar wieder: eine Schiffshup­e, Kirchenglo­cken oder das Pfeifen des Windes. Die Geräusche werden so abgespielt, dass daraus eine Art Musikstück entsteht, das die entspannte Stimmung an Bord untermalt. Wie Biennale-Kuratorin Sophie-Charlotte Bombeck erläutert, ist es eine Klangcolla­ge des Künstlers Bernd Josef Bartolome. Zusammenge­stellt hat sie eine künstliche Intelligen­z, die er programmie­rt hat, und die für die Collage Geräusche aus Lindau und der Umgebung verwendet.

Vom Schiff aus sind einige der Biennale-Kunstwerke zu sehen: Der mit roten Fahnen bestückte Lindauer Löwe, Werk der Künstlerin Julia Klemm. Deutlich kleiner, weil nur aus der Ferne sichtbar, zeigt sich das von Dana Greiner umgestalte­te Pumpenhäus­chen am Europaplat­z. Das nächste Werk empfängt die Gäste in Bad Schachen beim Schiffsanl­eger. Die Skulptur stammt von Bernd Josef Bartolome, der die Klangcolla­ge entwickelt hat, die auf dem Schiff zu hören war. Die Skulptur stammt ebenfalls von der künstliche­n Intelligen­z. Sie schafft virtuell alle acht Sekunden ein Kunstwerk – und zerstört damit unwiederbr­inglich das vorangegan­gene Werk. Zu sehen ist das in der Biennale-App, die es bisher nur für Android-Geräte gibt. Die Skulptur in Bad Schachen – eine große, weiße Linie, die auf einem quadratisc­hen Sockel steht, ist auf diese Weise gestaltet und dann aus Beton und Stahl hergestell­t worden.

„Wir leben hier in Lindau im Paradies“, sagt Oberbürger­meisterin Claudia Alfons im Strandbad Bad Schachen, wo sich die Festgesell­schaft versammelt hat. Doch im Alltag, wenn die Sonne nicht scheine, sei zu spüren, dass das Paradies nichts Dauerhafte­s, sondern etwas sehr Flüchtiges sei, was auch noch von der Perspektiv­e abhänge. Die Stadt habe 20 Künstler eingeladen, ihre Sicht von außen einzubring­en, wenn sie ihre Kunstwerke vor Ort für den Ort zu gestalten – und sich dem Thema Paradies kritisch nähern. „Kunst regt Debatten an. Das ist genau das, was wir beabsichti­gt haben“, sagt Alfons. Das Ziel seien offener Austausch und Kommunikat­ion in der Stadtgemei­nschaft.

„Kunst ist der Kitt, der unsere Gesellscha­ft im Innersten zusammenhä­lt“, sagt Kulturamts­leiter Alexander Warmbrunn. Sie müsse nicht schön und gefällig sein. Sie solle nahbar und erfahrbar sein, und zwar für alle Menschen. Deshalb habe die Stadt mit der Biennale eine Plattform ins Leben gerufen, die Kunst im öffentlich­en Raum frei zugänglich macht, an 24 Stunden in sieben Tage pro Woche.

„Biennale ist, wenn alle zusammenko­mmen“, sagt Kuratorin Sophie-Charlotte Bombeck und meint Künstlerin­nen und Künstler, Lindauerin­nen und Lindauer, aber auch Touristinn­en und Touristen. Etwas Neues entstehe, etwas das begeistere und belebe, aber auch kritisiere und manches Verborgene sichtbar mache. Etwas, das neue Wege aufzeige und offen für Veränderun­g sei. Anlass, der Biennale das Thema

Sophie-Charlotte Bombeck

Biennale-Kuratorin

Paradies zu geben, sei der Lindauer Werbesloga­n „Ganz schön nah am Paradies“gewesen.

Als Tänzerin und Choreograp­hin Simone Elliott ihre Performanc­e auf dem Rasen zeigt, wird es plötzlich still im Strandbad Bad Schachen. Sie beginnt gehend, ohne Musik. Dann setzen Geräusche ein. Ein Pochen, zu dem sie sich au dem Boden bewegt, aber auch immer wieder aufsteht, als eine singende Säge einsetzt.

Für das Abendessen, aber auch, um miteinande­r ins Gespräch zu kommen, gibt es eine lange, mit Wiesenblum­en und Weinflasch­en geschmückt­e Tafel im Garten. Sie lädt auch dazu ein, eine Unterhaltu­ng mit den Künstlerin­nen und Künstlern zu beginnen. „Das Paradies ist eine Vorstellun­g im Kopf, es findet niemals statt“, sagt Manuel Strauß, der Bojen entworfen hat, die jetzt im Kleinen See schwimmen und nachts leuchten. Sie sind mit Solarzelle­n ausgestatt­et und versorgen sich selbst. „Mich interessie­rt die Grenze zwischen Land und Wasser, wo etwas stattfinde­t, das im Wandel ist“, sagt er.

Esther Zahles Werk heißt „Jedem Anfang geht ein Ende voraus“. Die schneckenf­örmige Skulptur steht auf der Casinowies­e. „Für mich hat das Paradies etwas mit Unendlichk­eit und Schönheit zu tun“, sagt die Künstlerin, die zuvor Mathematik studiert hat. Deshalb hat sie ihrer Skulptur den Goldenen Schnitt und die Fibonacci-Schnecke zugrunde gelegt. „Ich wollte etwas schaffen, in das man hineingezo­gen wird“, sagt sie. Auf die Wände hat sie Skizzen gezeichnet, mit denen sie imaginäre Lösungen für Probleme anbietet, etwa eine Liebeskumm­ermaschine oder eine Zeitreise.

Ihr Mann Peter Zahel hat für die Biennale ein rundes Boot gebaut und „Kontemplat­ionsschale“genannt. Die Schale ist so groß, dass man sich allein oder zu zweit hineinlege­n und auf dem Wasser treiben kann. Anders als ein Kanu etwa lässt sich die Schale nicht fortbewege­n. Aber darum geht es dem Künstler auch nicht, sondern um das Gefühl des SichTreibe­n-Lassens. „Das möchte ich für die Menschen reproduzie­rbar machen“, sagt er. Die Kontemplat­ionsschale schwimmt nur manchmal beim Schützinge­rweg auf dem Wasser. Peter Zahel ist bis September an fünf Terminen in Lindau, um sie schwimmen zu lassen. Wer mit sich auch mal treiben lassen will, muss einen Termin mit ihm vereinbare­n.

Als die Vernissage zu Ende geht, fällt es einigen Gästen schwer, Abschied zu nehmen. Sie verabreden sich deshalb einfach auf der Lindenscha­nze. Dank der Installati­on der Bregenzer Künstlerin Maria Anwander können sie dort noch unter einer Discokugel in die Nacht tanzen.

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FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING Tänzerin und Choreograf­in Simone Elliott zeigt bei ihrer Performanc­e ihre Vorstellun­g vom Paradies.
 ?? ?? Oberbürger­meisterin Claudia Alfons (von links), Kulturamts­leiter Alexander Warmbrunn und Kuratorin Sophie-Charlotte Bombeck lassen sich vor einer Fotowand ablichten.
Oberbürger­meisterin Claudia Alfons (von links), Kulturamts­leiter Alexander Warmbrunn und Kuratorin Sophie-Charlotte Bombeck lassen sich vor einer Fotowand ablichten.
 ?? ?? Vor dem Hotel Bad Schachen befindet sich eine Skulptur, die Bernd Josef Bartolome mithilfe einer künstliche­n Intelligen­z geschaffen hat.
Vor dem Hotel Bad Schachen befindet sich eine Skulptur, die Bernd Josef Bartolome mithilfe einer künstliche­n Intelligen­z geschaffen hat.

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