Özdemir befürchtet Nachteile für Bauern
Grüner Landwirtschaftsminister will mit Brüssel über Pflanzenschutzmittel verhandeln
- „Systemrelevant“– wer dieses Wort hört, denkt automatisch an die Corona-Pandemie, an Berufsgruppen, ohne die in einer Gesellschaft nichts geht. Am Mittwoch hat Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) die Ernährungssicherung als „systemrelevant“in Deutschland bezeichnet. Jedem in der Regierung sei völlig klar, dass dies oberste Priorität habe, sagte er in der Regierungsbefragung im Bundestag. Die Abgeordneten wollten aber noch viel mehr von ihm wissen: Es ging um Düngemittel, Pflanzenschutzmittel und um die Versorgung der Verbraucher in der Krise.
Was für die Landwirte hierzulande besonders interessant sein dürfte – Özdemirs Position zu den Plänen der Europäischen Kommission, Pflanzenschutzmittel in „sensiblen Gebieten“zu verbieten. Die Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch lägen, müssten trotz des „dramatischen Artenschwundes“nachgebessert werden, um Nachteile für die deutschen Bauern zu verhindern. Es könne nicht sein, dass die Landwirte bestraft würden, weil Deutschland bei der Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten im Vergleich zu anderen EULändern vorangegangen sei, sagte Özdemir. Zudem müsse darüber verhandelt werden, auf welches Referenzjahr sich die Pläne aus Brüssel beziehen. Die Europäische Kommission hatte im Juni vorgeschlagen, die Verwendung chemischer Pestizide bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren.
Auch der Einsatz des Unkrautvernichters Glyphosat ist in der EU umstritten, die Zulassung sollte eigentlich Ende 2022 auslaufen. Özdemir bekräftigte, er wolle dafür sorgen, dass in Deutschland dieser Wirkstoff von Januar 2023 nicht mehr angewandt werden dürfe. Die Akteure sollten davon ausgehen, dass das Verbot kommt.
Für die Verbraucher sind derzeit allerdings andere Themen drängender – beispielsweise die Lebensmittelpreise. Was denn aus seinem Vorschlag geworden sei, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu senken, wollte die Unionsfraktion wissen. Nichts, musste der Minister einräumen. Er habe den Vorschlag deshalb nicht mehr wiederholt, „weil er erkennbar keine Mehrheit hat“, sagte er. „Und ich bin ein koalitionsdienlicher Abgeordneter.“Gleichzeitig verwies er auf die drei Hilfspakete, mit denen die Bundesregierung auf die Preissteigerungen für Energie und Lebensmittel reagiert habe.
Preissteigerungen machen auch den Erzeugern von Lebensmitteln zu schaffen. Die Kosten für Düngemittel sind infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine durch die Decke gegangen. Der Grünen-Politiker hält dennoch nichts von der Forderung, eine staatliche Reserve für Düngemittel anzulegen. Dies würde zu einer künstlichen Verteuerung der Preise führen. „Das wäre, glaube ich, keine gute Idee“, so Özdemir. Für die Herstellung von Düngemitteln
wird Erdgas benötigt. Für das kommende Jahr seien bislang keine Engpässe abzusehen, aber der Fortgang des Kriegs in der Ukraine entscheide über Angebot und Preise.
Was den grünen Landwirtschaftsminister besonders schmerzen dürfte: Die kleinen Biobauern, die zum Teil via Selbstvermarktung ihre Produkte an den Kunden bringen, leiden massiv darunter, dass den Verbrauchern das Geld knapp wird. Biolebensmittel werden zwar nach wie vor gekauft, aber weniger in kleinen Läden und Hofläden, sondern eher im Discounter. Die Möglichkeiten der Politik, darauf Einfluss zu nehmen, sind allerdings begrenzt. Der Staat könne über die „außerhäusliche
Verpflegung“mehr für die Nachfrage nach regionalen Bioprodukten tun und mit mehr Forschung die Produktivität in der Biolandwirtschaft erhöhen, so Özdemir.
Die Lebensmittelbranche rühmte der Landwirtschaftsminister einerseits, weil sie mit Energieeinsparungen helfe, gut über den Winter zu kommen. Andererseits machte er klar, dass er nicht mit allem einverstanden ist, was die Hersteller tun – beispielsweise bei Kindern für ungesunde Lebensmittel werben. Ein entsprechendes Werbeverbot sei ihm ein wichtiges Anliegen, so Özdemir. Er habe fest vor, an Kinder gerichtete Werbung „einzuschränken, wenn möglich zu verbieten“.