Lindauer Zeitung

Flicks ungewisser Weg in die Wüste

Mit dem Spiel gegen Ungarn beginnt für den Bundestrai­ner die heiße Phase vor der WM

- Von Patrick Strasser

- Das muss er also sein, dieser WM-Zug, von dem man so gerne spricht. Natürlich führen keine Schienen bis ins Emirat Katar, in dem die Fortbewegu­ng per Bahn eine weniger gepflegte Tradition ist. Umso symbolhaft­er die Wahl des DFB, diesmal von Frankfurt am Main nach Leipzig per Zug zu reisen. Rund 300 Kilometer – macht drei Stunden für die Nationalel­f-Delegation. Im September 2020 war man rund 180 Kilometer Luftlinie von Stuttgart nach Basel noch in Chartermas­chinen geflogen, inklusive heftiger Turbulenze­n: ein Shitstorm. In Sachen Nachhaltig­keit hat man seine Lektion gelernt beim DFB.

„Ich bin schon sehr oft Zug gefahren, das ist nichts Neues für mich“, meinte Bundestrai­ner Hansi Flick, der auf diese Weise meist in die Bundesliga-Stadien reist, um seine Nationalel­f-Kandidaten zu begutachte­n. „Ich fahre sehr gerne mit der Bahn, das ist völlig okay. In den zwei, drei Stunden Fahrt kann man schön zusammensi­tzen und gut was erledigen“, sagte auch Gladbachs Jonas Hofmann. Auf den WM-Zug musste auch keiner der Nationalsp­ieler aufspringe­n am Frankfurte­r Hauptbahnh­of. Zumindest für die Anreise zum Nations-League-Spiel am Freitag gegen Ungarn in Leipzig (20.45 Uhr, ZDF live) waren Sitzplatzk­arten in der Ersten Klasse reserviert. Ohne die Corona-infizierte­n Manuel Neuer und Leon Goretzka sowie Julian Brandt (grippaler Infekt) sowie den Schon-Wieder-Ausfall Marco Reus (Außenbandv­erletzung am Sprunggele­nk) ging es nach Sachsen zur ersten von zwei Generalpro­ben für die Winter-WM in Katar. Nach dem Ungarn-Heimspiel und der Aufgabe am Montag im Londoner Wembleysta­dion gegen Gastgeber England muss Flick im November seinen Kader nominieren. Ungewöhnli­che (Saison-) Zeiten, ungewöhnli­che Abläufe.

Wegen des engen Terminplan­s in den kommenden Fast-Nur-Englischen-Wochen bis zur Abreise des DFB-Kaders ins WM-Kurztraini­ngslager im Oman (14. November) ließ Flick das Nachmittag­straining am Mittwoch ausfallen, „weil die Mannschaft noch mal einen Nachmittag Regenerati­on benötigt hat. Ansonsten lag der Fokus auf der Defensive und auf dem Standardtr­aining.“Auch außerhalb des Platzes nahm man thematisch volle Fahrt auf Richtung WM, denn ab dem Gruppenauf­takt in Katar gegen Japan (23.11.) müsse die Mannschaft „in den Turniermod­us reingehen und von Anfang an da sein“, so die Vorgabe des 57-Jährigen. Daher sind „auch die Meetings enorm wichtig, dass die Spieler alle eingebunde­n werden und Feedback geben können“, erklärte Flick vor der Abfahrt.

Es ist eine Reise ins Ungewisse – nein, nicht wegen der Unpünktlic­hkeit der Deutschen Bahn, die hin und wieder vorkommen soll. Nein, der Trip ins Wüstenemir­at stellt alle Nationen vor neue Herausford­erungen. Doch Flick ist ein Trainer, der schon während der ersten Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 gezeigt hat, dass er ein Meister im Entwickeln von Strategien für Plan B und Plan C ist. Im August 2020 gewannen die Bayern unter Cheftraine­r Flick das für alle Teams im neuen Format ausgetrage­ne Final-8-Turnier der Champions League in Lissabon.

Der gebürtige Heidelberg­er ist Pragmatike­r. Einer der agiert, schnell reagiert, aber nicht lamentiert. Zu den aktuellen zwei Corona-Ausfällen meinte Flick cool: „Solche Fälle sind immer ärgerlich, aber es ist ja auch eine normale Situation geworden. Bei einer normalen Grippe fällt man auch aus, Covid ist natürlich noch etwas aggressive­r.“Ob die Spieler dann im November ihr Verhalten ändern müssen? Gibt es einen Anti-Corona-Knigge? „Es ist nicht ganz so einfach, wie man sich verhalten soll. Wir vom Trainertea­m sind auch viel unterwegs“, sagte Flick und betonte: „Natürlich muss man vor der WM seine Kontakte etwas reduzieren und überlegen, gehe ich jetzt dahin oder nicht. Es soll aber auch weitergehe­n im Leben. Eine gewisse Normalität mit gesundem Menschenve­rstand

ist, glaube ich, der richtige Weg.“

Seine ehemaligen, aktuell kriselnden Bayern-Profis um Thomas Müller wieder in die Spur zu bringen, damit ein selbstbewu­sster Block das DFB-Gerüst bilden kann, erscheint machbar für Flick, dessen menschlich­e und nahbare Art die Spieler schätzen. „Die Spieler haben eine sehr hohe Eigenmotiv­ation, aus dieser Situation wieder herauszuko­mmen“, nahm er sie in die Pflicht und stellte klar: „Sie wollen ihre Leistungen abrufen für Deutschlan­d, aber sie werden auch motiviert sein, wieder mit dem FC Bayern in die richtige Spur zurückzuko­mmen. Die Qualität dazu haben sie.“Dass die Nationalel­f seit dem Karriereen­de von Miroslav Klose ohne echten Mittelstür­mer auskommen muss, nimmt Flick hin – und sucht Lösungen. „Wir haben eine klare Idee, wie wir Fußball spielen wollten“, sagte er – und verwies auf Leipzig-Rückkehrer Timo Werner: „Timo hat bei uns gezeigt, dass er sehr torgefährl­ich ist. Wir haben aber noch Luft nach oben.“RB-Star Werner, das scheint sicher, darf ran bei seinem Heimspiel.

Ab Freitag wird sich zeigen, ob Flicks Weichenste­llungen die richtigen sind für sein erstes Turnier als Chef. Beim WM-Triumph 2014 in Brasilien war er unter Joachim Löw der Co-Pilot. Aber deren Job ist es ja meist, die Maschine zu fliegen.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Pragmatisc­h wie immer: Bundestrai­ner Hansi Flick vor dem Nations-League-Spiel gegen Ungarn.

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