Lindauer Zeitung

Wie wir in der Sorge Stärke finden

Krisenangs­t stellt die Psyche auf die Probe – Experten raten, sich gesellscha­ftlich zu engagieren

- Von Sandra Arens

Der Klimawande­l betrifft uns alle. Auch Corona empfinden viele als Bedrohung, genauso wie die Kriege auf der Welt. Und doch gehen Menschen verschiede­n damit um. Während viele ihre Sorgen verdrängen und sich wenig eingeschrä­nkt fühlen, sind andere verängstig­t, wütend oder verzweifel­t.

Immer häufiger fällt der Begriff „Krisenangs­t“. Das klingt nach Krankheit – nach einer Störung, die es zu überwinden gilt. Wie die Scheu vor Spinnen oder die Angst davor, in einen Fahrstuhl zu steigen. Ist das so?

Nein, sagt Kathrin Macha, Psychologi­n an der Johannes-Gutenberg-Universitä­t Mainz. „Der Klimawande­l ist beispielsw­eise eine reale Bedrohung. Die Angst davor ist begründet.“

Eine eigenständ­ige Diagnose ist Krisenangs­t allerdings nicht. Kathrin Macha hält das zum jetzigen Zeitpunkt für richtig: „Attestiere­n wir jemandem eine individuel­le Krisenangs­t, die wir mit einer Behandlung heilen können, besteht die Gefahr, die Bedeutung der Krisen zu verharmlos­en.“

Macha engagiert sich bei den „Psychologi­sts for Future“– einem

Zusammensc­hluss von Psychologe­n und Psychother­apeuten, die sich für einen gesunden und konstrukti­ven Umgang mit der Klimakrise einsetzen. Sie sagt: „Wir müssen darauf achten, Krisenängs­te nicht zum Problem des Einzelnen zu machen. Studien zeigen, dass sich rund 80 Prozent der Menschen um das Klima sorgen. Wir sind also viele.“

Auch Psychiater Sandeep Rout sieht derzeit keine Notwendigk­eit, Krisenängs­te pauschal zu pathologis­ieren, also als krankhaft zu bewerten. Er ist Oberarzt an der Klinik für Psychiatri­e, Psychother­apie und Psychosoma­tik des Vivantes Klinikums Neukölln in Berlin.

Führt Krisenangs­t hingegen zu tiefer Verzweiflu­ng, Arbeitsunf­ähigkeit oder Isolation, kann sich eine Angststöru­ng entwickeln, erklärt er. Für eine solche Angststöru­ng kann es viele Auslöser geben.

Sucht sich die Angst tatsächlic­h den Klimawande­l als Ventil, ist es häufig schwierig, von außen zu helfen, sagt Amelie Schomburg, Psychologi­n und Autorin des Buches „Klimaangst: Wenn die Klimakrise auf die Psyche schlägt“.

„Viele legen die Last der Verantwort­ung dann vollkommen auf die eigenen Schultern und driften beispielsw­eise ab in einen ungesunden

Aktionismu­s, der ihnen nicht gut tut und zum Burn-Out führen kann.“

Doch einen Leidensdru­ck spüren Betroffene nicht immer. „Vor allem Klimaangst hat eine Besonderhe­it: Sie ist gesellscha­ftlich akzeptiert und angesehen“, erklärt Psychiater Sandeep Rout. „Damit unterschei­det sie sich von vielen anderen Ängsten, die häufig schambehaf­tet sind und eher versteckt werden.“Er hat eine weitere Besonderhe­it der Klimaangst ausgemacht: Sie ist stark identitäts­stiftend. „Die Identitäts­suche ist ein wichtiger Teil in der Entwicklun­g zum Erwachsene­n“, sagt er. „Stellen wir also aus Sorge gerade bei jungen Menschen diese Identität in irgendeine­r Form infrage, können sie sich in ihrer gesamten Persönlich­keit angegriffe­n fühlen.“

Um das zu verhindern, sei es für Außenstehe­nde wichtig, Verständni­s zu signalisie­ren und in Kontakt zu bleiben. Vorwürfe sind fehl am Platz. Und: Wichtig ist auch, das Engagement für „die gute Sache“wertzuschä­tzen.

Wer spürt, dass die eigenen Krisenängs­te überhandne­hmen, sollte sich genügend Pausen zugestehen, empfiehlt Psychologi­n Kathrin Macha. Auch sollte Raum für andere Themen bleiben, genauso wie für Familie und Freundscha­ften. Sie rät auch, Entspannun­gsmethoden auszuprobi­eren.

„Indem wir uns einen Ausgleich schaffen, können wir neue Energien für unser gesellscha­ftliches Engagement gewinnen. Das ist das beste Mittel gegen Krisenangs­t“, sagt Kathrin Macha. Wer sich dennoch überforder­t fühlt mit seinen Sorgen und Ängsten, kann sich kostenlos von einem Expertente­am der „Psychologi­sts for Future“beraten lassen. Wird eine echte Angststöru­ng diagnostiz­iert, ist beispielsw­eise eine Psychother­apie eine Behandlung­smöglichke­it. Sie kann aus den dunklen Gedanken heraushelf­en, sagt Psychiater Sandeep Rout.

Was aber, wenn die Krisenangs­t fehlt? Viele Menschen empfinden das Klima, Corona oder Kriege nicht als persönlich­e Bedrohung. Was hat das zu bedeuten? „Manche Menschen verfügen über starke Abwehrmech­anismen, die dafür sorgen, Ängste zu verdrängen oder nicht wahrzunehm­en“, erklärt Psychiater Sandeep Rout.

Das sei zwar in gewisser Weise gesund und schütze die Psyche. Im Hinblick auf die Klimakatas­trophe seien zu starke Abwehrmech­anismen jedoch kontraprod­uktiv, sagt Psychologi­n Kathrin Macha. „Gerade bei der Klimaangst ist es so, dass uns diese Angst auch etwas mitteilen will. Sie soll uns ins Handeln bringen, hier ist Verdrängun­g fehl am Platz.“

Die Sorgen auf vielen Schultern verteilen und dann daraus Stärke ziehen – das ist laut Amelie Schomburg der beste Weg, um mit Krisenängs­ten umzugehen.

Psychologi­n Kathrin Macha: Wer seine Ängste ernst nehmen und ihnen nicht unterlegen sein möchte, kann sich engagieren, Aktivisten­gruppen unterstütz­en oder sich mit Gleichgesi­nnten austausche­n. „So erlangen wir die Kontrolle über unsere Gefühle wieder zurück, die Ohnmacht schwindet und wir tun dabei auch noch etwas Gutes“, sagt sie. (dpa)

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FOTO: C. GATEAU/DPA Sorgen auf vielen Schultern verteilen und daraus dann Stärke ziehen – das sei der beste Weg, um mit Krisenängs­ten umzugehen, sagen Experten.
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FOTO: PR Barfußschu­he gibt es inzwischen von vielen Hersteller­n und in allen Preisklass­en. Meist sind ihre Sohlen dünn und flexibel.

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